Wenn einer eine Reise tut, möge er sie bezahlen

Kann Mobilität nachhaltig sein oder sollten wir besser zu Hause bleiben? Ein energieeffizienter und nachhaltiger Verkehr könnte womöglich über den Geldbeutel erreicht werden. Das Forum für Universität und Gesellschaft (FUG) widmet seine aktuelle Veranstaltungsreihe der «Energiestrategie Schweiz: Die Kunst der Effizienz».

Von Bettina Jakob 15. Januar 2013

Wein aus Europa oder Südafrika? Was aus Sicht der Energieeffizienz so klar erscheint, muss es nicht unbedingt sein: Eine Verkürzung des Weges garantiert nicht immer eine bessere Energiebilanz, wie Dirk Bruckmann vom Institut für Verkehrsplanung und Transportsysteme der ETH Zürich am 2. Schwerpunkt der FUG-Veranstaltungsreihe erklärte. Eine grosse Produktionsmenge in Übersee kann unter dem Strich weniger Kilowattstunden verzehren als eine kleinere regionale Produktion, die zwar mit kürzeren Transportwegen einen Teil des Energieverbrauchs kompensiert, der aber insgesamt grösser ist.


Die Mobilität von Gütern und Menschen ergibt komplexe Energiebilanzen. (Bild: istock)

«Ebenfalls muss gerechnet werden, ob sich der aussersaisonale Kauf von Schweizer Äpfeln gegenüber von Importware energetisch tatsächlich lohnt, da für die Lagerung doch viel Energie aufgewendet werden muss», so der ETH-Forscher. An diesen Beispielen lassen sich die komplexen Zusammenhänge zeigen, die in die Energiebilanzen von Verkehrswegen, welche Menschen und Güter zurücklegen, einbezogen werden müssen.

Vier Wege zu mehr Effizienz

Energieeffizienz im Verkehr hängt gemäss Bruckmann von vier Punkten ab: Es geht darum Wege zu vermeiden, diese zu verkürzen, sie auf effizientere Verkehrsträger zu verlagern und diese Verkehrsmittel effizienter zu machen. Alles Schritte, die vom heutigen Menschen ein Umdenken erfordern: «Wege zu vermeiden, bedingt gravierende Veränderungen in der Wirtschafts- und Arbeitsstruktur», so Bruckmann – und könnte als «Rückkehr zur Selbstversorgung» bezeichnet werden. Doch dass der Handwerker um die Ecke unser iPhone herstellt, sei wohl kaum möglich. Kürzere Verkehrswege  – sowohl von Personen und Gütern – widersprechen dem Trend: Die Zentralisation und die Spezialisierung der Versorgung führen zwangsläufig zu längeren Strecken, auf welchen auch immer mehr Pendler unterwegs sind.

«Der Personenverkehr wird auch vorangetrieben», so Bruckmann – gerade durch den Ausbau des öffentlichen Verkehrs: Durch Pauschalangebote wie das GA kosten zusätzliche Fahrten nicht mehr. «Die Reisezeiten sind immer kürzer, und durch die Mobilkommunikation ist die Pendelzeit zur Arbeitszeit geworden», so Bruckmann. Kein Grund mehr also, seinen Wohnsitz an den Arbeitsort zu verlegen. Im Güterverkehr lassen sich gemäss dem Verkehrsexperten Strecken – oftmals über viele Ländergrenzen hinweg – erst einsparen, wenn sich die Lohnkosten in Billig-Produktionsländern verändern werden.


Pendelzeit ist gleich Arbeitzeit: Der Zug dient oft als Büro. (Bild: istock)

ÖV ist nur gut, wenn ausgelastet

Es ist klar: «Der öffentliche Verkehr ist energieeffizienter als der Individualverkehr», so Bruckmann, «allerdings wird der Unterschied überschätzt.» Die Einsparungen des öffentlichen Verkehrs hängen nämlich stark von der Auslastung ab. Einzuberechnen ist ebenfalls der Faktor Umweg, der dem Zugreisenden gegenüber der Autofahrerin mehr Reisezeit beschert – selbst bei besten Verbindungen in der Agglo, sowieso in den ländlichen Regionen. Steigen Reisende auf effizientere Verkehrsmittel um, so ist das gut, es kann aber auch teuer werden: Denn der weitere Ausbau des Bahnnetzes hat gemäss Bruckmann einen abnehmenden Grenznutzen; trotz Ausbau sei der ÖV-Anteil am Personenverkehr in der Schweiz nicht um ein Vielfaches höher als in anderen Ländern. Auch die Effizienzsteigerung von Lokomotiven und Zugwagen hat seine Grenzen – Ansätze sind Leichtbau und die Rückspeisung von kinetischer Energie. «Aber Sicherheit und Komfort kompensieren leider diese Gewinne teilweise wieder», so Dirk Bruckmann.

