Mit Klebeband zum Nobelpreis

Der Nobelpreisträger Andre Geim ist Gast an den Einstein Lectures der Universität Bern. In drei Vorträgen schildert er seinen Weg von spassigen «Friday Night Experiments» bis zur Entdeckung des potenziellen Wunderstoffs Graphen.

Von Anina Steinlin 30. Oktober 2012

«Schleifen ist tot, lange lebe das Klebeband!» Mit dieser Aussage fasste der Nobeltreisträger Andre Geim am Montag Abend sein Erfolgsrezept bei der Entdeckung von Graphen zusammen. Das zahlreich in der Aula der Universität Bern erschienene Publikum hatte er längst durch seine witzige und verständliche Vortragsweise in den Bann gezogen. Graphen ist ein zweidimensionales Gitter von sechseckig angeordneten Kohlenstoffatomen. Jede Bleistiftmine besteht aus tausenden solcher Schichten. Und tatsächlich war es ein Klebeband, mit dem es Geim und seinem Postdoc Konstantin Novoselov gelungen ist, eine Schicht Graphen von einem Stück Graphit zu lösen. Sie klebten ein Klebeband auf das Graphit und zogen es wieder ab, bis die Kohlenstoffschicht nur noch ein Atom dick war. Dieser verblüffend einfachen Methode war ein langer und erfolgloser Versuch vorausgegangen, ein Stück Graphit so lange zu schleifen, bis es aus nur noch einer Schicht Atome besteht.


Mit ungewöhnlich simpler Methode zum Durchbruch: Physiker Andre Geim schildert, wie er Graphen entdeckt hat. (Bild: Annette Boutellier)

Geims gesamte Forschung ist von solch spielerischen Versuchen durchzogen. So begann er seinen Vortrag mit einer ausführlichen und humorvollen Schilderung seiner «Friday Night Experiments», in denen es ihm unter anderem gelungen ist, allerlei Materialien und selbst Frösche in einem Magnetfeld schweben zu lassen. Schliesslich müsse ein schlecht bezahlter Physiker auch mal seinen Spass haben, so Geim augenzwinkernd.

Undurchlässiger als Glas

Was ist so faszinierend an einer dünnen Schicht von Kohlestoffatomen? Graphen hat eine Reihe von einzigartigen Eigenschaften. Es ist mit bloss einer Atomschicht nicht nur das dünnste, sondern auch das stärkste und steifste jemals gemessene Material, es hat die beste elektrische Leitfähigkeit bei Zimmertemperatur und es ist absolut undurchlässig für Gase. Bis auf eine Ausnahme: Geim erzählte, wie er verschiedenste Gase in Flaschen gefüllt hat und Graphen als Deckel verwendete. Die Gase konnten aus der Flasche nicht entweichen, einzig Wasserdampf durchdrang die Graphenschicht, als ob sie nicht vorhanden wäre. Weshalb das so ist, das überlässt Geim den Zuhörerinnen und Zuhörern herauszufinden: Er wolle dem Graphen etwas von seinem Zauber lassen und nicht alles verraten.

Ein flexibler Touch-Screen für das Handy

Geim ging auch auf mögliche Anwendungen von Graphen ein. Graphen könnte bald für allen Arten von Touchscreens, beispielsweise beim Handy, eingesetzt werden. Graphen ist gut leitend, nahezu transparent und günstig. Deshalb stellt es eine Alternative zum heute gebräuchlichen, aber teuren Indiumzinnoxid (ITO) dar. Ausserdem ist Graphen biegbar – möglich wäre damit also ein flexibler Touch-Screen.

Andre Geim lässt sich von den wirtschaftlichen Erfolgen seiner Entdeckung wenig beeindrucken. Ihn interessiert vor allem die wissenschaftliche Seite von Graphen und das Forschen allgemein. Denn zu entdecken gibt es noch viel. Bleistifte benutzen wir seit Jahrhunderten. Und wenn wir damit schreiben, lösen sich von der Graphitmine auch einatomige Schichten – also Graphen. Es war also längst direkt vor unseren Augen. Trotzdem hat es niemand entdeckt. Das zeige, wie wenig wir über die Welt um uns herum wüssten, schloss Geim seinen Vortrag.

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