Die zauberhafte Geschichte des Dalai Lama

Der Dalai Lama besucht die Uni Bern – und für eine Woche richtet die Alma mater bernensis mit vielen Vorträgen den Fokus auf Tibet. Als Einstieg erklärte die Religionswissenschaftlerin Karénina Kollmar-Paulenz das Konzept der Wiedergeburt der Dalai Lamas.

Von Bettina Jakob 09. April 2013

Sein freundliches Gesicht, sein verschmitztes Lächeln, die eckige Brille und das rot-orange-farbene Gewand: Jeder erkennt ihn, den 14. Dalai Lama, er ist eine weltberühmte Persönlichkeit – und beehrt nächste Woche die Universität Bern mit einem Besuch. Doch wer ist er eigentlich? Wie funktioniert seine Wiedergeburt? Und warum in aller Welt reinkarniert er sich stets wieder statt sich vom Leiden des menschlichen Daseins zu verabschieden und ins Nirvana zu entschwinden?

Denn das könnte er, wie die Berner Religionswissenschaftlerin Karénina Kollmar-Paulenz im Rahmen der Woche «Fokus Tibet» an der Uni Bern ausführte: «Der Dalai Lama ist im tibetischen Buddhismus ein Erscheinungskörper eines Bodhisattvas – eines erleuchteten Wesens, das sein Eingehen ins Nirvana so lange zurückstellt, bis alle anderen Lebewesen erleuchtet sind.» Nur Mitgefühl mit den Nicht-Erleuchteten hält den Dalai Lama also in der Welt – als Bodhisattva Avalokiteshvara, der Erleuchtete unendlichen Mitgefühls.

Lachender Dalai Lama
Tendzin Gyatsho ist der 14. Dalai Lama. Seine Geburtenlinie geht bis ins 15. Jahrhundert zurück. Bild: Tenzin Choejor

Ursprung im 15. Jahrhundert

Wenn heute mit Tendzin Gyatsho der 14. Dalai Lama lebt, wann wandelte er zum ersten Mal über tibetischen Boden? «Die Geburtenlinie der Dalai Lamas geht bis ins 15. Jahrhundert zurück», führt Kollmar-Paulenz aus, «der Schüler Gendün Drubpa des bekannten buddhistischen Lehrers Tsongkhapa gilt als erster Dalai Lama. Verliehen wurde der Ehrentitel Dalai Lama aber erst 1578 vom mongolischen Fürsten Altan Khan an den 3. Dalai Lama.» Übersetzt heisst Dalai «Meer» und Lama «spiritueller Lehrer» – der Titel ist Symbol für die spirituelle Machtfülle seines Trägers.

So wird der Dalai Lama wieder gefunden

Die Wiedergeburt des Dalai Lama lässt sich Jahrhunderte zurückverfolgen – doch wie wird der Reinkarnierte jeweils ausfindig gemacht? «Es gibt Omen, die auf den Aufenthaltsort des Wiedergeborenen hindeuten», erklärt Kollmar-Paulenz. In Augenzeugenberichten steht etwa, dass sich der Kopf des einbalsamierten 13. Dalai Lama, der 1933 verstorben war, immer wieder nach Osten gewandt haben soll. Ebenfalls sei an seinem Reliquienschrein auf der Ost-Seite starker Pilzwuchs aufgetreten. «Für den zusammengestellten Suchtrupp, bestehend aus hochrangigen Mönchen, ein Zeichen, dass der 14. Dalai Lama in östlicher Richtung leben müsse», so die Religionswissenschaftlerin.

Gefunden wurde Tendzin Gyatsho schliesslich vier Jahre nach dem Tod des 13. Dalai Lama in Takser, in Nordosttibet, als Sohn eines einfachen Bauernpaares: Ein enger Vertrauter des verstorbenen Dalai Lama erkannte offenbar das Haus wieder, wie es dem tibetischen Regenten in einer Vision erschienen war. «Bodhisattvas sind frei, sich wann sie wollen und wo sie wollen zu inkarnieren», erklärt die Berner Religionswissenschaftlerin. Eine Wiedergeburt könne also ein Jahr nach dem Tod des Vorgängers, aber auch nur sechs Monate später schon erneut erscheinen.

