Unser Mann im Weltklimarat

Der Berner Klimaphysiker Thomas Stocker ist Ko-Leiter der Arbeitsgruppe I des UNO-Wissenschaftsrats IPCC für den Klimawandel. Am 27. September präsentiert er in Stockholm den 5. Sachstandsbericht «Wissenschaftliche Grundlagen der Klimaveränderung». Und damit den aktuellsten Stand des weltweiten Wissens in dieser Frage.

Interview: Marcus Moser 24. September 2013

«uniaktuell»: Thomas Stocker, mit der Präsentation in Stockholm findet eine Arbeit, die seit 2008 dauert, einen vorläufigen Abschluss. Erleichtert?
Thomas Stocker: Ich bin sehr erleichtert, und dankbar, dass es dem Autorenteam gelungen ist, diese grosse und herausfordernde Arbeit rechtzeitig und wie geplant abzuschliessen. Der hohen Motivation und harten Arbeit der Wissenschafter und des international zusammengesetzten Teams im Sekretariat hier an der Universität Bern ist es zu verdanken, dass wir das geschafft haben.


Thomas Stocker präsentiert am 27. September die wissenschaftlichen Grundlagen der Klimaveränderung. (Bilder: Adrian Moser)

Sie sind mit Qin Dahe aus China zusammen Ko-Leiter der Arbeitsgruppe I zu den wissenschaftlichen Grundlagen des Klimawandels und haben 209 leitende und über 600 beitragende Autoren in der ganzen Welt betreut. Es gab über 50´000 Kommentare. Wie kann man das überhaupt managen?
Das IPCC hat sehr klar formulierte Prozeduren, wie ein «IPCC Assessment» abläuft. Der Fahrplan wurde bis ins letzte Detail von unserem Operations-Team unter der Leitung von Pauline Midgley und Melinda Tignor an der Universität Bern erstellt. Auch die Infrastruktur, um die vielen Kommentare zu verarbeiten, um die Berichte den Autoren zur Verfügung zu stellen und Dokumente, Publikationen und Grafiken auszutauschen, haben wir hier entwickelt. Die Hauptarbeit besteht aber in der wissenschaftlichen Leitung, wo ich seit Anfang 2009 auf Gian-Kasper Plattner und sein Science-Team zählen konnte.

Die Arbeitsgruppe I hat ihren Sitz an der Universität Bern. Welche Rolle hat die Uni gespielt?
Eine zentrale. Bei meiner Wahl hat man Berichte gelesen, die behaupteten, dass nun das Sekretariat unserer Arbeitsgruppe in Genf eingerichtet würde, wo auch das IPCC- Sekretariat seit 1988 stationiert ist. Das war nicht meine Absicht: Ich wollte die Wege so direkt und kurz halten wie möglich und mich nicht im schwerfälligen System der UNO-Administration bewegen. Die Universität Bern hat nicht nur die Räumlichkeiten für das Sekretariat zur Verfügung gestellt. Auch alle administrativen Abläufe liefen über die Uni, deren Effizienz und Flexibilität ich übrigens äusserst schätzte. Aufgrund des internationalen Charakters der Aufgabe war das notwendig und der Schlüssel zum Erfolg.


Gian-Kasper Plattner leitet seit 2009 das Science-Team der IPCC-Arbeitsgruppe I an der Uni Bern.

Wurden Sie für die Wahrnehmung der IPCC-Aufgabe von Ihren übrigen Pflichten entlastet?
Es war mir bereits vor der Wahl klar, dass die Arbeitsbelastung für dieses Amt im Durchschnitt zirka 50 Prozent betragen würde – und dass es nicht korrekt wäre, wenn der Kanton mein Salär weiterhin voll begleichen müsste. Die Eidgenossenschaft hat im Rahmen meines Mandats diesen Teil des Lohns übernommen und das hat mir ermöglicht, die frei werdenden Mittel für eine Entlastung einzusetzen. Die Vorlesungen habe ich aber weiterhin mit Freude gehalten. Ausser in diesem Semester, wo ich den Bericht vorstellen muss und somit viel unterwegs bin.

Die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler arbeiten weltweit freiwillig und ohne Bezahlung in den verschiedenen Arbeitsgruppen mit. Was haben diese Personen davon?
Es ist tatsächlich eine grosse zusätzliche Belastung. Sie findet wegen der Zeitverschiebungen oft in der Freizeit statt, weil viele Kolleginnen und Kollegen in den USA oder in Australien leben. Als Autorin oder Autor erhält man zwei einmalige Vorteile: Zunächst arbeitet man mit den weltbesten Kollegen sehr eng zusammen und erstellt ein gemeinsames Produkt mit höchster Sichtbarkeit. Dann zwingt die Konsensbildung die Beteiligten zur absoluten Klarheit in oft schwierigen Fragen. Das generiert viele Ideen für die eigene Forschung.

