Online-Psychologie mit Herz

Das Risiko, nach einem Herzinfarkt an Depressionen zu erkranken, ist um 50 Prozent erhöht. Ein Online-Programm, das bei Schwermut professionell eingesetzt wird, soll nun auch Herzkranken helfen. Eine Berner Psychologin sucht Betroffene, die das Angebot nutzen – und testen.

Von Bettina Jakob 07. September 2012

Ihre Forschung geht einem ans Herz. Nadine Messerli-Bürgy von der Abteilung für Klinische Psychologie und Psychotherapie der Universität Bern hat soeben ein Online-Hilfeprogramm für Herzkranke gestartet. Mit «InterHerz» wird aber nicht etwa die Herzfrequenz stabilisiert oder den Herztönen gelauscht – vielmehr steht die Psyche der betroffenen Patienten im Vordergrund. «Jüngste Studien zeigen nämlich, dass Menschen, die einen Herzinfarkt erlitten haben, ein bis zu 50 Prozent höheres Risiko für eine Depression haben», erklärt Messerli-Bürgy. Deshalb startet die Berner Psychologin nun eine Studie, in welcher sie ein etabliertes Online-Programm zur Therapie von Depressionen neu für Herzpatientinnen und -patienten zur Verfügung stellt.


«InterHerz» soll Herzkranken mit Depressionen helfen. (Bilder: zvg)

Wie spielen Herz und Psyche zusammen?

Erst setzt das Herz aus und dann kommt die Schwermut – wie das? Nadine Messerli-Bürgy kennt mögliche Erklärungen dafür: Die Betroffenen standen bereits vor einem Herzinfarkt unter Stress und wiesen möglicherweise schon Symptome einer Depression auf. «Mit der Grenzerfahrung eines Herzinfarkts kann schliesslich die Belastungsgrenze erreicht werden», so die Berner Psychologin. Nach einer überlebten Herzattacke sind die Betroffenen zudem oft weniger leistungsfähig, was wiederum hohen Druck erzeugen kann. «Beim typischen Herzkranken, der sich selbst als leistungsfähig kennt, kann dies Minderwertigkeitsgefühle auslösen», so Messerli – die Abwärtsspirale in die Depression beginnt.

Online-Programm sehr wirksam

Doch «InterHerz» kann helfen, ist Messerli-Bürgy sicher: Das zugrunde liegende Online-Programm gegen Depressionen «deprexis» wurde von Psychologinnen und Psychotherapeuten entwickelt – darunter auch der Berner Psychologe Thomas Berger. Es ist vielfach erprobt, auf dem Onlinehilfe-Markt etabliert und in wissenschaftlichen Studien dessen Wirksamkeit klar nachgewiesen. «Wird die Bearbeitung des Online-Programms von Therapeuten begleitet, können ähnlich  gute Erfolge erzielt werden wie durch persönliche Termine beim Psychotherapeuten», fasst Messerli-Bürgy die Resultate der Studien zusammen. Die Psychologinnen und Psychologen erhoffen sich, mit dem Programm herzkranken Menschen zu helfen, bevor sie von Stress und schwierigeren Gefühlen erfasst werden und in der Folge auf einen erneuten Herzinfarkt zusteuern.


Dialog, Bilder, Hörübungen: Das Online-Programm holt seine Nutzerinnen und Nutzer auf vielen Ebenen ab.

Modernste Hilfe per Mausklick

Das Online-Programm vereint verschiedene Therapiemethoden auf dem aktuellsten Stand der Forschung: Die Nutzerinnen und Nutzer werden auf einem individuellen Pfad durch vielfältige Übungen geführt, die etwa aus der kognitiven Verhaltenstherapie, der Stressmanagement-Forschung und der Positiven Psychologie stammen. «Man lernt einiges über seine Grundbedürfnisse, trainiert seine Kompetenzen, kommt seinen Talenten näher, verarbeitet schwierige Erinnerungen und lernt Entspannungstechniken», zählt Nadine Messerli-Bürgy einige Punkte aus den Modulen von «deprexis» auf.

Wöchentliche Sitzungen seien optimal, empfiehlt die Psychologin. Wer sich lange nicht einloggt, wird per SMS motiviert. Und selbstverständlich sitze hinter all den computerbasierten Übungen stets auch sie, Nadine Messerli-Bürgy, die Psychologin aus Fleisch und Blut. «Die Klientinnen und Klienten haben über Email Kontakt mit mir, ich beantworte weiterführende Fragen, kommentiere ihre letzten Sitzungen und kann weitere Tipps geben.» Obwohl der Computer durch die Übungen führt, hat das Programm also auch ein Gesicht.

Heimlich auf die Internet-Couch

Der grosse Vorteil der Online-Hilfe gegenüber einer Face-to-face-Therapie sei die zeitliche und auch örtliche Unabhängigkeit, mit der die Sitzungen stattfinden können. «Ausserdem können die Therapiestunden im Geheimen gehalten werden, im Büro muss man nicht einen Arzttermin angeben, was den Betroffenen oftmals unangenehm wäre», so Messerli-Bürgy. Und der Nachteil von «InterHerz»? «Fällt jemand in eine schwere Krise, können wir möglicherweise nicht schnell genug reagieren», so die Psychologin. Die Abmachung ist, dass die Teilnehmerinnen und Teilnehmer innert zwei bis drei Arbeitstagen eine persönliche Rückmeldung auf ihre Bitten per Email erhalten.

 


Das ist das Ziel der Online-Hilfe: Wohlbefinden im eigenen Leben.

«Deshalb eignet sich das Programm nicht für Herzkranke, die sich bereits in einer schweren Depression befinden und vielleicht auf eine strukturiertere Intervention angewiesen sind», so Messerli-Bürgy. «Diese Punkte klären wir aber im einstündigen telefonischen Erstgespräch, welches wir vor Beginn des Programms führen, nachdem sich eine Person über das Internet auf ‹InterHerz› registriert hat.» Muss Nadine Messerli-Bürgy einer interessierten Person eine Absage erteilen, hilft sie mit, die geeignete Anlaufstelle für die Patienten zu finden.

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