Erst wählte er scheinbar falsch

Der Junge, der als Reinkarnation des Dalai Lama gilt, muss einige Tests durchlaufen: «Er muss etwa aus vielen Ritualgegenständen wie Gebetsketten, Trommeln und Stöcken diejenigen auswählen, die dem letzten Dalai Lama gehört haben – und damit ja ihm selber.» Dazu die erstaunliche Geschichte des heutigen Dalai Lama: Der damals Zweijährige wählte die richtigen Gegenstände aus – bis auf den Stock. Offenbar nahm er den falschen in die Hand, betrachtete diesen nochmals eingehend und legte ihn wieder zurück, um doch den richtigen zu ergreifen. «Später hat sich herausgestellt, dass auch der vermeintlich falsche Stock einmal dem 13. Dalai Lama gehört hatte, er diesen aber verschenkt hatte», wie Karénina Kollmar-Paulenz erzählt.

Wie der Einfluss des Dalai Lamas stieg

Das Konzept der Wiedergeburt geht in Tibet bis ins 11. Jahrhundert zurück. Für die Klöster hat die Idee der Reinkarnation gemäss Kollmar-Paulenz viele Vorteile, so blieben etwa Reichtum und Ausstrahlung durch die wiedergeborenen Meister stets beim Kloster. Dass gerade der Dalai Lama der Lehrtradition Gelugpa einen so grossen Einfluss erhielt und schliesslich zum geistigen und staatlichen Oberhaupt Tibets wurde, geht auf einen Bürgerkrieg im 17. Jahrhundert zurück. Ein Mongolenfürst griff damals ein und besiegte die Gegner der Gelugpa. Diese zerschlugen viele der anderen Klosterschulen. Schliesslich hat der Fürst dem Dalai Lama neben der geistigen Führung auch die weltliche Regierung Tibets übertragen. Die Aufgabe: beste Bedingungen schaffen, damit alle Buddhisten erleuchtet werden können, für die Klöster sorgen und das Land im Notfall gegen Nicht-Buddhisten verteidigen.

Apostel der Friedfertigkeit

Der 14. Dalai Lama hat im letzten Jahr alle politischen Ämter abgetreten. Seit der Besetzung Tibets durch chinesische Truppen 1959 lebt das Oberhaupt im Exil im nordindischen Dharamsala. «Der Dalai Lama sieht sich als Apostel der Friedfertigkeit», so Kollmar-Paulenz. Er sei stark durch Mahatma Ghandi beeinflusst und mache sich für die Gewaltlosigkeit stark – insbesondere in der nach wie vor sehr unruhigen Stimmung zwischen den Tibetern und China.

Auch im Westen ist der Dalai Lama sehr populär und nimmt zu gesellschaftlichen Themen Stellung, interessiert sich für die Wissenschaft  –  an der Uni Bern diskutiert er mit Studierenden über Nachhaltigkeit. Auch zu seiner Reinkarnation hat er eine sehr weltoffene Einstellung. «Er sagt», so Karénina Kollmar-Paulenz, «dass er sich auch vorstellen kann, sich als Frau zu reinkarnieren – wenn er überhaupt nochmals wieder kommt.» Dies lässt der 14. Dalai Lama nämlich offen.

Der 14. Dalai Lama an der Uni Bern

Der Dalai Lama besucht im Rahmen seines Schweiz-Aufenthalts 2013 am 16. April die Universität Bern. Er wird vor Studierenden zum Thema «Towards a Sustainable Future» sprechen und mit ihnen Fragen diskutieren. Der Vortrag ist nicht öffentlich, wird aber live im Internet übertragen.

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