Musik für das Gehirn
Laue Sommerabende, ein kühles Bier, tolle Musik: Musikfestivals ziehen Tausende von Menschen in ihren Bann – wie jetzt etwa das Gurten Openair. Was bewirkt Musik im menschlichen Gehirn? «uniaktuell» deckt in einer Serie Erstaunliches über die heisse Jahreszeit auf.
«uniaktuell»: Herr Hess, kann Musik die Laune nachweislich beeinflussen? Macht traurige Musik wirklich traurig und fröhliche eine gute Laune? Welchen Effekt hat die Lautstärke - und was läuft eigentlich im Gehirn ab?
Christian W. Hess: Einiges! Musik aktiviert im Gehirn verschiedene, weitverbreitete Netzwerke, welche der kognitiven – etwa für die Analyse der Melodie und des Taktes – vor allem aber auch der emotionellen Verarbeitung dienen. So sind nebst den gehörspezifischen Regionen in beiden Temporallappen auf den Hirnseiten auch das limbische System und verschiedene Regionen des Vorderhirns involviert.
Musik macht gute Laune, kann aber schnell an die Schmerzgrenze gehen. (Bild: istock)
Die Binsenwahrheit, dass Musik die Laune beeinflusst, gilt als wissenschaftlich erwiesen – durch Studien, die auf der Einschätzung der eigenen Stimmung, aber auch auf bildgebenden Methoden wie funktionellen Magnetresonanzbildern des Gehirns beruhen. Nachgewiesen wurde etwa, dass geeignete Hintergrundmusik in Warenhäusern das Kaufverhalten und in Bahnhöfen das Aggressionspotential beeinflusst. Interessant ist allerdings die Tatsache, dass dies für gewisse Menschen mit einer Art emotioneller Amusie anlagebedingt nicht zutrifft. Dieses Phänomen ist aber noch wenig erforscht. Musik bewährt sich zudem als Therapeutikum bei verschiedenen psychiatrischen und neurologischen Affektionen.
«Musik bewährt sich als Therapeutikum bei verschiedenen psychiatrischen Affektionen»: Neurologe Christian W. Hess. (Bild:zvg)
Auch Moll kann fröhlich wirken
Traurige und fröhliche Musik gibt es tatsächlich – natürlich unter dem Vorbehalt der kulturellen Prägung dieser emotionellen Valenz: Auch ein Musikstück in Moll-Tonart kann fröhlich wirken. Erwähnenswert ist vor allem, dass dissonante Harmonien nicht nur bei Erwachsenen, sondern schon beim Neugeborenen im Vergleich zu konsonanten also «schönen» Harmonien klare Unterschiede in der Hirnaktivierung hervorrufen. Auch leise und laute Musik haben ihre Effekte auf die Zuhörerinnen und Zuhörer: Leise Hintergrundsmusik ist eher geeignet, die Menschen während einer anderen Tätigkeit unbewusst zu beeinflussen. Laute Musik erheischt Aufmerksamkeit und kann dabei schnell die Schmerzgrenze überschreiten und damit schädlich sein. Deshalb hat es sich bei vielen Jungen – vernünftigerweise! – eingebürgert, mit Hörschutz in die Disco und ans Musikfestival zu gehen.
Zur Person
Christian W. Hess ist emeritierter Professor für Neurologie und ist Konsiliarius an der Universitätsklinik für Neurologie.