Wahn, Muskelzucken, Schlappheit: Schizophrenie ist nur schwer fassbar

Die Schizophrenie hat viele Gesichter. Der Berner Forscher Sebastian Walther von der Universitätsklinik und Poliklinik für Psychiatrie Bern versucht, eine Symptomgruppe besser zu verstehen – die motorischen Störungen. Er stellt fest, dass gewisse Hirnbereiche bei Betroffenen weniger durchblutet sind.

Von Bettina Jakob 04. September 2012

Er ist ganz sicher, irgendjemand will ihm Gift in den Kaffee mischen. Das verrät dem Mann die Stimme in seinem Kopf. Und sie, die junge Frau, sorgt sich um ihre Gedanken, jemand will sie stehlen und ihr über Handystrahlen fremde einpflanzen. Solche wahnhaften Vorstellungen sind unheimliche Symptome der Schizophrenie, und die Betroffenen lassen sich kaum von diesen Ideen abbringen – denn die Störung des logischen Denkens ist ein weiteres Merkmal der schweren psychischen Erkrankung: «Die kognitiven Leistungen sind bei den Betroffenen verändert. Die einen können kaum einen klaren Gedanken fassen, weil sie durch assoziative Einfälle vom Hundertsten ins Tausendste gelangen, andere wiederum leiden unter Ideenlosigkeit», wie Sebastian Walther, Psychiater von der Universitätsklinik und Poliklinik für Psychiatrie Bern erklärt.

Geht den motorischen Störungen der Schizophrenie-Kranken auf den Grund: Sebastian Walther. Bilder: zvg

Kein Antrieb und zuckende Muskeln

Weniger bekannt hingegen ist, dass die Patientinnen und Patienten zusätzlich mit körperlichen Beschwerden zu kämpfen haben: Bei rund 80 Prozent der chronisch Kranken ist die Motorik beeinträchtigt – sie leiden zum Beispiel an Antriebslosigkeit, ungewollten Muskelzuckungen, zitternden Extremitäten oder starren Gliedern. Sebastian Walther erforscht die Ursache dieser Symptome, über die «man erst sehr wenig weiss». Kürzlich hat er ein internationales Symposium in Bern organisiert, um Erkenntnisse zusammenzutragen und Kollaborationen anzustossen.

Lange gingen die Forschenden davon aus, dass die Bewegungsstörungen Nebenwirkungen der Psychopharmaka seien, welche die Schizophreniekranken einnehmen müssen. «Man dachte, dass die Senkung des Gehirn-Botenstoffes Dopamin, der bei den Patientinnen und Patienten zu hoch ist, diese motorischen Eigenarten auslösen würde – ähnlich den Parkinsonpatienten, die über zu wenig Dopamin verfügen», erklärt Walther den lange geltenden Trugschluss. In einer Übersichtsarbeit hat der Berner Forscher schliesslich dargestellt, dass die Symptome auch bei Betroffenen auftreten, die keine medikamentöse Therapie erhalten.

Eine von hundert Personen erkrankt

Die Schizophrenie ist schwer fassbar, auch die Ursachen der Erkrankungen sind kaum eindeutig. «Stress und Genetik scheinen wichtige Auslöser zu sein», so der Neuroforscher. Auch durch verschiedene Umwelteinflüsse kann das Risiko für eine Erkrankung steigen, etwa durch Cannabiskonsum in jungen Jahren, bestimmte Krankheiten in der Schwangerschaft oder durch das Aufwachsen in einer Grossstadt. Das Risiko, einmal im Leben mindestens eine schizophrene Episode zu erleiden, liegt bei 1:100. «Der Krankheitsverlauf ist nicht bei allen Betroffenen gleich», wie Sebastian Walther erklärt: Die einen erleben die Schizophrenie in Episoden, andere nur einmalig, einige aber erkranken chronisch.

Die Durchblutung spielt eine Rolle

Vielfältig sind auch die betroffenen Systeme im Gehirn: Die paranoiden Symptome werden vermutlich durch ein Ungleichgewicht von Stoffwechselvorgängen hervorgerufen, hauptsächlich wohl durch den zu hohen Dopamin-Spiegel. Aber auch die Hirnstrukturen der Erkrankten scheinen anders zu sein als bei gesunden Menschen – was gemäss Walther eben motorische Störungen hervorrufen kann: «Magnetresonanzbilder unserer Studien zeigen, dass etwa der Thalamus, eine Hirnstruktur, die für die Steuerung der Motorik wichtig ist, bei gesunden Menschen in Bewegung stärker durchblutet ist als bei Schizophreniekranken», so Walther. Damit lasse sich vielleicht deren innere Antrieblosigkeit erklären. Der Neuroforscher will herausfinden, ob auch die Muskelzuckungen durch Durchblutungsstörungen verursacht werden.

Magnetresonanzbild vom Hirn.
Magnetresonanzbild vom Hirn: In oranger Farbe sind Regionen gekennzeichnet, deren Durchblutung bei Schizophreniekranken mit der Bewegungsmenge korreliert.

Weitere Untersuchungen mittels Magnetresonanztomographie zeigten ausserdem, dass auch die weisse Substanz also die Nervenfasern, welche die Verbindungen zwischen den Gehirnarealen herstellen, für die Motorik wichtig sind: «Bei Menschen, die sich viel bewegen, erscheinen die Verbindungen gerichteter.»

Aktuelle Therapien sind unspezifisch

Die Komplexität der Schizophrenie fordert die Forschenden heraus: «Die Netzwerke im Gehirn von Erkrankten funktionieren nicht reibungslos, die Verbindungen zwischen den Hirnarealen und die Stoffwechsel sind beeinträchtigt», fasst Walther zusammen. Noch heute lässt sich die Krankheit nicht ganz greifen – «die geläufige Behandlung mit Psychotherapie und Medikamenten ist nach wie vor sehr unspezifisch», sagt Sebastian Walther. Wichtig sei es, verschiedene Symptomgruppen zu erforschen und diesen Ansätzen auf den Grund zu gehen. Nur auf solchen Erkenntnissen liessen sich dereinst erfolgreiche Therapien entwickeln.

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