Entstanden ist eine aktuelle Zustandsbeschreibung des Weltklimas mit über 2000 Seiten. Gibt es für Sie als Profi da auch überraschende Befunde?
Es gibt eigentlich keine Überraschungen, denn wir bilden ja nur ab, was in den wissenschaftlichen Fachzeitschriften bereits publiziert wurde. Dennoch konnten wir zwei neue Eckpfeiler im grundlegenden Verständnis, wie das Klima auf den Anstieg  der menschgemachten Treibhausgase reagiert, in den neuen Bericht aufnehmen. Ein dritter wichtiger Fortschritt betrifft konkrete Aussagen bezüglich der Anforderungen an gesteckte Klimaziele. Darüber berichten wir am 27. September.

Der Bericht mit seinen 2000 Seiten wurde durch Sie und das Science Team um Gian-Kasper Plattner in Zusammenarbeit mit dem gesamten Autorenteam auf eine 22 Seiten kurze Zusammenfassung für «Politische Entscheidungsträger» kondensiert. Um die genauen Formulierungen in diesem Dokument wird nun in Stockholm gerungen. Zunächst: Ist es wirklich möglich 2000 Seiten auf 22 zusammenzufassen?
Einstein sagte: «So einfach wie möglich, aber nicht einfacher». Daran halten wir uns. Es ist eine grosse Herausforderung, aber es muss möglich sein, jene Sachverhalte, die für Entscheidungsträger wichtig sind, in Kürze auf einen Punkt zu bringen: Welche Klimaänderungen messen wir? Was sind die Ursachen? Welche Klimaänderungen erwarten wir?

Diese 22 Seiten sollen von Ihren Auftraggebern – das sind 195 Regierungen – einvernehmlich abgesegnet werden. Wird da nicht die Wissenschaft durch die politischen Interessen ausgehebelt?
Zwei Elemente verhindern das: Erstens der verlangte Konsens und zweitens die wissenschaftlichen Erkenntnisse. Mit so vielen verschiedenen Interessen am Tisch bleibt als anerkannter und akzeptierter Massstab die Wissenschaft bestehen. Sie hat das letzte Wort. Es geht hier um wissenschaftliche Erkenntnisse und nicht um Ansicht, Glaube oder Ideologie.

Der Bericht ist noch geheim. Aber lassen Sie mich vermuten: Die Mensch trägt die Hauptverantwortung für die globale Erwärmung der letzten Dekaden...
Das ist in der Tat so. Der Fussabdruck der Menschheit im Klimawandel ist nun weltweit und in allen Komponenten des Klimasystems sichtbar.

Zur Person

Der weltweit bekannte Klimaphysiker ist seit 2008 Ko-Leiter der Arbeitsgruppe I des UNO-Wissenschaftsrats für den Klimawandel. Als leitender Autor hat er bereits zum 3. und 4. Sachstandsbericht  von 2001 und 2007 massgeblich beigetragen. Das Intergovernmental Panel on Climate Change (IPCC) wurde 1988 ins Leben gerufen. Der UNO-Wissenschaftsrat ist in drei Arbeitsgruppen organisiert und untersucht die Gründe und Risiken des Klimawandels sowie mögliche Vermeidungsstrategien.

Die Arbeitsgruppe I befasst sich mit den wissenschaftlichen Grundlagen des Klimawandels. Die Schweiz finanziert die Leitung dieser Arbeitsgruppe durch ein Mandat des Bundesrates an Prof. Thomas Stocker von der Universität Bern. Hier befindet sich auch das Sekretariat der Arbeitsgruppe I, welches ein Science-Team unter der Leitung von Gian-Kasper Plattner als wissenschaftlichem Direktor beinhaltet.

Der 5. Sachstandsbericht Wissenschaftliche Grundlagen der Arbeitsgruppe I wird am 27. September in Stockholm vorgestellt. Die Berichte der übrigen beiden Arbeitsgruppen folgen bis April 2014. Anschliessend wird entschieden, ob die bisherige Arbeitsweise mit globalen Berichten zum Klimawandel alle 5-6 Jahre beibehalten oder neue Formen der Berichterstattung zur Anwendung kommen sollen.

 

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