Der Preis für Mobilität ist zu tief

Sei es per Bahn, im Personenwagen, eine lange, eine kurze Fahrt, Pendeln während der Rush Hour, im leeren Regionalzug oder gezogen von einer Hybridlokomotive: Für den Ökonomen Robert Leu vom Departement für Volkswirtschaftslehre der Uni Bern lässt sich die Mobilität ganz einfach in die richtige Richtung lenken: Wenn jeder ÖV-Reisende und jede Autolenkerin die wahren Kosten für seine und ihre Fahrt zahlen würde, wäre der Verkehr nachhaltig und die heutige «Übermobilität» würde aufgehoben.

So stellt sich die Frage: Wieviel Verkehr ist denn optimal? Für eine gute Kapazitätsplanung setzt Leu eine Kosten-Nutzen-Analyse voraus, wobei der Preis für jede Fahrt den Grenzkosten entsprechen muss. «Der Preis der Mobilität ist heute wegen der Subventionen und ungedeckten externen Kosten zu tief», so der Ökonom. Die Schweizer Bevölkerung fährt jährlich 10’000 Kilometer mit dem Auto und 4000 Kilometer mit der Bahn, die Gesamtkosten des Verkehrs lagen 2005 bei 82 Milliarden Franken (rund 70 für den Strassenverkehr und 12 Milliarden für die Bahn). Die Subventionen für die Vielreiserei betrugen 2010 für den ÖV 8 Milliarden Franken – «pro Einwohner investieren wir zehnmal soviel in unsere Premium-Bahn wie Deutschland», ergänzte Leu. Auch die ungedeckten externen Kosten des Verkehrs (Unfall, Gesundheit, Natur, Schäden, Lärm, Klima) des Verkehrs sind hoch, vor allem beim Strassenverkehr – insgesamt liegen sie bei 9 Milliarden Franken.


Dirk Bruckmann (links) und Robert Leu (Mitte) im Gespräch mit Moderator und Journalist Martin Läubli. (Bild: FUG)

Der Reisende soll die vollen Kosten tragen

«Diese Übermobilität schadet», so Leu: Sie binde volkswirtschaftliche Ressourcen wie Arbeitskräfte, Kapital, Land und Energie. Der Ausbau der Infrastruktur von Schiene und Strasse führe zu mehr Zersiedelung und langfristig nicht etwa zu weniger, sondern zu mehr Verkehr. Der Volkswirtschaftler empfiehlt folgenden Plan: Kapazitätsausbau nur, wenn dieser ökonomisch gerechtfertigt ist. «Die Nutzerinnen und Nutzer von Schiene und Strasse übernehmen nach Verursacherprinzip und Kostenwahrheit die vollen Kosten für ihre beanspruchte Leistung», so Leu – was in der Rush Hour etwa sehr hohe Zugfahrpreise zur Folge hätte. Mehreinnahmen lässt der Bund über eine Reduktion der Mehrwertsteuer den Steuerzahlenden wieder zukommen, was vor allem den einkommensschwachen Bürgerinnen und Bürger zugute kommen soll.

Über ein Road-Pricing-System können den Fahrzeug-Lenkenden die hohen externen Kosten also ihre Infrastruktur-, Umwelt-, Unfall-, und Staukosten angelastet werden. «Ein System, das in London oder Singapur eine grosse Steuerungswirkung hat», so Robert Leu. Der Berner Ökonom glaubt zu wissen: «Die Mobilität ist zu gross, weil die Verkehrsteilnehmenden nicht die vollen Kosten tragen.» Würden sie dies tun, wäre die Mobilität nachhaltiger, «denn für die Umwelt ist weniger Verkehr immer besser.»

Energiestrategie Schweiz: Die Kunst der Effizienz

Der kontinuierlich steigende Energiebedarf bei gleichzeitiger Knappheit der Ressourcen, der Super-GAU in Fukushima und seine Folgen, die politischen Diskussionen um den Atomausstieg und die stetige Suche nach alternativen Quellen legen es nahe: Die Schweiz steht vor grossen Energieherausforderungen. Auf gesellschaftlicher, wirtschaftlicher, politischer und ökologischer Ebene drängen die Fragen. Das Forum für Universität und Gesellschaft (FUG) bespricht in seiner Veranstaltungsreihe «Energiestrategie Schweiz: Die Kunst der Effizienz» neue Technologien und Möglichkeiten politischer Regulation mit Fokus auf die Schweiz. Wohnen, Mobilität, Stromverbrauch und -produktion sowie eine nachhaltige Energiezukunft stehen dabei im Zentrum. Referiert und diskutiert wird über die komplexen Problemfelder, über Lösungsansätze, Möglichkeiten und Zukunftsperspektiven der Energienutzung.

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