Neue Hoffnung bei Hörverlust

Für ihre Forschung an Stammzellen im Innenohr wird Marta Roccio mit dem diesjährigen Klinischen Forschungspreis ausgezeichnet. Die Stammzellbiologin untersucht, warum Sinneszellen im Innenohr beim Menschen – im Gegensatz zu Tieren – bei einem Hörverlust nicht ersetzt werden.

Von Sandra Flückiger 06. November 2013

Das menschliche Ohr ist ein empfindliches Organ: Lärm, Infektionen oder Antibiotika können die Haarzellen im Innenohr schädigen, was zu einem Hörverlust oder sogar Taubheit führt. Beides ist irreversibel, da sich das Ohr – wie bei allen Säugetieren – nicht regeneriert. «Bei Vögeln, Fischen und Reptilien dagegen generieren Stammzellen im Innenohr in relativ kurzer Zeit wieder neue Hörzellen», erklärt Marta Roccio vom Departement Klinische Forschung (DKF).

Vorhanden seien Stammzellen auch im Ohr von Säugetieren, aber sie seien im Normalfall nicht aktiv und produzierten keine neuen Haarzellen. Seit kurzem ist bekannt, dass sie durch die Zugabe von Wachstumsfaktoren oder durch eine Veränderung der Steuermechanismen in der Zelle zur Produktion von Haarzellen angeregt werden können. Die genauen Regulationsmechanismen sind allerdings noch weitgehend unbekannt. Deren Erforschung widmet sich Marta Roccio und erhält dafür den «Johanna Dürmüller-Bol DKF Forschungspreis 2013» über 30'000 Franken.


Bereits als Kind bekam sie im Labor ihrer Eltern viel von der Biologie mit, heute forscht Preisträgerin Marta Roccio an Stammzellen. (Bild: Sandra Flückiger)

Stammzellen als Schwerpunkt der Forschung

Marta Roccio arbeitet als Postdoc in der Gruppe Audiologie des Departements Klinische Forschung. Ihr Interesse für die Arbeit im Labor wurde ihr quasi in die Wiege gelegt: «Meine Eltern sind beide Biologen und führen gemeinsam ein Labor, wohin sie mich manchmal mitnahmen. So wurde mein Interesse bereits als Kind geweckt», erzählt sie. Nach ihrem Biologie-Studium in Mailand arbeitete sie während acht Jahren in den Niederlanden, ab 2009 an der ETH Lausanne und seit einem Jahr schliesslich an der Uni Bern.

Anfangs war die Biologin hauptsächlich in der Krebsforschung tätig: «Mich interessieren insbesondere die Prozesse in den Zellen. Im Fall von Krebs die Prozesse, die schief laufen und dann die Krankheit verursachen.» Bald beschäftigte sich die 36-Jährige jedoch mit Stammzellen – im Herz, im Hirn und aktuell im Innenohr. Nicht nur die Fragestellungen auf diesem Gebiet findet sie faszinierend, sondern auch die Schönheit ihrer Forschungsobjekte, wie sie anhand des untenstehenden Bildes zeigt.


Das Innenohr unter dem Mikroskop: Ruhende Zellen sind mit einem rot fluoreszierenden Protein markiert, Stammzellen – die zu Haarzellen werden könnten – grün. (Bild: Marta Roccio)

Neue Therapiemöglichkeiten denkbar

Den Forschungspreis sieht Roccio als Anerkennung für ihre Studie – und als Chance: «Die Leute lernen mich und meine Forschungsansätze kennen. Daraus erhoffe ich mir auch weitere Unterstützung für mein Projekt.» Aktuell untersucht sie in einer Vorstudie die Regulationsmechanismen in den Stammzellen des Innenohrs auf genetischer Ebene. Dabei kombiniert sie ihr Wissen über Stammzellen in verschiedenen menschlichen Geweben mit dem Wissen über die Funktionsweise des Innenohrs bei Tieren.

Gelingt es dereinst, den Zellzyklus von Innenohr-Stammzellen kontrolliert zu manipulieren, könnte dies neue Therapien für hörbehinderte Menschen ermöglichen, hofft die Biologin. «Die Regeneration der Hörzellen im Innenohr wäre eine Alternative oder Ergänzung zu Hörgeräten oder Hörprothesen, sogenannten Cochlea-Implantaten, die aus medizinischen oder ökonomischen Gründen nicht für alle Patienten geeignet sind.»

Zur Person

Marta Roccio absolvierte ihr Biologie-Studium an der Universität Mailand und anschliessend ein Praktikum im Labor für Neuro-Immunologie am Wilhelmina Kinderspital in Utrecht. Von 2003 bis 2007 war sie als Doktorandin am Departement für Physiologische Chemie der Universitätsklinik Utrecht (UMCU) tätig. Dann widmete sie sich bis 2008 im Labor für Experimentelle Kardiologie der UMCU sowie bis 2012 an der ETH Lausanne der Stammzell-Forschung. Seither ist sie am Departement Klinische Forschung (DKF) der Universität Bern in der Forschungsgruppe Audiologie tätig.

Der DKF-Forschungspreis

Die bernische Fondation Johanna Dürmüller-Bol stiftet in den Jahren 2012 bis 2016 – mit der Option, den Zeitraum später zu verlängern – das Preisgeld für den jährlich vergebenen Forschungspreis des Departements Klinische Forschung (DKF). Der mit 30'000 Franken dotierte Preis trägt daher nun den Namen «Johanna Dürmüller-Bol DCR Research Award». Ausgezeichnet werden damit herausragende Projekte von Nachwuchsforschenden am DKF. Das Ziel ist es, den Gewinnern das Einwerben kompetitiver Drittmittel zur Weiterführung ihrer Projekte zu ermöglichen.

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