Das Leben geht zu Ende, die Forschung beginnt
«Lebensende» – das neue Nationale Forschungsprogramm des Schweizerischen Nationalfonds (SNF) widmet sich der letzten Lebensphase des Menschen. In der Hoffnung, mit 30 Projekten mehr über das Sterben zu erfahren, um es menschlicher zu gestalten. Die Uni Bern forscht mit.
Der Tod ist etwas ganz Natürliches. In der Schweiz sterben jährlich 62'000 Menschen. Dennoch stellen sich stets viele Fragen: Wo sterben die Menschen eigentlich? Zu Hause im Kreis der Familie, im Spital? Und wie? Einsam oder zufrieden mit ihrem Leben? Wie sterben junge Menschen – und was tun ihre Hinterbliebenen? Wer entscheidet sich, den Zeitpunkt seines Todes selber zu bestimmen, und wie sieht die Rechtslage aus? Der soeben gestartete Nationale Forschungsschwerpunkt «Lebensende» (NFP 67) will Antworten liefern. Dabei wird das Thema sehr breit angegangen, wie der Schweizerische Nationalfonds (SNF) mitteilt: Medizinerinnen, Rechtswissenschaftler, Theologen, Soziologinnen, Ökonominnen, Anthropologen sollen in den nächsten fünf Jahren näher beschreiben, wie und unter welchen Umständen Menschen in der Schweiz sterben. «Mehr über das Sterben wissen, um es menschlicher zu gestalten», titelt der SNF seine Medienmitteilung.
Wo sterben die Menschen - im Spitalbett oder zu Hause? (Bild: istock)
Dem NFP stehen insgesamt 15 Millionen Franken zur Verfügung, die dreissig Forschungsprojekte sind in vier Schwerpunkte gegliedert. Unter dem Aspekt «Versorgung» wird untersucht, welche Einrichtungen, wie Heime und Hospize, es gibt und wie diese von den Insassen erlebt werden. Beim Thema «Entscheidungen» wird analysiert, wie das medizinische Personal entscheidet und wie die Sterbebegleitung gestaltet wird. Unter dem Fokus «Regelungen» prüfen die Forschenden, ob die geltenden Gesetze der Realität gerecht werden, und unter dem Titel «Leitbilder» versucht die Wissenschaft herauszufinden, wie Spiritualität, Ideale und kulturelle Herkunft die Vorstellung über das Sterben und den Tod beeinflussen.
Je ein Projekt der Uni Bern und der Forschung der Universitären Psychiatrischen Dienste (UPD) ist am NFP «Lebensende» beteiligt, zwei weitere Berner Projekte werden in Kooperationen mit anderen Institutionen durchgeführt.
Was passiert, wenn ein Elternteil stirbt?
In ihrem Projekt versuchen Christoph Abderhalden und Caroline Grosser von der Abteilung Forschung/Entwicklung Pflege und Pädagogik der Universitären Psychiatrischen Dienste (UPD) zu verstehen, wie Jugendliche den Tod eines Elternteils verarbeiten. Den Fokus richten die beiden Forschenden also nicht auf den Tod, sondern auf die Angehörigen einer verstorbenen Person. In der Folge soll es darum gehen, die Begleitung bei Sterbeprozessen in palliativ orientierten Einrichtungen wie Sterbehospizen oder Krankenhäusern zu verbessern. Durch ihre Studie schliessen die beiden Berner Wissenschaftler eine Forschungslücke. Das Projekt wird für seine Dauer von rund zwei Jahren mit 102 000 Franken unterstützt.
Wie gestaltet sich «gutes Sterben» im Alterheim?
Sehr viele Menschen sterben heute in Altersheimen. Oft spielen die Pflegenden eine wichtige Rolle darin, wie das «gute Sterben» gestaltet werden soll, wenn die alten und pflegebedürftigen Menschen ihre Wünsche nicht mehr uneingeschränkt äussern können. In Heimen mit einer hohen Vielfalt bei Bewohnerschaft und Personal kann dies zu sehr grossen Herausforderungen führen. Heinzpeter Znoj und Corina Salis Gross vom Institut für Sozialanthropologie der Universität Bern gehen der Frage nach, wie sich die zunehmende Vielfalt von Lebenswelten auf die Gestaltung des Lebensendes in Altersheimen auswirkt. Die Sozialanthropologen erhalten für ihr zweijähriges Projekt 270 000 Franken.
Ein Blick in die Geschichte des assistierten Suizids
In den letzten zehn Jahren hat sich die Zahl der Personen, die mit Hilfe eines assistierten Suizids aus dem Leben schieden, verdreifacht – und diese Zahl wird gemäss Prognosen weiterhin zunehmen. Ein Überblick über die letzten 30 Jahre – seit der Gründung der ersten Sterbehilfeorganisationen in der Schweiz – wird mithelfen, die Dynamik des assistierten Suizids zu bestimmen. Christine Bartsch von der Abteilung Forensische Medizin und Bildgebung des Instituts für Rechtsmedizin an der Uni Zürich und Thomas Reisch von der Universitätsklinik für Psychiatrie Bern möchten auch Faktoren identifizieren, welche die Entwicklung des assistierten Suizids beeinflusst haben. Die Motive für einen assistierten Suizid sollen ebenfalls untersucht werden, um womöglich vorbeugende Massnahmen im Rahmen von Palliative Care ableiten zu können. Das Projekt wird über drei Jahre mit 230 000 Franken unterstützt.
Gibt es regionale Unterschiede bei der Behandlung?
In einem Kooperationsprojekt gehen Berner Forschende den regionalen Unterschieden in den medizinischen Behandlungen nach, die ein sterbender Mensch in den letzten zwölf Monaten seines Lebens in Anspruch nimmt. Unterschiedliche Behandlungsmuster haben gemäss Projektbeschrieb nicht nur mit den effektiven Bedürfnissen der Patienten, sondern auch mit einem unterschiedlichen regionalen Angebot zu tun. Die Resultate sollen dazu beitragen, dass die Bevölkerung auch in der letzten Lebensphase «effizient und gleichberechtigt mit der bestmöglichen medizinischen Behandlung» versorgt werden kann, wie die Verantwortlichen schreiben. Am dreijährigen Projekt, das mit rund 340 000 Franken dotiert ist, sind folgende Wissenschaftler beteiligt: André Busato und Matthias Egger vom Institut für Sozial- und Präventivmedizin (ISPM) der Uni Bern, Andreas E. Stuck, Geriatrie Universität Bern am Inselspital Bern und sowie David C. Goodman vom The Dartmouth Institute for Health Policy and Clinical Practice in Lebanon, New Hampshire, USA.