Wenn Probleme plötzlich herumgeistern
Eigenartige Körperempfindungen, Spuk in der Nacht, Stimmen, die sonst niemand hört: Die Berner Psychologin Martina Belz hat ein Buch über «aussergewöhnliche Erfahrungen» geschrieben. Und darüber, wie eine Psychotherapie Betroffenen helfen kann.
Das hatte Herr E. ganz sicher nicht erwartet, als er des Nachts wegen elektrischen Störungen zur Familie X. gerufen wurde. Der Elektriker wurde Zeuge, wie die Familie durch verstörende Phänomene in Atem gehalten wurde: Da schaltete sich der Fernseher selber ein und aus, die Knöpfe am Herd drehten sich selbstständig, auch noch als der Elektriker die Sicherung abgeschaltet hatte. Alles passierte, ohne dass sich irgendwelche Mängel an den elektrischen Geräten feststellen liessen. Bei einem zweiten Besuch zusammen mit einem Elektriker-Kollegen am nächsten Tag spitzte sich die Situation gar zu – Herr E.’s Kollege beobachtete eine Flasche, die offenbar aus dem Nichts erschien, sich auf die beiden Söhne der Familie zubewegte und an der Wand zerschellte. In Panik flüchteten alle Anwesenden aus dem Haus.

Diese Erlebnisse schilderte der Elektriker E. den Psychologen am Institut für Grenzgebiete der Psychologie und Psychohygiene (IGPP) in Freiburg im Breisgau. Martina Belz, Forscherin am Psychologischen Institut der Universität Bern, ist Supervisorin am IGGP und hat ein Buch über solche «aussergewöhnlichen Erfahrungen» geschrieben. Ihr dazu entwickeltes Beratungskonzept soll Menschen, die von Spukgeschichten heimgesucht werden, helfen.
Keine Evidenz für psychische Störungen
Um es gleich vorwegzunehmen: Martina Belz kann nicht sagen, ob es Spuk tatsächlich gibt oder nicht. Sie weiss aber aufgrund der bisher rund 2000 Ratsuchenden, deren Erlebnisse sie im Buch verarbeitet, dass viele Menschen von solch unglaublichen Ereignissen berichten. Eine repräsentative Umfrage aus Deutschland zeigt, dass rund zwei Drittel der Bevölkerung bereits besondere Erlebnisse hatte – «natürlich nicht immer in der ausgeprägten Form wie bei der Familie X.», so Belz.
Und noch etwas kann die Psychologin aufgrund ihrer Studien klarstellen: «Es gibt keine statistische Evidenz, dass psychische Störungen bei Menschen, die aussergewöhnliche Erfahrungen machen, häufiger vorkommen als in der Allgemeinbevölkerung.»
Vier Abweichungen von der Normalität
Martina Belz differenziert vier Formen von Phänomenen, die als «Abweichungen von der gewohnten Wirklichkeit auftreten»: internale Phänomene als Anomalien im Selbstbild wie etwa Gedankeneingebung, externale Phänomene als Anomalien im eigenen Weltmodell wie etwa der Spuk aus dem Hause X., so genannte Koinzidenz-Phänomene als sinnvolle, aber kausal nicht nachvollziehbare Zusammenhänge wie Telepathie und schliesslich Dissoziations-Phänomene wie etwa ausserkörperliche Erfahrungen. «Bei von uns erfassten aussergewöhnlichen Phänomenen handelt es sich zur Hälfte um externale Ereignisse», stellt Belz fest.
Konflikte manifestieren sich
Eine Gemeinsamkeit scheinen die Betroffenen aufzuweisen: «Die meisten sind in einer besonderen psychischen Verfassung», sagt Martina Belz. Sie hat festgestellt, dass «sich oftmals unbewusste Konflikte in der Innen- oder Aussenwelt als Anomalie manifestieren». Sozial isoliert lebende Menschen erzählen denn eher von internalen Erlebnissen, sie hören also Stimmen oder fühlen eigenartige Energieströme. Sind die Konflikte eher in einem sozialen System angesiedelt, werden sie gemäss Belz eher als merkwürdige externale Phänomene sichtbar, die im Haus herumspuken.
Aus ihren Beratungen lässt sich erschliessen, dass die aussergewöhnlichen Ereignisse stets auf psychische Aufgaben hinweisen, die bislang nicht angegangen worden sind. «Bei Spuk zum Beispiel scheint – aus welchen Gründen auch immer – stets das Thema ‹Autonomie› eine Rolle zu spielen. Er tritt vorwiegend in eng verbundenen Systemen wie Familien, Beziehungen und Arbeitsteams auf», so die Psychologin.
Was passiert in der Beratung?
Was immer auch durch die Luft fliegt oder zerspringt oder rasselt, die Psychologin bietet Hilfestellungen, wie den Spuk-Erlebnissen ein Ende gesetzt werden kann: «Tatsächlich liefert etwa die Systemtheorie einen hilfreichen Ansatz», erklärt Belz. «Spuk kann sich schnell auflösen, sobald Bedeutung in das System – also in die eng verknüpften Beziehungen, Familien, Teams, wo sich das Eigenartige zeigt – gebracht wird.» Konkret heisst dies: Die Betroffenen werden sich in der Beratung ihrer Probleme bewusst, vielleicht ziehen sie gar gewisse Konsequenzen daraus. Mit dem Resultat, dass die verstörenden Geschichten aufhören.
Modelle – aber keine Spekulation
Doch welche Erklärungen liegen den merkwürdigen Vorkommnissen zugrunde? Überlegungen des Physikers Wolfgang Pauli und des Tiefenpsychologen Carl Gustav Jung stellten den Begriff der «Synchronizität» auf, die sinnvolle, aber nicht kausal zusammenhängende Ereignisse beschreibt: Etwa wenn zu Hause just in dem Moment eine Vase zerspringt, wenn der Ehemann im Ausland bei einem Unfall verletzt wird. Jung ging davon aus, «dass Psyche und Materie in beständiger Berührung sind», und dass «Materie und Psyche zwei Aspekte einer und derselben Sache sind».
Diesen Ansatz des Holismus verfolgt auch die Quantentheorie, die zum Beispiel davon ausgeht, dass erst durch Messvorgänge an einzelnen Teilchen überhaupt einzelne Teilchen entstehen. Würden Teilchen nicht beobachtet, verhielten sie sich auch gar nicht wie separate Teilchen sondern als ein Ganzes. «Damit könnte eine mögliche Erklärung vorliegen, wie Unbewusstes in einer verborgenen Welt eine Entsprechung in der fassbaren Welt haben könnte, welche sich sonderbar manifestiert», sagt die Psychologin.
Der Rat der Psychologin
Doch keine Spekulationen, die Hauptsache für Belz ist, dass ihr Beratungskonzept hilft – denn viele Betroffene leiden unter den gespenstischen Erfahrungen, die an ihrem Weltbild rütteln. Poltert es durch die Gänge im eigenen Haus, rät die Expertin, sich erst einmal zu fragen: «Was kann das mit mir zu tun haben? Was für eine Botschaft könnte das sein, wo gibt es Probleme in meinem Leben?» Es kann gut sein, dass der Poltergeist einfach ein lang unterdrückter Wunsch ist, der sich auf eine sehr, sehr aussergewöhnliche Art präsentiert.