Warum wir Tierbabys unter die Fittiche nehmen wollen

Seien es Menschenbabys, Welpen oder Kätzchen, wir finden sie süss, und sie wecken fürsorgliche Gefühle in uns. Denn unabhängig von der Art spielt bei der Wahrnehmung von Niedlichkeit der gleiche Mechanismus im Gehirn, wie Berner Forschende erstmals zeigen konnten.

Von Sandra Flückiger 07. August 2013

Auch bei hartgesottenen Männern lösen sie einen Jööh-Effekt aus: Babys. Ihre Gesichter besitzen Merkmale, die bei uns ein fürsorgliches Verhalten und Beschützerinstinkte wecken. Dazu zählen ein im Verhältnis zum Körper grosser Kopf mit runder Form, weiche Gesichtszüge, Pausbacken und relativ weit unten liegende Gesichtsmerkmale wie Mund, Nase und Augen, wobei letztere gross und rund sind. Für die Summe dieser Merkmale postulierte der Verhaltensforscher Konrad Lorenz 1943 den Begriff «Kindchenschema». Berner Forschende haben nun erstmals Lorenz’ These empirisch belegt, dass es einen gemeinsamen Mechanismus gibt, der die Verarbeitung von Niedlichkeit in Kinder- und Hundegesichtern steuert.

Zwei Gesichter von Babys
Frauen und Männer beurteilen die Niedlichkeit von Babys mit einer sehr hohen Übereinstimmung. Hier wird das Baby rechts als herziger eingestuft. Bilder: Institut für Psychologie.

Was niedlich ist, beurteilen fast alle gleich

Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler vom Institut für Psychologie untersuchten, ob wir Niedlichkeit im Gehirn bei Menschen und Tieren spezifisch verarbeiten oder ob ein universeller Mechanismus diese Wahrnehmung steuert. Eine Vorstudie zeigte, dass bei der Wahrnehmung von herzigen Gesichtern breiter Konsens herrscht: «Die Übereinstimmung, was als niedlich angesehen wird, war bei Männern und Frauen sehr hoch», erklärt Janek Lobmaier, SNF-Förderungsprofessor für Biologische und Kognitive Psychologie.

Beim ersten Experiment der Studie wurden den Versuchspersonen in einem ersten Schritt Fotos von eindeutig herzigen oder nicht herzigen Babys gezeigt, in einem zweiten Schritt mussten sie verschiedene andere, gemischte Babygesichter beurteilen. Die Forschenden machten sich dabei einen Adaptationsmechanismus zunutze. «Die Wahrnehmung wird verändert, wenn man vorher einem bestimmten Stimulus ausgesetzt wurde», erklärt Erstautorin Jessika Golle. Konkret: Die Personen, die sich zuerst herzige Babys angeschaut hatten, beurteilten die folgenden Babys als weniger niedlich, als wenn sie zuvor weniger herzige Babys gesehen hatten.

Welpen
Sehen wir uns herzige Welpen an, beeinflusst dies die anschliessende Beurteilung der Niedlichkeit von Menschenbabys. Bild: Janek Lobmaier

Niedlichkeit zentral fürs Überleben

Diesen sogenannten Nach-Effekt haben die Forschenden gemäss Golle erwartet. «Uns interessierte dann insbesondere, ob es auch Transfer-Effekte zwischen Tieren und Menschen gibt.» Dazu wurden den Versuchspersonen in einem zweiten Experiment zuerst Welpen gezeigt, danach beurteilten sie menschliche Babygesichter. Der Einfluss der ersten Bilderserie zeigte sich auch hier: Sahen die Versuchspersonen zuerst niedliche Hundebabys, schätzten sie die Menschenbabys danach als weniger herzig ein, als wenn sie sich zuerst weniger niedliche Hundebabys angeschaut hatten.

«Die Deutlichkeit des Transfer-Effekts hat uns überrascht. Die Ergebnisse sprechen dafür, dass Menschen die Niedlichkeit in Kindergesichtern auch Spezies-unabhängig wahrnehmen und verarbeiten – wie dies Konrad Lorenz postulierte», erläutert Golle. Den gleichen Effekt erwarten die Forschenden dementsprechend auch für andere Tierarten wie etwa Katzen, Hasen oder Tiger. Insbesondere für Säugetiere sei dieser Mechanismus zentral: «Der Nachwuchs ist auf die Fürsorge der Eltern angewiesen, um zu überleben», so Golle. «Die herzigen Merkmale finden sich – glücklicherweise – in allen Kindergesichtern. Sie sind nur unterschiedlich stark ausgeprägt.»+

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