Rio+20 von innen, Teil 2

Nach der Ländergemeinschaft sind an der UNO-Konferenz über Nachhaltige Entwicklung nun die Staatschefs am Ball. Delegationsmitglied Hans Hurni macht sich Gedanken über die Rolle der Wissenschaft.

Von Hans Hurni 21. Juni 2012

Rio de Janeiro, 19. Juni 2012, mittags: Rund 800 Personen aus aller Herren Länder haben ihr eigenes, neustes Verhandlungsdokument per Akklamation verabschiedet. Dies geschah knapp fünf Minuten nach Beginn der Sitzung, als noch nicht alle Teilnehmenden ruhig geworden waren und immer noch ein paar Hundert Leute versuchten, es sich auf dem Boden bequem zu machen, da es schlicht nicht genug Sitzplätze für alle gab. Die Annahme des Entwurfs, an welchem die Ländergemeinschaft über ein Jahr lang intensiv gearbeitet hatte, ging so schnell vor sich, dass das Delegationsmitglied eines afrikanischen Landes nachfragen musste, warum denn eigentlich so lange geklatscht worden sei. Schliesslich wurde dann darüber informiert, dass damit die Vorverhandlungen abgeschlossen seien, und die Delegationen aller beteiligten Länder ihre Arbeit beendet hätten.


Aufruf an die Wissenschaft, Forschungsförderung und Entwicklungszusammenarbeit: Hans Hurni an der UNO-Konferenz. (Bild: zvg)

Gut so, denn die letzten Tage waren gefüllt mit äusserst intensiven Verhandlungen, die sowohl auf, hinter, unter als auch vor der Bühne stattfanden. Dazwischen gab es stets nur wenige Stunden Schlaf. Jetzt steht also der Entwurf eines Dokuments, das die Staatschefs diskutieren und bis am Freitag, 22. Juni 2012 als Hauptergebnis der Konferenz von Rio+20 zu nachhaltiger Entwicklung beschliessen sollten. So weit so gut.

Die UNO-Konferenz und die Wissenschaft

Als Vertreter der Schweizer Wissenschaft muss ich mich nun fragen: Was bringt Rio+20 der Wissenschaft? Mehr Anerkennung? Mehr Arbeit? Neue Aufgaben? Ich durchforste das knapp 50-seitige Verhandlungsdokument mit Suchfunktionen im Wordprogramm. Der Begriff «Universität» ist im Dokument ein einziges Mal erwähnt. «Forschung» kommt immerhin 17-mal vor, und bei «Wissenschaft» kommt man auf 23-mal. Wesentlich wichtiger ist der Begriff «Capacity building», welcher immerhin 71-mal erwähnt wird. Insgesamt ist die Ausbeute für Forschung und Wissenschaft also nicht so schlecht. Vor allem die Entwicklungsländer konnten nicht genug betonen, wie wichtig ihnen die Entwicklung ihrer personellen Ressourcen in Wissenschaft und Technologie ist. Sie stehen vor gewaltigen Herausforderungen bei der Entwicklung ihrer Länder zu Wissensgesellschaften, das heisst sie wollen gleich werden wie die reichen Länder.

Gefordert: Inter- und Transdisziplinarität

Aber ich muss mich auch umgekehrt fragen: Was trägt die Wissenschaft zur Umsetzung von Rio+20 bei? Natürlich wird es darum gehen, die Forschung noch mehr auf die drei Dimensionen einer nachhaltigen Entwicklung auszurichten. Beiträge dazu könnten durchaus disziplinär sein, aber immer wichtiger wird daneben die Förderung von inter- und transdisziplinären Ansätzen. Die Zusammenarbeit zwischen den Natur-, Ingenieur- und Sozialwissenschaften muss gefördert werden. Der Einbezug der Gesellschaft bei der Definition der Ziele, mit welchen eine nachhaltige Entwicklung angestrebt werden soll, muss gesichert sein. Und die Wege, die eine Gesellschaft und Wirtschaft vom heutigen Zustand in eine nachhaltigere Zukunft einschlagen soll, müssen erforscht sein. Mit anderen Worten: Es braucht neben dem klassischen Systemwissen neu auch Zielwissen und Transformationswissen. Letztere Bereiche sind aber relativ neu für die Forschung.

Was kommt nach dem NCCR North-South?

Das gilt nicht nur für die Forschung in der Schweiz, sondern mindestens ebenso für die Forschungszusammenarbeit mit Entwicklungs- und Transitionsländern. Der Nationale Forschungsschwerpunkt NCCR North-South hat das gemäss externen Evaluationen während über zehn Jahren mit viel Erfolg praktiziert. Die Zukunft wird nun zeigen, ob die Forschungsförderung und die Entwicklungszusammenarbeit bereit sind, solche Erfahrungen aufzunehmen und weiterhin zu unterstützen oder nicht. Leider stehen die Zeichen im Moment nicht so gut.

Die vergangene Woche hier in Rio war anstrengend. Von der faszinierenden Stadt habe ich bisher kaum etwas gesehen. An der Vorbereitungskonferenz war ich meist teilnehmender Beobachter und ab und zu Akteur auf Nebenschauplätzen. Trotzdem hat sich die Reise gelohnt, für die Akademien der Wissenschaften der Schweiz, die mich vorgeschlagen haben, für die Universität Bern, der ich viele neue Erkenntnisse zurückbringe, und auch für mich persönlich, der ich viele alte Freunde getroffen und neue Freunde gewonnen habe.

Zur Person

Professor Hans Hurni, 62, präsidiert den Aussschuss des Centre for Development and Environment CDE der Universität Bern und ist Direktor des NCCR North-South. Im Rahmen seiner Forschungstätigkeit auf dem Gebiet der Nachhaltigen Entwicklung hat Hans Hurni Felderfahrung in verschiedensten Ländern in Afrika und Asien sammeln können. Hurni ist Mitglied der Schweizer Rio+20-Delegation.

Zur Konferenz

Die Menschheit lebt und wirtschaftet nicht nachhaltig. Armut, die Zerstörung der natürlichen Lebensgrundlagen und Stabilität bleiben langfristig die grössten Herausforderungen. Die Konferenz vom 20. bis 22. Juni 2012 will auf höchster politischer Ebene das Engagement für die nachhaltige Entwicklung erneuern und verstärken.

Die Schweiz wird vertreten durch Bundespräsidentin Widmer-Schlumpf und Bundesrätin Leuthard. Die Schweizer Delegation besteht aus rund 50 Personen.

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