Nächster Halt: Rio

Eine Zukunft, ohne die Erde aus der Balance zu bringen: Das suchen arme und wohlhabende Länder im Juni 2012 an der Konferenz über Nachhaltige Entwicklung Rio+20. In der Aula der Uni Bern diskutierten Delegierte der Schweiz über ihre Erwartungen.

Von Matthias Meier 08. Juni 2012

«Man muss schnell handeln, man muss sehr schnell handeln.» Das waren 1992 die Schlussworte der Rede von Bundesrat Flavio Cotti an der Konferenz der Vereinten Nationen über Umwelt und Entwicklung in Rio de Janeiro. 20 Jahre später bereiten sich Vertreterinnen und Vertreter aus der ganzen Welt auf einen neuen Weltgipfel vor – die Konferenz über Nachhaltige Entwicklung Rio+20. Was hat sich seit dem letzten Weltgipfel in Brasilien getan? Und wie sieht eine wünschenswerte Zukunft aus? Diese Fragen diskutierten Vertreter der Schweizer Delegation für Rio+20 am Podium, das vom Centre for Development and Environment (CDE) der Universität Bern in Zusammenarbeit mit verschiedenen Bundesämtern durchgeführt wurde. «Die heutige Veranstaltung zeigt, wie die Universität mit Bundesbern zusammenarbeitet», sagte Rektor Martin Täuber in seiner Eröffnungsrede. Er begrüsste in der gut gefüllten Aula Vertreter der Direktion für Entwicklung und Zusammenarbeit (DEZA), des Bundesamts für Umwelt (BAFU), des Staatssekretariats für Wirtschaft (SECO) und des Bundesamts für Raumentwicklung (ARE).


«Willkommen Bundesbern»: Rektor Martin Täuber begrüsst die Gäste in der Aula. (Bilder: Peter Mosimann​) 

Was hat sich in 20 Jahren getan?

«Heute leben eine Milliarde Menschen in Armut, 10 Prozent der Bevölkerung besitzen mehr als 50 Prozent des globalen Einkommens und die natürlichen Ressourcen werden enorm schnell verbraucht», eröffnete Moderator Martin Läubli die Diskussion. «Gibt es auch positive Entwicklungen seit der UN-Konferenz von 1992?» Bruno Oberle, Direktor des BAFU und Leiter der Schweizer Delegation in Rio, erklärt, dass in den letzten 20 Jahren eine grosse Anzahl Menschen den Weg aus der Armut in den Mittelstand gefunden hätten, etwa in China und Indien. Das sei eine wünschenswerte Entwicklung. «Vor 1992 gab es wenig Bewusstsein für die ökologischen Grenzen unserer Welt», ergänzte Martin Dahinden, Direktor der DEZA, «erst seit der damaligen Konferenz in Rio besteht in der Öffentlichkeit ein Bewusstsein dafür, dass sich etwas ändern muss.»


«Heute gibt es weniger Arme, als noch vor 20 Jahren»: BAFU-Direktor Bruno Oberle.

Hans-Peter Egler vom SECO glaubt, dass sich die Wirtschaft in den letzten Jahren die Kriterien der Nachhaltigkeit zu Herzen genommen hat. «Natürliche Ressourcen sind heute viel teurer als noch vor einigen Jahrzehnten. Globale Konzerne können es sich deshalb gar nicht mehr leisten, verschwenderisch damit umzugehen.» Als Vertreter der Wissenschaft betonte Hans Hurni vom CDE den Lernerfolg der letzten 20 Jahre. «Das Wissen über ökologische Herausforderungen ist enorm gewachsen, in diesem Sinne war die Konferenz von 1992 für die Problem-Benennung sehr fruchtbar.» Jedoch wurden viele damals vereinbarte Versprechen laut Hurni nicht eingehalten, «das ist ein Misserfolg».

Was bringt Rio+20?

Es hat sich in den letzten 20 Jahren also einiges getan. Was kann nun vom neuerlichen Weltgipfel, der vom 20. bis 22. Juni stattfindet, erwartet werden? «An der Konferenz geht es um die Festlegung globaler Standards», so Bruno Oberle, «damit ist aber unweigerlich die unangenehme Frage verbunden, wer die Welt regiert – es geht um Macht.» David Bresch, Nachhaltigkeitsexperte von der Swiss Re-Versicherung, stimmt zu, dass globale Spielregeln das Ziel sein müssen, «bis diese verbindlich festgelegt sind, wird es aber dauern», deshalb solle man mit globalen Standards auch experimentieren dürfen. Bei der Bewertung von Rio+20 dürfe man sich nicht zu stark auf das resultierende Dokument fokussieren, mahnte Martin Dahinden. «Entscheidend sind die konkreten Initiativen, die erst nach der Konferenz losgetreten werden.»


Plädiert für einen Paradigmenwechsel: DEZA-Direktor Martin Dahinden.

Welches sind die Strategien?

Um die Zukunft weltweit zu sichern, ist laut dem Direktor der DEZA ein Paradigmenwechsel nötig: «Wenn Nachhaltige Entwicklung als Machtfrage konzipiert ist, wird es schwierig, einen Konsens zu finden.» Die Länder des Nordens hätten nur eine Zukunft, wenn sie sich um die Armut im Süden kümmerten, so Dahinden, «Entwicklungszusammenarbeit sichert auch unsere Zukunft». SECO-Vertreter Egler glaubt hingegen, dass weiteres Wirtschaftswachstum nötig ist. «In ärmeren Regionen der Welt kann die Armut mit Effizienzsteigerung reduziert werden», so Egler. Annemarie Huber-Hotz, Präsidentin vom Schweizerischen Roten Kreuzes, differenzierte: «Die Antwort kann nicht quantitatives Wachstum sein, vielmehr muss qualitatives Wachstum gefördert werden», also Wissen und Innovationen gestärkt und so die Qualität von Produkten verbessert werden.


«Realistische Lösungen anstatt falsche Hoffnungen»: Hans Hurni vom CDE der Uni Bern.

Fehlender Enthusiasmus als Chance

Die rund 50'000 Menschen, die sich zur UN-Konferenz in Rio treffen, werden genug Gesprächsstoff haben. Erwartungen und Strategien, wie eine nachhaltige Welt in Zukunft gestaltet werden kann, sind vorhanden. Viel Enthusiasmus ist im Vorfeld von Rio+20 bei den Teilnehmenden aber nicht zu spüren, wie Hans Hurni vom CDE bestätigt. «Vielleicht ist aber diese Nüchternheit gerade der richtige Weg, die Ziele für die nächsten 20 Jahre festzulegen», so Hurni. «Anstatt uns falsche Hoffnungen zu machen, wollen wir in Rio realistische Lösungen finden.»

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