Die aktivsten Freiwilligen leben in der Deutschschweiz

Unterschiede zwischen den Sprachregionen prägen das Bild des Freiwilligen-Engagements in der Schweiz. Dies liege nicht zuletzt am unterschiedlichen Staatsverständnis, sagt Isabelle Stadelmann-Steffen vom Institut für Politikwissenschaft.

Von Sandra Flückiger 22. Januar 2013

Der Wohnort spielt in der Schweiz die zentrale Rolle dabei, ob man sich freiwillig engagiert oder nicht. Konkret: Wer in der deutschsprachigen Schweiz wohnt, zeichnet sich durchschnittlich durch mehr Engagement aus als Bewohnerinnen und Bewohner der französisch- und italienischsprachigen Schweiz. Gleichzeitig sind jedoch in allen Sprachregionen die Französischsprachigen am aktivsten.

Freiwillige Tätigkeiten umfassen dabei nicht nur das Engagement in Vereinen oder Organisationen, sondern auch Aktivitäten ausserhalb von Strukturen wie zum Beispiel Nachbarschaftshilfe oder das Hüten von Enkelkindern ausserhalb des eigenen Haushalts.

Überraschende Erkenntnis

«Dieses Resultat ist für uns überraschend», sagt Isabelle Stadelmann-Steffen, Assistenzprofessorin für Vergleichende Politik an der Uni Bern. «Die sprachregionalen Unterschiede in der Freiwilligen-Tätigkeit sind nichts Neues, aber man wusste bisher nicht, ob die Deutschschweizerinnen und Deutschschweizer häufiger freiwillig tätig sind, weil sie deutschsprachig sind oder weil sie in der Deutschschweiz leben. Unsere Befunde bestätigen nun Letzteres.»

Isabelle Stadelmann-Steffen
Die Deutschschweizer wollen weniger Einmischung des Staates und engagieren sich deshalb selber stärker, so Assistenzprofessorin Isabelle Stadelmann-Steffen. Bild: Sandra Flückiger

Diese neuen Erkenntnisse wurden im Rahmen der Studie «Zivilgesellschaft in der Schweiz» gewonnen und sollen nun an einer Tagung an der Uni Bern (siehe Kasten) den direkt Betroffenen vermittelt werden. Dies sind zum Beispiel Personen, die sich in Verbänden und Organisationen oder in Gemeinden und Städten mit der Freiwilligen-Arbeit befassen.

Die Rolle des Staates

Die Gründe für diese Verschiedenheit zwischen der lateinischen und der Deutschschweiz sind gemäss Politikwissenschaftlerin Stadelmann-Steffen vielfältig: «Zentral ist sicher der Unterschied im Staatsverständnis: Bei uns in der Deutschschweiz wird das Subsidiaritätsprinzip hochgeschrieben, der Staat soll also möglichst wenig machen. Auch ist die direkte Demokratie ausgeprägter.»

In der Romandie orientiere man sich stärker an Frankreich, wo der Wohlfahrtsstaat mehr Aufgaben übernehme. Von der kulturellen Seite her gesehen seien ausserdem die familiären Bande wichtiger und weniger das Engagement in Vereinen. Im Gegensatz dazu richtet sich die Deutschschweiz eher an Deutschland mit seiner «Vereinsmeierei» aus, so Stadelmann-Steffen.

Auswirkungen auf Gesellschaft unklar

Diese Differenzen widerspiegeln sich nicht zuletzt in unterschiedlichen Strukturen: Da in der lateinischen Schweiz deutlich weniger Vereine existieren, gibt es auch weniger Möglichkeiten teilzunehmen. «Wie sich diese Tatsache auf die Gesellschaft oder die Volkswirtschaft auswirkt, wurde bisher kaum systematisch untersucht», sagt die Assistenzprofessorin.

«Ziel ist es, zu sensibilisieren», erklärt Isabelle Stadelmann-Steffen, die an der Tagung den Workshop «Kulturelle Identität und Freiwilligkeit» leitet. Einerseits gehe es darum, auf die sprachregionalen Unterschiede aufmerksam zu machen. Andererseits müsse diskutiert werden, wie man diese Gegebenheiten beispielsweise bei der Förderungspolitik berücksichtigen könnte.

Ihr Vorschlag: «Die Kommunikation muss angepasst werden. In der Deutschschweiz soll der Fokus auf der strukturellen Bedeutung der Vereine liegen, in der lateinischen Schweiz bietet sich ein Fokus auf den sozialen Netzwerkgedanken an.»

Tagung über Zivilgesellschaft

«Zivilgesellschaft in Gemeinden und Städten – Vereine und lokale Freiwilligkeit» heisst die Tagung, die am 24. Januar an der UniS stattfindet. Nebst der Forschungsstelle «Freiwilliges Engagement und Sozialkapital», die am Institut für Politikwissenschaft angesiedelt ist, organisieren die Schweizerische Gemeinnützige Gesellschaft (SGG) sowie der Schweizerische Gemeindeverband und der Schweizerische Städteverband die Tagung mit. Im Mittelpunkt stehen neun Workshops, die den vielfältigen Nutzen des Vereinswesens für die Gemeinden vermitteln. Eine Anmeldung ist erforderlich.

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