Heidelbeere, Cannabis und afrikanische Sträucher
Rudolf Brenneisen untersucht Medizinalpflanzen aus der halben Welt. Der Pharmazeut ist auf die Erforschung von Pflanzenwirkstoffen spezialisiert – und ist der Cannabis-Experte der Uni Bern.
Alles begann mit der Heidelbeere: Der junge Pharmazeut Rudolf Brenneisen untersuchte in den 1970er-Jahren in seiner Doktorarbeit an der Uni Bern die Inhaltsstoffe und die Wirkung der feinen Beere in Abhängigkeit des Reifegrades. Dies war der Beginn einer Forscherkarriere, die sich bis heute den Molekülen von Pflanzen widmet. Seiner Passion begegnete der heute 63-Jährige gegen Ende der Doktorandenzeit: Als 1979 die Polizei an sein Labor klopfte und ihn bat, bei einer Razzia konfiszierten Hanf analytisch zu untersuchen, weckte dies seine Faszination für die Cannabis-Pflanze. In der Folge entwickelte er und sein Forschungsteam eine Mess-Methode für den THC-Gehalt – und Rudolf Brenneisen wurde mit der Zeit zu einem ausgewiesenen internationalen Cannabis-Experten.
Den THC-Gehalt von konfiszierten Cannabisproben untersucht Rudolf Brenneisen mit einem speziellen Analysegerät. (Bild: R. Brenneisen)
Der Hanf: Medizin aus der Blüte
«Die Cannabis-Pflanze ist nicht nur aus forensisch-toxikologischer Sicht ausserordentlich interessant», sagt Rudolf Brenneisen, der heute am Departement für Klinische Forschung der Universität Bern Professor auf dem Spezialgebiet der Pflanzenwirkstoffe, der sogenannten Phytopharmakologie, ist. Einer seiner Forschungsschwerpunkte ist deshalb auch der Hanf als Medizin. In klinischen Studien an Gesunden und Patienten erforscht er das Wirkprofil von Cannabinoiden, vor allem dem Hauptwirkstoff Tetrahydrocannabinol (THC). «Cannabis kann zum Beispiel schwere Muskelspasmen, etwa bei Multiple-Sklerose-Patienten, lindern und Schmerzen hemmen. Zudem wirkt er appetitsteigernd und reduziert die Nebenwirkungen von Chemotherapien», erläutert Brenneisen.
Wirkt schmerzhemmend und löst schwere Muskelspasmen: Wirkstoffe aus der Cannabis-Blüte. (Bild: fotolia)
Doch die Abgabe von Medizinalhanf ist in der Schweiz seit 1970 verboten. Mit seiner Arbeitsgruppe setzt sich der Experte für Pflanzenwirkstoffe dafür ein, dass das therapeutische Potenzial der Cannabis-Pflanze ausgeschöpft und in der Schulmedizin wieder thematisiert wird.
Körpereigene Stoffe als Schlüssel
Die Erforschung der Cannabinoide führte vor 20 Jahren zur Entdeckung eines Systems von Rezeptoren im Körper, an welchen die THC-Moleküle des Cannabis andocken und ihre Wirkung zeigen. Für diese Rezeptoren müssen also zwangsläufig auch körpereigene Stoffe existieren, die über dieses bestehende System wirken können und den Wirkstoffen im Hanf sehr ähnlich sind: So fand man die sogenannten Endocannabinoide. «Dieses Forschungsfeld boomt weltweit gewaltig», so Pharmazeut Brenneisen, er erklärt: «Das körpereigene Endocannabinoid-System kann man sich wie ein Schloss vorstellen, das mit dem richtigen Schlüssel geöffnet werden kann.»
Körpereigene Stoffe gleichen denjenigen der Hanfpflanze: «Endocannabinoide beeinflussen etwa unsere Wahrnehmung.» (Bild: fotolia)
Das Aktivieren dieser «Schlösser» löst im menschlichen Körper verschiedene Reaktionen aus. So beeinflussen die Cannabis-ähnlichen Stoffe etwa unsere Wahrnehmung, das Empfinden von Schmerzen, regulieren das Immunsystem, steuern Bewegungsfunktionen oder spielen – wie Berner Forscher jüngst herausgefunden haben – beim Vergessen eine Rolle. In einem aktuellen Projekt untersucht Brenneisen und sein Team in Zusammenarbeit mit klinischen Hepatologen die Rolle der Endocannabinoide bei Leberkrankheiten. Um deren extrem tiefe Konzentrationen im Blut, sie liegen im Bereich von Milliardsteln, messen zu können, mussten alle Register der Hightech-Instrumentalanalytik gezogen werden.
Der Iboga-Strauch: Wurzeln und Blätter aus Kamerun
Brenneisen kennt sich aber nicht nur mit Cannabis aus: Kürzlich untersuchte er in seinem Labor mit einem Gastforscher aus Kamerun diverse Pflanzen aus dem afrikanischen Hinterland. Der kamerunische Chemiker sammelte Tropenpflanzen, die traditionelle Heiler ihren Patienten verschreiben. «Wir schlüsselten das afrikanische Pflanzenmaterial chemisch auf und testeten die isolierten Inhaltsstoffe auf ihre Wirkung», schildert Rudolf Brenneisen. «Einige zeigten eine Reaktion bei Erregern von Tropenkrankheiten, zum Beispiel der Malaria».
Er trägt orange Früchte, die psychoaktiven Substanzen finden sich aber vor allem in den Wurzeln des Iboga-Strauchs. (Bild: Marco Schmidt, Wikimedia Commons, Lizenz: CC)
Ein Strauch aus Kamerun, dessen Wurzeln für schamanische Rituale verwendet werden, hat ganz besondere Fähigkeiten. «Im Iboga-Strauch kommt die psychoaktive Substanz Ibogain vor. Wegen des Missbrauchspotentials ist sie in vielen Ländern verboten, so auch in der Schweiz». Laut dem Experten wird dieser Stoff derzeit aber in der Behandlung von Opiat-, Alkohol- und Nikotin-Suchtproblemen klinisch getestet. Dass Ibogain den Drogenentzug erleichtert, wurde bereits bewiesen, hingegen wird der Wirkmechanismus noch nicht verstanden. Weltweit benötigt die Forschung deshalb kiloweise Ibogain.
Arbeit für 100 Jahre und länger
Die Kultivierung der Pflanze ist aber schwierig und die Synthese des Wirkstoffes sehr teuer: «Wir versuchen zur Zeit in Kooperation mit einer Basler Biotech-Firma eine Gewinnung im Bioreaktor», sagt der Wissenschaftler. «Der Durchbruch, dass mit Hilfe von Bakterien aus wenig Blattmaterial das komplexe Molekül Ibogain resultiert, ist leider noch nicht gelungen», bedauert er. Die Erforschung von Pflanzenwirkstoffen wird also auch in Zukunft nicht so schnell ausgehen: «Heute sind erst knapp zehn Prozent der Pflanzen analysiert, die Natur hält noch Forschungsarbeit für 100 Jahre und länger bereit», so Brenneisen.