Berliner Autor spaziert in Bern

David Wagner ist der erste Friedrich Dürrenmatt Gastprofessor an der Uni Bern. Zum Auftakt las der Berliner Autor aus seinem Buch «Leben» und sprach darüber mit Rektor Martin Täuber. Als Professor will er Bern spazierend erkunden und den Blick auf die Stadt verändern.

Von Sandra Flückiger 25. Februar 2014

«Ich drehe mich um, beuge mich über die Badewanne, da schwappt es schon aus mir heraus. Als ich die Augen öffne, wundere ich mich über das viele Blut in der Wanne. Langsam läuft es Richtung Abfluss. Ich weiss, was das bedeutet. B., mein Arzt, der mich seit meinem zwölften Lebensjahr behandelt, hat mich oft genug, seit Jahren schon, gewarnt. Ich weiss, dass die Ösophagusvarizen, die Krampfadern in meiner Speiseröhre, geplatzt sind, ich weiss, dass ich nun nach innen blute und nicht ohnmächtig werden darf, ... und ich weiss, wird diese Blutung nicht schnell gestoppt, bin ich bald tot.»

David Wagner
David Wagner, erster Friedrich Dürrenmatt Gastprofessor, hat aus seinem Buch mit autobiografischem Hintergrund vorgelesen. Bilder: Sam Buchli

Es sind teils schwer verdauliche Passagen, welche der Berliner Autor David Wagner zum Auftakt seiner Professur an der Universität Bern aus seinem Buch «Leben» vorlas. Der Friedrich Dürrenmatt Gastprofessor, der dieses Semester hier lehrt, wurde am Montag an einer feierlichen und gut besuchten Festveranstaltung der Öffentlichkeit vorgestellt.

Plädoyer für die moderne Medizin

«Leben» ist die Geschichte einer lebensgefährlichen und lebensrettenden Organtransplantation – ein gleichzeitig autobiografisches und fiktionales Buch. «Es hat mich sehr berührt», sagte Rektor und Mediziner Martin Täuber im Gespräch mit dem Schriftsteller. Die Sensibilität der Beobachtungen habe ihn «unheimlich beeindruckt». Er wollte von Wagner wissen, ob er während der ganzen Krankengeschichte viel Angst hatte. «Der Protagonist hat wenig Angst», so Wagner, «aber er ist nicht identisch mit mir. Vielleicht ist diese literarische Figur idealisiert. Ich selbst hatte direkt vor der Operation tatsächlich keine Angst, sondern fühlte mich aufgehoben.»

Rektor Martin Täuber und David Wagner
Rektor Martin Täuber hat sich als Mediziner mit der Geschichte Wagners über eine Organtransplantation auseinandergesetzt.

Sein Buch sieht Wagner als ein Plädoyer für die moderne Medizin: «Eine positive Geschichte, wie ich sie erlebt habe, ist noch nicht sehr lange möglich. Eine Generation früher und ich würde vielleicht nicht mehr hier sitzen.» Darüber staune er immer wieder, und es sei einer der Gründe, warum er das Buch geschrieben habe. «Ich bin nur noch da, weil jemand so grosszügig war und seine Organe spendete.» Das Buch sei ein Dankeschön.

Anderer Zugang zur Literatur

David Wagner ist der erste Inhaber der Friedrich Dürrenmatt Gastprofessur für Weltliteratur an der Universität Bern. Diese in der Schweiz einzigartige und von der Stiftung Mercator Schweiz unterstützte Einrichtung dient der Vermittlung zwischen Wissenschaft und Literatur, Theorie und Praxis, Universität und Öffentlichkeit. Jedes Semester soll ein Schriftsteller, eine Drehbuchautorin oder ein Essayist aus unterschiedlichen Ländern und Kulturen eingeladen werden.

Die Gäste arbeiten wie reguläre Professorinnen und Professoren mit Studierenden und Doktorierenden zusammen, Format und Gegenstand der Lehrveranstaltung wählen sie selbst. «Ein Vorteil besteht darin, dass Autoren einen anderen Zugang zur Literatur haben als Akademiker», sagt Oliver Lubrich vom Institut für Germanistik der Universität Bern, Initiator und Leiter des Projekts. So kämen Angebote zustande, die in ihrer Form kreativ und inhaltlich aktuell seien.

Publikum
David Wagner arbeitet wie ein regulärer Professor mit Studierenden und Doktorierenden zusammen, führt aber auch öffentliche Veranstaltungen durch.

David Wagner plant verschiedene – teils öffentliche – Veranstaltungen für dieses Semester, beispielsweise geführte Spaziergänge in Zusammenarbeit mit Bern Tourismus, eine Lesung im Inselspital und ein Kolloquium zu Literatur und Krankheit. Zudem führt er das Seminar «Praktische Psychogeographie oder wie können wir uns in Bern verlaufen?» durch. Dabei will er mit den Studierenden Spaziergänge machen und Mittel suchen, um «normale Wege aufzubrechen». «Wir werden etwa Tramlinien entlang gehen oder an jeder Ecke darum würfeln, welche Richtung wir einschlagen. Das Gehen ermöglicht es, Dinge ganz anders zu sehen», so Wagner, der sich freut, trotz einst abgebrochener Promovierung «durch die Hintertür» wieder an einer Universität zu sein.

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