«Cogito ergo sum» und das Humanforschungsgesetz

Forschung am menschlichen Körper ist durch das Humanforschungsgesetz geregelt. Doch die Frage, ab wann man in den Körper einer Person eingreift, bedeutet für die kognitive Neurowissenschaft die Neuauflage des Körper-Geist-Problems. Eine Analyse.

Haben wir nicht schon seit Jahrzehnten bis zum Abwinken darüber diskutiert, was Gehirn und Geist miteinander zu tun haben? Philosophisch gibt es zwei Positionen: Die eine plädiert für die vollkommene Überlappung der beiden Entitäten. Die Andere argumentiert für eine strikte Trennung: Geist und Köper, und damit das Gehirn, sind unabhängig voneinander. Das Körper-Geist-Problem gehört nicht nur zu den meistdiskutierten Problemen in der Philosophie, es verdient im Zeitalter der Neurowissenschaften besondere Aufmerksamkeit.

Das Humanforschungsgesetz gilt für die Forschung zu «Aufbau und Funktion des menschlichen Körpers», womit auch «nicht auf Krankheiten bezogene Forschung zu Eingriffen und Einwirkungen auf den menschlichen Körper» gemeint ist. Nur: Ab wann gilt ein Eingriff oder eine Einwirkung auf den menschlichen Körper als solcher?

Gedächtnis zwischen Geist und Körper

Zum Beispiel lassen Psychologen Versuchspersonen sich an Bilder erinnern und messen dabei die Gehirnaktivität. Sie stellen fest, dass das Gehirn unterschiedlich reagiert, je nachdem ob das Bild farbig oder schwarz-weiss ist. Obwohl das Gehirn bei bunten versus schwarz-weissen Bildern unterschiedliche Aktivität zeigt, könnte man argumentieren, der Versuchsleiter hätte nicht auf den Körper der Versuchsperson eingewirkt; gewissermassen eine streng dualistische Haltung.

Porträt von René Descartes
Von ihm stammt der berühmte Satz «Cogito ergo sum»: René Descartes. Bild: Frans Hals, 1648, Wikimedia Commons

In der Welt der Dualisten herrscht eine Trennung zwischen Körper und Geist; beide Entitäten sind unabhängig voneinander. Der wohl berühmteste Vertreter der Dualisten, der französische Philosoph René Descartes, wurde mit dem Satz «cogito ergo sum» berühmt. Als Argument für den Dualismus ist dieser folgendermassen zu verstehen: Solange mein Geist diesen Satz begreifen kann, kann ich davon ausgehen, dass er existiert. Es ist denkbar, dass mein Geist ohne meinen Körper existiert, doch es ist nicht denkbar, dass mein Körper ohne meinen Körper existiert. Folglich sind Körper und Geist zwei unterschiedliche Entitäten.

Fehlende Diskussionen in der Forschung

Bemerkenswert ist, dass das Körper-Geist-Problem in der kognitiven Neurowissenschaft kaum diskutiert wird. Denn wären Geist und Körper völlig unabhängig voneinander, würde es wenig Sinn machen, von Hirnprozessen auf Denkprozesse zu schliessen – und umgekehrt. Entdeckt aber eine Forscherin etwa eine erhöhte Aktivität der Amygdala (der für die Angst zuständige Teil des Gehirns), wenn eine Schlange statt einer Büroklammer angeschaut wird, so interpretiert sie den Zustand der Versuchsperson als ängstlich. Erinnert sich ein Patient mit einer Läsion in der Gehirnregion des Hippocampus am nächsten Tag nicht mehr an Wortpaare, wird daraus geschlossen, dass die Struktur für das Gedächtnis wichtig sei. Daraus folgt: Die kognitive Neurowissenschaft ist monistisch, das heisst antidualistisch.

Was bedeutet das neue Humanforschungsgesetz nun für die kognitive Neurowissenschaft? Nehmen wir ein intuitiv harmloses Experiment an: Versuchspersonen sollen sich Paare von Häusern und Gesichtern merken, also welche Person in welchem Haus wohnt. Benötigt dieses Experiment eine lange ethische Überprüfung durch eine kantonale Instanz, weil man weiss, dass es Veränderungen im Gehirn mit sich bringt? Wäre dies der Fall, müsste jedes Forschungsprojekt, welches menschliche Interaktion involviert, in einem langen Verfahren ethisch geprüft werden. Selbst wenn eine Versuchsperson vor dem Test begrüsst wird, wird bereits Einfluss auf ihr Gehirn und somit den Körper genommen.

Körper und Geist schematisch als Cartoon
Sind Körper und Geist getrennt? Das Humanforschungsgesetz wirft diese Frage neu auf. Bild: iStock

Jemand muss entscheiden

Selbstverständlich sollen Gesundheit und Würde aller Versuchspersonen geschützt werden. Doch stellt sich die Frage, wie der administrative Aufwand zu bewältigen wäre, müssten sämtliche Studien mit menschlicher Interaktion kantonal geprüft werden. Das Zentrum für Kognition, Lernen und Gedächtnis (CCLM), eines von sieben Strategischen Forschungszentren der Uni Bern, ist von dieser Frage direkt betroffen. Eine Gruppe von Psychologinnen, Medizinern, Psychiatern und Physiologinnen versucht, dem Denken mit interdisziplinären Forschungsprojekten auf die Schliche zu kommen. Als kognitive Neurowissenschaftler schliessen sie von Gehirnprozessen auf Denkprozesse und umgekehrt. Wie würde ihr Forschungsalltag aussehen, würden Wissenschaft und Politik strikt monistisch agieren? Müsste jede noch so nicht-invasive Studie eine aufwändige Bewilligungsprozedur durchlaufen, würde dies nicht nur Geld, sondern auch Zeit kosten.

Die Definition von «Eingriffen in den Körper» bedeutet im Zeitalter des Monismus eine Grauzone. Wie wird entschieden, was ein Eingriff in einen Körper ist? Die kognitive Neurowissenschaft bedarf klarer Kriterien, ab wann ein Forschungsprojekt aufwändig und wann es vereinfacht ethisch geprüft werden kann. Diese zu suchen, könnte künftig einem interdisziplinären Komitee aus Politik, Philosophie, Psychologie und Neurowissenschaft obliegen.

Oben