Einstein und der Antimaterie-Apfel
Im CERN erforschen Wissenschaftler die Wirkung der Schwerkraft auf Antimaterie. Eine entscheidende Rolle bei dem potenziell bahnbrechenden Experiment spielen ultra-hochauflösende Fotoplatten des Berner Albert Einstein Center.
An einem schönen Sommertag beobachtet Sir Isaac Newton in seinem Garten, wie ein Apfel vom Baum fällt. Aus dieser Beobachtung entwickelt der britische Physiker die Theorie der Gravitation – so will es zumindest der Mythos. Doch was wenn der Apfel statt aus Materie aus Antimaterie bestünde, jenem rätselhaften Gegenpart der Materie (siehe Kasten)? Würde er dann langsamer oder rascher fallen – oder gar aufsteigen? Bislang hat die Wissenschaft keine endgültige Antwort auf diese Frage.
Das soll sich nun ändern: Im Rahmen des internationalen Projekts AEgIS am CERN in Genf versuchen Forschende aus 20 Institutionen – darunter der Universität Bern – den Einfluss der Gravitation auf Antimaterie zu messen. Sollte sich herausstellen, dass die Wirkung anders ist als bei der Materie, wäre dies eine Entdeckung von beträchtlicher Tragweite.
Claude Amsler (links) und Antonio Ereditato (mit Doktorand Serhan Tufanli) testen Einsteins Theorie. (Bild: Martin Zimmermann)
Antonio Ereditato vom Albert Einstein Center der Universität Bern leitet mit seinem Kollegen Claude Amsler die Berner Gruppe bei AEgIS. Er erklärt, wieso das Experiment so wichtig ist: «Einstein postulierte in seiner Allgemeinen Relativitätstheorie, dass die Gravitation auf Materie und Antimaterie gleich einwirkt. Sollte dies wider Erwarten nicht so sein, wäre seine Theorie widerlegt.»
Experiment passt in ein Zimmer
Trotz der potenziellen Bedeutung zukünftiger Ergebnisse sei AEgIS im Vergleich zu anderen Experimenten am CERN klein, so der Berner Teilchenphysiker: «Es benötigt keine riesigen Teilchenbeschleuniger und passt in ein normales Zimmer.» Beim Versuch wird Antimaterie, in dem Fall Antiwasserstoff-Atome, in einem Vakuum durch zwei hintereinander aufgestellte Gitter geleitet. Deren feine, waagrechte Spalten lassen nur bestimmte Teilchenbahnen zu.
AEgiS-Versuchsschema: Die Antimaterie passiert die beiden Gitter und trifft auf die Fotoplatte («annihilation detector»). (Bild: zvg/AEC/AEgIS)
Nachdem die Antimaterie das zweite Gitter passiert hat, trifft sie auf eine Fotoplatte, auf der sie ein Streifenmuster erzeugt. Diese Platte ähnelt den Filmen, wie sie in alten Kameras verwendet wurden. Trifft die Antimaterie auf den Film, vernichten sie und die Materie sich gegenseitig in einem Blitz aus Energie und kleineren Teilchen. Diese Mini-Explosion wird buchstäblich in den Film hinein gebrannt.
Ohne Berner Filme geht es nicht
Das Albert Einstein Center untersucht diesen Vorgang mit leistungsfähigen Computer-gesteuerten Mikroskopen. «Wir vergleichen damit die Koordinaten vom Startpunkt des Strahls mit jenen des Aufschlags auf der Fotoplatte», erklärt Ereditatos Kollege Claude Amsler. «Wird der Antiwasserstoff im gleichen Masse nach unten abgelenkt wie normaler Wasserstoff, dann hat die Gravitation auch die gleiche Wirkung auf Antimaterie wie auf Materie.»
Unscheinbar – und unerreicht präzise: eine Fotoplatte des Albert Einstein Center. (Bild: Martin Zimmermann)
Die Platten wurden am Albert Einstein Center entwickelt. Ihre Auflösung ist weltweit unerreicht, wie Amsler sagt. Ohne diese Filme sei AEgIS nicht realisierbar. «Darauf lassen sich die Aufschlagspunkte mit einer Genauigkeit von nur einem Tausendstel Millimeter messen», so der Forscher.
Der weite Weg bis zum Antiwasserstoff
Bislang hat das AEgIS -Konsortium am CERN allerdings nicht mit ganzen Antiatomen sondern erst mit Antiprotonen experimentiert. «Wegen ihrer Ladung werden Antiprotonen durch elektrische Störfelder abgelenkt, die viel stärker sind als die Gravitation», sagt Antonio Ereditato. «Um den Einfluss der Schwerkraft zu messen, sind sie somit unbrauchbar. Wir haben sie lediglich zu Test-Zwecken verwendet.»
Atome, respektive Antiatome, weisen hingegen eine neutrale Ladung auf. Sie werden daher nicht von solchen störenden Feldern beeinflusst. Da Antimaterie bei jedem Kontakt mit Materie zerstrahlt, ist sie äusserst selten. Ganze Antiatome kommen in der Natur überhaupt nicht vor und müssen im CERN mit sogenannten Beschleunigern hergestellt werden – ein aufwändiger Prozess. Bis genügend Antiwasserstoff für AEgIS vorliegt, dürfte laut Ereditato somit «noch einige Zeit vergehen».
Die Explosion von Materie und Antimaterie wird in die Fotoplatten eingebrannt. (Animation: zvg/AEC/AEgiS)
Ungewisse Erfolgsaussichten
Doch wie gross ist eigentlich die Wahrscheinlichkeit dafür, dass die Schwerkraft Antimaterie anders beeinflusst als Materie? Es gebe plausible wissenschaftliche Theorien dafür, so die beiden Physiker. «Oft heisst es: Das wird nichts, ihr verplempert nur eure Zeit mit diesem Experiment», sagt Claude Amsler verschmitzt. «Aber wir testen immerhin Einsteins Theorie. Da kann man nicht abseits stehen.»
Antonio Ereditato doppelt nach: In der Physik gehe es nicht darum, was man glaube, sondern was man messen könne, egal wie klein die Chance auf einen Paradigmenwechsel sei, sagt er. «Es entbehrt nicht einer gewissen Ironie, dass Einstein ausgerechnet am Albert Einstein Center auf dem Prüfstand steht.»
Was ist Antimaterie?
Für jede Teilchenart gibt es ein Antiteilchen, das sich in seiner elektrischen Ladung von seinem Gegenpartikel unterscheidet: Aus einem positiv geladenen Proton wird so etwa ein negativ geladenes Antiproton; aus einem negativ geladenen Elektron ein positiv geladenes Positron. Treffen Materie und Antimaterie aufeinander, löschen sie sich gegenseitig aus. Grössere Antimaterieteilchen – Antiatome oder gar Antimoleküle – kommen in der Natur deshalb nicht vor. Vermutet wird, dass sich Materie und Antimaterie in der Frühzeit des Universums weitestgehend gegenseitig vernichtet haben. Zurück blieb ein kleiner Rest Materie, aus dem sich schliesslich die Sterne und Planeten und letztlich der Mensch formte.