Movie-Stars made in Africa
Nigeria ist nach Indien die zweitgrösste Filmnation der Welt. Eine Sozialanthropologin der Uni Bern nahm nigerianische Filme und deren Verbreitung in der Schweiz unter die Lupe. Sie erkannte, dass die Videos für viele afrikanische Eingewanderte identitätsstiftend sind.
Osuofia kann es nicht fassen: Eine Ohrfeige kassiert er, dabei wollte er der jungen Frau nur helfen, bot ihr seinen Mantel an, damit sie ihre entblössten Beine bedecken könne. Empört wendet er sich von der perplexen Londonerin im Minijupe ab: «Schaut euch diese Leute an! Geht ihr hier denn nicht in die Kirche, habt ich keinen Anstand?» Die Szene entstammt der Komödie «Osuofia in London», einem der erfolgreichsten Filme des nigerianischen Filmmarktes: Der Hauptdarsteller Osuofia, gespielt vom nigerianischen Movie-Star Nkem Owoh, kommt aus einem Dorf in Nigeria und reist nach London, um dort das Erbe seines verstorbenen Bruders anzutreten. Dabei erleidet er einen Kulturschock und wünscht sich nur eines: So schnell wie möglich wieder in seine Heimat zurückzukehren.
Nigeria ist – gemessen an der Anzahl Produktionen – nach Indien die zweitgrösste Filmnation der Welt. 900 bis 2000 Videos werden schätzungsweise jährlich gedreht. In Anlehnung an Hollywood und Bollywood wird der nigerianische Filmmarkt deshalb auch «Nollywood» genannt. Die Videos aus dem westafrikanischen Land sind in unseren Breitengraden zwar wenig bekannt – bei einem bestimmten Publikum mit Afrika-Bezug aber sehr beliebt. Am Institut für Sozialanthropologie der Universität Bern analysierte Sandra Mooser im Rahmen ihrer Masterarbeit die afrikanischen Produktionen und untersuchte, wie diese in der Schweiz aufgenommen werden.
Stundenlanger «cultural trash»?
Warum ausgerechnet Nollywood? «Auf die Filme aufmerksam wurde ich während einer Reise in Nigeria. In der Stadt Lagos, dem Zentrum der nigerianischen Filmbranche, hängen überall Filmplakate», erinnert sich die Walliserin Sandra Mooser. Sie ist insbesondere von der Machart dieser Filme fasziniert: «Viele dieser Videos werden in einem äusserst kurzen Zeitrahmen und manchmal sogar nur innerhalb weniger Tage gedreht, denn den Filmemachern stehen nur geringe Mittel zur Verfügung.» Die Filme, die vor allem als VCDs oder DVDs verkauft werden, heben sich laut Mooser ausserdem durch ihre ganz eigene, afrikanische Erzählweise von westlichen Kinofilmen ab: «Die Geschichten sind geprägt von langen Dialogen, die Handlung geht nur sehr langsam voran. Nicht selten dauert ein Film drei bis vier Stunden», so die Sozialanthropologin. Geschaut werden die Filme laut der Nollywood-Expertin am liebsten in Gesellschaft, denn die schleppende Erzählweise erlaubt es, zwischenzeitlich über die thematisierten Probleme zu diskutieren und über den Fortgang der Geschichte zu mutmassen. Westliche Kritiker bezeichnen die Massenproduktion aus Nollywood nicht selten als «cultural trash», doch das afrikanische Publikum honoriert die eigenwillige Machart.
Statisten laufen zufälligerweise durchs Bild
«Nollywood ist ein riesiges Business», so Sandra Mooser. Erfolgreiche Videos mit einer Auflage von 50'000 Kopien seien in wenigen Tagen vergriffen. Dabei gelten die gleichen Regeln wie in Hollywood: «Das beste Verkaufsargument für einen Film sind bekannte Schauspieler. Auch im nigerianischen Filmbusiness gibt es Stars und Sternchen.» Die Inhalte der Filme sind sehr publikumsorientiert: «Aufgegriffen werden alltägliche Themen wie Familie, Liebe oder Tod.» Unter dem Deckmantel der Fiktion seien aber auch erzieherische Inhalte und politische Anspielungen möglich, so wird etwa die Korruption aufgenommen. Nicht umsonst gelte Nollywood als beeindruckendes Zeichen freier Meinungsäusserung in ganz Afrika. Die Nähe zum realen Leben in Afrika ist laut Sandra Mooser ein entscheidender Erfolgsfaktor von Nollywood: «Die Zuschauer können sich mit dem Gezeigten identifizieren, gerade auch wegen der Einfachheit der Produktionen. Es gibt keine Kulissen oder Effekte, Statisten laufen oft zufälligerweise durchs Bild – das vermittelt Unmittelbarkeit und Echtheit der Szenen.»
Identitätsstiftender Charakter in der Fremde
Die Filme sind bei Angehörigen der afrikanischen Diaspora auf der ganzen Welt sehr beliebt und haben für diese eine grosse soziale Bedeutung – so auch in der Schweiz. «Afrikanerinnen und Afrikaner, die hier leben, können durch die Filme einen Bezug zu ihrem Herkunftsland herstellen. Sie entnehmen den Filmen Informationen über die soziale Lage, aktuelle Themen und sogar die gegenwärtigen Modetrends in ihrer Herkunftsregion», erläutert die Sozialanthropologin. Neben dem Unterhaltungsfaktor hätten die bewegten Bilder für viele einen identitätsstiftenden Charakter.
Derzeit plant Sandra Mooser in Partnerschaft mit afrikanischen Migrantinnen und Migranten ein eigenes Filmprojekt in der Schweiz. «Wir wollen in unserem Film das Leben in der Schweiz aus einer afrikanischen Sicht zeigen.» Sie hofft, dass der Film mit dem Titel «Paradise in my Mind» dabei auch Kulturschocks, wie sie Osuofia in London erlebte, einem Schweizer wie auch einem afrikanischen Publikum sichtbar machen kann.