Der Labrador mit den kurzen Beinen
Ein Grössenunterschied von sechs Zentimetern: Dieser grosse Effekt einer einzelnen Gen-Variante beim Labrador erstaunt die Berner Genetiker. Gefunden haben sie das entsprechende Gen bei der Analyse des gesamten Genoms – mit einem superschnellen DNA-Sequenzierungsgerät an der Uni Bern.
Er erinnert eher an einen Dackel als an einen Labrador Retriever. Der Hund hat sichtbar kürzere Beine als seine normalwüchsigen Artgenossen: Das Tier weist eine Form von disproportioniertem Zwergwuchs auf, welcher gemäss Tosso Leeb vom Institut für Genetik an der Vetsuisse-Fakultät zwar den Züchtern nicht gefällt, aber dem Tier keine gesundheitlichen Probleme verursacht. Das Team des Genetikers kam der Ursache für die fehlenden sechs Zentimeter Schulterhöhe auf die Schliche und hat nun die Resultate über die entschlüsselte Genvariante der vererbten Skelettdysplasie in «PLOS ONE» publiziert.
Von Auge sichtbarer Unterschied
Erstaunlich an der Entdeckung dieser Genvariante des Kollagen-Gens auf Chromosom 12 ist der grosse Effekt: «Bei acht von zehn betroffenen Hunden kann man durch das alleinige Betrachten eindeutig sagen, dass sie diese Genvariante tragen», so Leeb. Es gilt als eher unüblich, dass ein Gen, welches für die Körpergrösse kodiere, als Variante einen solchen Grössenunterschied ausmache. Bemerkenswert ist diese Beobachtung auch deswegen, weil die Körpergrösse ein Merkmal ist, das bei Säugetieren inklusive dem Menschen durch viele Gene definiert wird.
Spannend für die Humangenetik
Somit ist die Entschlüsselung der Genvariante beim Labrador auch interessant für die Humangenetik, ist sich Tosso Leeb sicher: «Obwohl eindeutig bewiesen ist, dass die Körpergrösse vererbt wird, wissen die Forschenden bislang nicht, welche Gene in welchen Varianten die Körpergrösse des Menschen schliesslich genau definieren.» Klar sei lediglich, dass rund 200 Varianten von verschiedenen Genen die Körpergrösse nur etwa zu 20 Prozent zu erklären vermögen. «Ein Effekt von sechs Zentimetern beim Labrador durch eine einzige Genvariante ist in diesem Lichte schon etwas Besonderes», so Leeb, «zumal die Tiere ja grundsätzlich die gleichen Gene besitzen wie die Menschen.»
Das neue Sequenzierungs-Zentrum an der Uni Bern
Für die Analyse dieses Merkmals haben die Forschenden von Leebs Labor das gesamte Genom eines zwergwüchsigen Labradors analysiert und mit Genomen von normalwüchsigen Hunden verglichen. Dadurch konnte die ursächliche Mutation in einem Kollagen-Gen aufgespürt werden. Möglich ist eine solche Analyse in nützlicher Frist nur mit den neuen Sequenzierungsapparaten der «Next Generation Sequencing (NGS)»-Plattform der Universität Bern, welche fakultätsübergreifend für alle Forschenden der Universität Bern, des Inselspitals und der Universität Freiburg zugänglich sind.
100‘000 mal schnellere Analysen
Mit den neuen Gerätschaften sind die Genanalysen um «den Faktor 100‘000 schneller als früher», schätzt Tosso Leeb. Die klassische DNA-Sequenzierung nach der Methode von Sanger aus den 1970er Jahren erlaubt das Ablesen von einzelnen DNA-Abschnitten von der Länge von rund 1000 Basenpaaren. Mit einem aktuell verfügbaren Sanger-Gerät können so zirka 500 Kilobasen pro Tag an Rohdaten sequenziert werden. «Die verschiedenen Geräte innerhalb der NGS-Plattform erlauben das Lesen von 35 Megabasen bis 60 Gigabasen pro Tag», erklärt Leeb. Die DNA-Abschnitte sind kürzer (rund 100 Basenpaare), dafür ist die Effizienz durch die hohe Parallelisierung erheblich grösser.
Für die Forschung auf vielen Gebieten
«Die Sequenzierung des Labrador-Genoms hat ohne die Nachbearbeitung am Computer rund zwei Wochen gedauert», sagt Genetik-Professor Leeb. Er schätzt das Potenzial der Sequenzierungsmaschinen für die beteiligten Fakultäten Medizin, Naturwissenschaften und Vetsuisse als enorm ein: Neben Labrador-Genen lassen sich damit auch viele andere grundlegende Fragestellungen in der Biologie und Medizin untersuchen.
Die NGS-Plattform soll ausserdem zukünftig nicht nur für die Grundlagenforschung , sondern auch für diagnostische Anwendungen in der Medizin gebraucht werden – «weshalb auch das Inselspital einen erheblichen Beitrag an die laufenden Kosten leistet», so Institutsleiter Tosso Leeb.