Ping-Pong spielen in der Miniaturwelt

Fairness und Gerechtigkeit sind fundamentale Motive in Charlotte Sieber-Gassers rechtswissenschaftlicher Arbeit. Mit ihrer Forschung möchte sie die Menschen für das Potenzial des Rechts sensibilisieren. «uniaktuell» stellt wöchentlich junge Forschende der Uni Bern vor – bis zur «Nacht der Forschung» am 6. September.

Die Globalisierung schreitet aller Krisen zum Trotz weiter voran – was dies für verschiedene Weltgegenden konkret bedeutet und wie man diese Entwicklung steuern kann, wird am World Trade Institute (WTI) der Uni Bern erforscht. Wirtschaftsvölkerrechtlerin Charlotte Sieber-Gasser, 31, untersucht hier unter anderem die fragwürdige Investitionspraxis von China in Afrika oder die Chancen, die der Freihandel zwischen Entwicklungsländern bringt. Zu letzterem Thema hat sie erst kürzlich ihre Dissertation eingereicht – vier Jahre harte Arbeit, 300 Seiten Text: Die Erschöpfung war gross, der anschliessende Urlaub mit der Familie überfällig. Der Enthusiasmus für die Forschung aber ist geblieben.

«uniaktuell»: In der Forschung steckt viel Herzblut und Leidenschaft. Was ist Ihre Leidenschaft?
Charlotte Sieber-Gasser: Meine Grundüberzeugung lautet: Wir leben alle auf einem Planeten. Wir sind immer vernetzter. Viele fürchten sich davor, ich finde den Gedanken daran schön. Was aber viele noch nicht realisieren: In einer globalisierten Welt können unsere Handlungen auch überall Auswirkungen haben. Wenn wir zum Beispiel ein T-Shirt für 3 Franken kaufen, hat das negative Folgen auf den Lohn der Textilarbeiterinnen in Bangladesch. Trotz der Globalisierung macht es immer noch einen riesigen Unterschied, wo man geboren wurde. Ich habe angefangen, Recht zu studieren, weil ich es unfair fand, dass man in der Schweiz unter derart anderen Vorausaussetzungen aufwächst als etwa in Somalia. Das Recht als umfassendes Netz, welches alle Gesellschaften verbindet, kann eine zentrale Rolle spielen für Chancengleichheit rund um die Welt. Jede Gesellschaft baut auf rechtlichen Normen auf.


Charlotte Sieber-Gasser ist überzeugt: Wir leben alle auf einem Planeten. (Bilder: Adrian Moser)

Wieso ist Ihre Forschung für die Gesellschaft relevant?
In einigen Bereichen hat das juristische System einen fragwürdigen Einfluss. Ein Beispiel ist die «tied aid», also Entwicklungshilfe, die an Bedingungen der Geber  gebunden ist. Beispielsweise an den privilegierten Zugang zu Ressourcen. Man weiss, dass diese Form der Hilfe nicht entwicklungsfördernd ist – und doch scheint sie in gewissen Weltgegenden zu florieren. Es gibt aber auch Bereiche, in denen man viel bewegen könnte, wenn man die rechtlichen Möglichkeiten tatsächlich ausschöpfen würde. Wenn zum Beispiel die Entwicklungsländer den Freihandel untereinander stärken würden, wäre das auch ihrer Entwicklung förderlich. Ich stellte fest, dass es zu gerade diesem Thema sehr wenig wissenschaftliche Literatur gibt. Mit meiner Dissertation habe ich nun selbst einen Beitrag dazu geleistet. 

Was wollen Sie persönlich mit Ihrer Forschung erreichen?
Ich hoffe, mit meiner Forschung den Menschen folgendes aufzeigen zu können: Es gibt ein Rechtssystem, auch für den internationalen Handel, und darauf könnt ihr bauen! Ich möchte Ideen liefern, wie man Probleme kreativ angehen kann. Dank der Forschung kann ich die Dinge hinterfragen, neu denken, mit der Gesellschaft in Dialog treten. Es ist schon gewaltig, was man alles damit auslösen kann! Das habe ich bei der Diskussion um die SVP-Masseneinwanderungsinitiative bemerkt: Ein Kollege und ich waren dabei, einen Artikel zu Migrationsbestimmungen in Freihandelsabkommen für eine Fachzeitschrift zu verfassen, als die Initiative angenommen wurde. Wegen der damals gerade laufenden Diskussion über ein Freihandelsabkommen mit China wurde unser Artikel in der Diskussion im Ständerat zitiert. Streng juristisch gesehen ist das Abkommen mit China nach Annahme der Initiative nämlich nicht umsetzbar, da es Arbeitskräfte-Kontingente explizit verbietet. Diese Erkenntnis hat einigen Wirbel ausgelöst: Unsere Arbeit wurde in den Medien zitiert, in der Politik, in der Verwaltung.

Warum haben Sie sich für Ihr Forschungsgebiet entschieden? Gab es Schlüsselerlebnisse?
Ja, meine ganze Kindheit. Meine Eltern haben sich in jungen Jahren stark für die Drittwelt-Laden Szene und den fairen Handel eingesetzt. Sie vermittelten mir ein Bewusstsein dafür, wie privilegiert ich hier aufwachse. Mein Antrieb ist es daher, die Chancen, die ich habe, so zu nutzen, dass sie möglichst vielen Menschen etwas bringen.

Sie haben eine lange Karriere vor sich – welches sind Ihre nächsten Schritte?
In der Zeit meiner Diss habe ich zwei Kinder zur Welt gebracht. Ich freue mich nun darauf, etwas mehr Ruhe zu haben und mehr Zeit für sie. Im Moment habe ich eine Post-Doc-Stelle am WTI inne. Dank der Lehre kann ich in einen aktiveren Dialog mit den Leuten treten. Eventuell habilitiere ich hier in der Deutschschweiz. Ein Thema hätte ich schon: die Interaktion zwischen sozialen und rechtlichen Normen. Es gibt eine Theorie, wonach soziale Normen – zum Beispiel die Steinigung von Frauen in manchen Ländern – sich im Alltag gegen rechtliche Normen durchsetzen – in dem Fall das Verbot dieser Praxis. Um das zu ändern, braucht es eine Art Dynamik zwischen den beiden Systemen. Es geht darum, das Recht so zu formulieren, dass es die Menschen auch in ihrem Alltag erreicht.   

Welches ist Ihr Vorbild?
Inspirierend finde ich das «Ping-Pong», den Gedankenaustausch mit WTI-Leiter Thomas Cottier und den Kolleginnen und Kollegen am Institut. Das WTI insgesamt ist ein sehr inspirierender Ort. Es ist eine Miniaturwelt, in der man sich mit Leuten aus unterschiedlichen Kulturen mit unterschiedlichen Perspektiven austauschen kann. Eine grosse Herausforderung stellt momentan die Work-Life-Balance dar, denn so eine akademische Karriere braucht Zeit und die wichtigsten Schritte macht man ausgerechnet in dem Alter, in dem man Kinder kriegt. Hier suche ich nach Vorbildern, denn es ist nach wie vor unüblich, als junge Frau bereits zu Beginn der akademischen Laufbahn Mutter zu sein.

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