Der Quantensprung von Schrödingers Katze

Den beiden Nobelpreisträgern Serge Haroche und David Wineland ist ein physikalisches Kunststück gelungen: Sie konnten erstmals Quanteneffekte im Labor nachweisen. Der Berner Physiker André Stefanov erklärte ihre bahnbrechenden Experimente in der Veranstaltung «Physik am Freitag».

Von Bettina Jakob 18. Januar 2013

Eine Katze, die gleichzeitig tot und lebendig sein soll: Sie bewegt seit den 1930er Jahren die Welt der Physik und bislang war das Gedankenexperiment des Physikers Erwin Schrödinger als unbewiesenes Paradox bekannt. Die Grundannahmen der Quantenphysik, wonach ein Teilchen – und auch ein Teilchensystem wie Schrödingers Katze – gleichzeitig verschiedene Quantenzustände haben kann, wurde von den beiden Physikern Serge Haroche und David Wineland in Laborexperimenten nachgewiesen. Die beiden Quantenphysiker haben für ihre unabhängig voneinander durchgeführten Studien den Physik-Nobelpreis 2012 erhalten. In der «Physik am Freitag» erklärte André Stefanov vom Institut für angewandte Physik der Universität Bern die preisgekrönten Experimente.


Bei der Arbeit mit Photonen im Quantenoptik-Labor von André Stefanov: PhD-Student Bänz Bessire...

Sowohl Teilchen als auch Welle

Während die klassische Physik den Teilchen klar definierte Werte – wie Aufenthaltsort, Geschwindigkeit – zuteilt, geht die Theorie der Quantenmechanik davon aus, das ein Teilchen nur durch die Messung in einen konkreten Zustand mit klaren Eigenschaften überführt wird. Das heisst: «Es gibt eigentlich keine genaue Position des Teilchens, sondern vielmehr eine Wahrscheinlichkeit, dieses an einem bestimmten Ort zu messen», so Stefanov.

Denn die Quanten bewegen sich nicht nur als Teilchen, sondern auch als Welle – wodurch sie interferieren können. Ähnlich zweier Wasserwellen, die aufeinandertreffen und Muster generieren. «In dieser Überlagerung wird das Verhalten von Quantenobjekten durch alle möglichen Messwerte charakterisiert», so der Physiker. Erst die Messung macht gemäss Stefanov einen Zustand eindeutig, also determiniert.

Das Geheimnis des Quantenzustands

Ein Experiment veranschaulicht: Eine bestimmte Anzahl Teilchen treffen auf einen halbtransparenten Spiegel auf. Nach klassischen physikalischen Gesetzen erwarten wir, dass die Hälfte der Teilchen reflektiert wird und die andere Hälfte den Spiegel durchdringt. Treffen nun alle bereits einmal gespiegelten und transmittierten Teilchen auf einen zweiten Spiegel, erwarten wir das gleiche Resultat: die eine Hälfte abgelenkt und die andere geht durch den Spiegel hindurch.

Doch es ist alles anders! «Das Resultat ist nicht 50:50 sondern 100:0 oder 0:100», so Stefanov. Unlogisch – es sei denn, die Teilchen haben sich als Welle durch die Spiegelanordnung bewegt. Damit könnte jedes Teilchen auf seiner Reise verschiedene Quantenzustände einnehmen, ja fast wie zwei Verhaltensweisen aufweisen – nämlich spiegeln und transmittieren zugleich. «Wir bezeichnen dies als Superposition», so Stefanov.

Erst durch die Messung nach den Spiegelungen wird gemäss Quantentheorie die Wellenbewegung unterbrochen – die Teilchen werden als Teilchen gemessen und weisen dadurch wieder eindeutige Eigenschaften auf. Und so ginge es auch Schrödingers Katze, die der österreichische Physiker 1935 hypothetisch in eine abgeschlossene Kiste gesperrt hat –zusammen mit einem radioaktiven Atomkern, dessen Zerfall ein Gift freisetzt, welches das Tier tötet: Wenn jemand die Zustände im System messen würde, wäre die Katze entweder gestorben oder aber sie lebte. Solange aber niemand die Kiste öffnet und Messungen macht, kann die Katze theoretisch in beiden Zuständen, also in der Superposition, verharren – sie kann gleichzeitig tot und lebendig sein.

Die Experimente der Nobelpreisträger

Dem französischen Physiker Serge Haroche ist nun das Kunststück gelungen, Quanteneffekte in einem System zu messen, und zu zeigen, wie die Superpositionen kollabieren. Die Katze sind in seinem Experiment Photonen, welche er zwischen zwei Supraspiegel schickt, zwischen welchen sie in einer Zwanzigstelsekunde rund 40’000 Kilometer zurücklegen, bevor sie zerfallen oder durch die Spiegel hindurch gehen. Gleichzeitig schickt Haroche ein Atom, das er mittels Laser energetisch angeregt hat, durch den Zwischenraum zwischen den Spiegeln. Dadurch verändert sich dessen Quantenzustand, ohne aber die Photonen zu stören. Durch gezieltes Vermessen des Atoms nach dem Passieren kann der Physiker indirekt Rückschlüsse auf die Zustände der Photonen ziehen.

Was bei Haroche die Photonenfalle, ist bei David Wineland die Ionenfalle: Der amerikanische Physiker hält Ionen in einem elektromagnetischen Feld gefangen, um ihre Zustände über Laserlichtimpulse zu verändern und zu kontrollieren. «Es ist Serge Haroche und David Wineland gelungen, Schrödingers Gedankenexperiment im Labor zu implementieren», fasst Stefanov zusammen.


…und PhD-Student Stefan Lerch. (Bilder: Abteilung Kommunikation)

Die Zukunft: Quantencomputer

Damit legen die beiden Nobelpreisträger eine gute Grundlage für die Entwicklung von Quantencomputern. «Teilchen in Superposition können viele Informationen enthalten», so der Berner Physiker. Könnten sie in der Computertechnologie genutzt werden, würden die Rechengeschwindigkeiten massiv vergrössert, da der Computer viele Daten in einem Durchgang verarbeiten könnte. Die Schwierigkeit ist es, ein System zu entwickeln, in dem Quantenzustände nicht kollabieren – Schrödingers Katze für Datenverarbeitung.

Berner Physiker wird Präsident von Netzwerk

Hans Peter Beck, Physikdozent an der Universität Bern und Forscher am Europäischen Labor für Teilchenphysik (CERN) in Genf, hat ab Januar 2013 für drei Jahre das Präsidium der International Particle Physics Outreach Group (IPPOG) übernommen. Er teilt die neue Aufgabe mit Marge Bardeen vom Fermilab, dem US-amerikanischen Teilchenphysik-Forschungszentrum in der Nähe von Chicago. Die IPPOG besteht aus 31 Wissenschafterinnen und Wissenschaftern, die sich gemeinsam um die Vermittlung der Teilchenphysik in der Öffentlichkeit und um den wissenschaftlichen Nachwuchs kümmern. «Ich will mich in der neuen Funktion dafür einsetzen, dass die Öffentlichkeit das von den Naturwissenschaften entworfene Weltbild als Teil unserer Kultur wahrnimmt», wird Hans Peter Beck in der Medienmitteilung zitiert.

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