Unkooperative Ratten müssen hungern

Ratten sind sozial lebende Tiere und helfen einander aus der Patsche. Wem geholfen wird, unterliegt jedoch einer Kosten-Nutzen-Analyse, wie ein Berner Experiment zeigt. Eine unkooperative Ratte wird am ehesten stehen gelassen.

Von Bettina Jakob 04. Mai 2012

Wir helfen der Nachbarin die Einkaufstaschen hochtragen, da sie einem auch schon mal den Bohrer ausgeliehen hat. Manchmal helfen wir aber auch einem Unbekannten, ohne dass uns dieser je einen Gefallen getan hätte. Stets aber gründet die Entscheidung, ob wir uns sozial verhalten und kooperativ sind, auf einer Kosten-Nutzen-Analyse: Wie viel Aufwand haben wir? Was bringt es uns? Logisch für uns Menschen – überraschend bei der Ratte. Evolutionsbiologinnen und -biologen der Uni Bern haben herausgefunden, dass offenbar auch Ratten abschätzen, wie viel es sie kostet, und was es anderen bringt, wenn sie ihren Artgenossen Hilfe leisten.

Ratte im Käfig
Eine Ratte zieht Futter für ein anderes Tier im Käfig dahinter heran. Sie hilft vor allem Tieren, die ihr vorher auch geholfen haben. Bild: Zvg

Gegenseitigkeit mit Mass

Man weiss, dass sich Ratten für andere Ratten einsetzen, die ihnen auch schon geholfen haben – bekannt als direkte Gegenseitigkeit. Ebenso, dass sie scheinbar uneigennützig Fremden helfen, sobald ihnen selbst einmal Hilfe zu teil wurde  – die allgemeine Gegenseitigkeit. «Neu ist die Erkenntnis, dass kooperierende Ratten die Kosten ihrer Aktion abschätzen», sagt Karin Schneeberger, Erstautorin der Studie, die nun im Journal «BMC Evolutionary Biology» publiziert wurde. Dies hat einen grossen Einfluss auf die Hilfsbereitschaft der Tiere – den im Berner Experiment vor allem die Unkooperativen zu spüren bekommen: «Wird der Aufwand für eine Hilfeleistung höher, lassen die Ratten als erstes ihre asozialen Partnerinnen fallen.»

Das clevere Tier-Experiment

Wie testet man die Hilfsbereitschaft bei Ratten? An der Abteilung für Verhaltensökologie der Uni Bern trainierten die Biologen weibliche Wanderratten (Rattus norvegicus), einen mechanischen Apparat zu bedienen, mit welchem eine Ratte für eine andere Futter bereit stellen konnte: In einem Käfig mit zwei Abteilen befindet sich je eine nicht-verwandte Ratte. Vor dem Käfig steht eine Plattform auf Schienen, die von einer der beiden Ratten mit Hilfe eines langen Stabes zum Käfig gezogen werden kann (siehe Grafik). Auf der Plattform befindet sich eine Haferflocke. «Zieht die eine Ratte am Stab, erhält die andere den Leckerbissen», erklärt Biologin Schneeberger das Design.

Gezeichnetes Modell des Experiments
Der Versuch: Die schwarze Ratte (links) kann mit einem Stäbchen (S) die Rampe (T) mit dem Futter (R) für ihre graue Kollegin (rechts) heranziehen. Grafik: Zvg

Die Kosten des Helfens manipulierten die Forschenden über den Zugwiderstand, den eine Ratte überwinden muss, um die Plattform heranzuziehen; sie konnten diesen um ein bis fünf Newton erhöhen. Der Nutzen für das Empfängertier wurde erhöht, indem es über Nacht hungern musste.

Sind Ratten empathisch?

Das Ergebnis des Versuchs mit 14 trainierten Ratten: Steigt der Kraftaufwand, verzichtet eine Ratte eher auf eine Hilfeleistung für ein unkooperatives als für ein kooperatives Individuum. Und: «Befand sich ein hungriges Tier nebenan, zogen die Ratten besonders dann die Haferflocken heran, wenn das Tier relativ wenig Gewicht und daher ein höheres Bedürfnis nach Futter hatte, als ein schwereres, reichlich genährtes», stellt Karin Schneeberger fest: «Das könnte ein Zeichen von Empathie sein.»

Waren die Empfängerratten aber satt, so holten die Ratten die Futterrampe öfter für schwere Tiere heran. «Dieses Verhalten kann wahrscheinlich als Spiegel der jeweiligen Dominanzverhältnisse verstanden werden», vermutet die Biologin, denn die Körpergrösse steht bei den Wanderratten für Dominanz. «Hilft eine Ratte einer dominanteren, kann das womöglich dazu führen, dass sie in Zukunft weniger stark angegriffen wird», folgert Schneeberger. Auf jeden Fall ist klar – wenn es neben den Menschen auch die Tiere tun, ist es «sehr wahrscheinlich, dass Kosten und Nutzen für die Evolution kooperativen Verhaltens eine fundamentale Rolle spielen.»