Rio+20 von innen, Teil 1

An der UNO-Konferenz über Nachhaltige Entwicklung ringen Tausende um die richtigen Formulierungen. Delegationsmitglied Hans Hurni berichtet von der Liebesmüh ums treffende Wort.

Von Hans Hurni 14. Juni 2012

Rio, 14. Juni 2012. Zwanzig Jahre nach dem berühmten Erdgipfel von 1992 sollte die globale Gemeinschaft nun endlich einen kühnen Entwurf machen. Leider droht aber der Slogan von Rio+20, «Die Zukunft, die wir wollen», am richtigen Wort zu scheitern. Welche Zukunft wollen wir?

Hinter uns liegt der erste Verhandlungstag der dreitägigen «PrepCom». Nächste Woche ist die letzte Vorbereitungskonferenz bis zum Gipfel vom 20. bis 22. Juni 2012. Begonnen hat der heutige Tag um 6:30 Uhr, wo sich die letzten Nachzügler aus der Schweiz im gemeinsamen Hotel beim Frühstück getroffen haben. Fast eine Stunde dauerte dann die Fahrt vom Hotel an der Copacabana zum rund 50 Kilometer entfernten Riocentro, einem riesigen Kongressgelände am Rande der Stadt. Die Sonne ist fast senkrecht aufgegangen, kurz darauf aber hinter nebligen Schwaden verhüllt. Ein kühler Tag für die Tropen.

Nachhaltige Wortwahl: Hans Hurni an der UNO-Konferenz. (Bild: zvg)

Vorteil Professor

Den Vormittag verbrachte die Delegation getrennt. Es gab welche, die direkt ins Zentrum hinein durften - und uns andere. Uns fehlten die Badges, die persönlichen Ausweise, ohne die man sich keinen Zutritt zum Gelände verschaffen kann. Angemeldet waren alle ordnungsgemäss schon vor drei Wochen. Gestern stellte sich aber heraus, dass für jede Person ihre Position und Institution angegeben werden muss. Das hatten wir pflichtgemäss gemacht. Hingegen stellte der Begleitbrief nach New York mich zum Beispiel als «Vertreter der Schweizer Wissenschaft» dar. Was sollte das für eine Institution sein, und wer legitimierte meine Position? Erklärungen wie: «Die Schweizer Akademien haben mich vorgeschlagen», nützten nichts. Also zurück auf Feld eins: «Ich bin an der Universität Bern als Professor angestellt». Das war wirkungsvoller und musste nicht einmal legitimiert werden, zu ehrwürdig ist die Institution Universität und zu glaubwürdig die Position Professor. Ein Tipp für Hochstapler.

Auftrag: Work on the language

Nach zwei Stunden hatten dann - Schweizer Botschaft sei Dank - alle Mitglieder der Delegation ihren Batch und wir konnten ins Riocentro einmarschieren. Natürlich hatten wir die Eröffnungsrede verpasst. Die Email einer Glücklichen, die drinnen war, erreichte mich etwas später. «General chaos in a much too small plenary room.» Der Auftrag des Vorsitzenden war klar: «Outstanding issues: work on the language (…des Textentwurfs, HH), and agree to a concept or a target in areas where there is still no agreement and more discussion necessary. We have only 3 days.  We owe it to ourselves to finish our work; we owe it to HOS; we owe it to future generations and our planet.» Ausser «HOS» hatte ich alles verstanden, aber das war im Übrigen nicht die einzige Abkürzung, die man sich selbst erklären musste.

Feilschen um Worte

Also los, in die erste Arbeitsgruppe zum Thema «Desertifikation, Bodendegradation und Dürre», den Lunch hatte ich sowieso schon verpasst. Dort hatte ich meine Ernüchterung. Zwar leistete ich dem Bundesbeamten und Wortführer für die Schweizer Delegation in dieser Gruppe Gesellschaft und manchmal Unterstützung. Ich habe ja über dreissig Jahre Erfahrung zu diesen Themen, die auch zu meinen Forschungsschwerpunkten gehören. Drei Stunden dauerte die Sitzung. Es ging um die Bereinigung von rund zehn markierten Uneinigkeitsstellen auf einer einzigen Seite des Konferenztextes. Es wurde gefeilscht, um Worte und Satzstellungen, aber viel mehr noch um versteckte Agenden und Politiken. Wortführer waren die USA, die EU und der Repräsentant der Entwicklungsländer, der G77.

Das Dumme war nur, dass ich alle verstand, ich wusste, was sie heimlich wollten und verstand die dahinterliegenden politischen Absichten. Eine eigene Position ist unter solchen Umständen schwer zu haben, und viel hat uns der Bundesrat zu diesem Thema nicht vorgegeben. Also brachte sich der Schweizer Unterhändler nur einmal kurz ein und wurde dafür freundlich abgenickt. Immerhin hatten wir die Verhandlungen nicht behindert, oder? Ist es diese Zukunft, die wir wollen?

Hans Hurni meldet sich mit einer zweiten Innensicht aus der Hauptkonferenz vom 20. bis 22. Juni 2012.

Zur Person

Professor Hans Hurni, 62, präsidiert den Aussschuss des Centre for Development and Environment CDE der Universität Bern und ist Direktor des NCCR North-South. Im Rahmen seiner Forschungstätigkeit auf dem Gebiet der Nachhaltigen Entwicklung hat Hans Hurni Felderfahrung in verschiedensten Ländern in Afrika und Asien sammeln können. Hurni ist Mitglied der Schweizer Rio+20-Delegation.

Zur Konferenz

Die Menschheit lebt und wirtschaftet nicht nachhaltig. Armut, die Zerstörung der natürlichen Lebensgrundlagen und Stabilität bleiben langfristig die grössten Herausforderungen. Die Konferenz vom 20. bis 22. Juni 2012 will auf höchster politischer Ebene das Engagement für die nachhaltige Entwicklung erneuern und verstärken.

Die Schweiz wird vertreten durch Bundespräsidentin Widmer-Schlumpf und Bundesrätin Leuthard. Die Schweizer Delegation besteht aus rund 50 Personen.

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