Die Schweiz – «Global Player» oder Eigenbrötler?

So nah und doch so fern: Die Schweiz liegt im Herzen Europas, sträubt sich aber wie kein anderes Land dagegen, Teil des Kontinents zu sein. Am Forum für Universität und Gesellschaft wurde über den Sonderfall Schweiz diskutiert.

McDonalds-Filialen, UNO-Mitgliedschaft und Direktinvestitionen im Ausland: Die Schweiz ist heute stark globalisiert. Seit der Jahrhundertwende musste sie zwar – unter anderem infolge der Ereignisse von 9/11 und der Finanzkrise – einige Plätze einbüssen, weist aber als kleine, offene Volkswirtschaft noch immer einen relativ hohen Globalisierungsfaktor auf. Dieser wird seit 1970 von der Konjunkturforschungsstelle (KOF) der ETH Zürich bei weltweit 207 Nationen anhand der drei Bereiche «Ökonomie», «Soziales» und «Politik» erhoben.

«Global Player» ...

Die Schweiz belegte 2011 laut KOF den stattlichen 11. Rang. «Insbesondere sozial und politisch ist die Schweiz gut integriert», folgerte der emeritierte ETH-Volkswirtschaftsprofessor Beat Hotz-Hart am öffentlichen Podium «Global Player oder Eigenbrötler – welche Schweiz wollen wir?» des Forums für Universität und Gesellschaft (FUG) der Universität Bern.

Globalisierungs-Index
Komponenten des Globalisierungs-Indexes der Schweiz. Ränge 2011: ökonomisch: 37, sozial: 4, politisch: 12. Bild: KOF ETHZ, 2014

Weniger gut sieht es im Bereich der ökonomischen Verflechtung aus, wo es die Schweiz «nur» auf Rang 37 schaffte und damit hinter vergleichbaren Ländern wie Belgien oder den Niederlanden lag. Diese relativ schlechte Position ist vor allem auf ökonomische Hemmnisse wie Importbeschränkungen zurückzuführen. Insbesondere bei der Intensität im Austausch von Kapital und Arbeit liegt die Schweiz aber über dem Durchschnitt der anderen Länder und schneidet besser ab als bei der Handelsintensität. «Wir exportieren Uhren, Pharmazeutika und Präzisionsinstrumente, doch unsere internationale Verflechtung ergibt sich vor allem durch das grosse Auslandvermögen aufgrund von hohen Direkt- und Portfolioinvestitionen», erklärte Hotz-Hart.

Gleichzeitig verwies er auf Wissen und Technologien, welche der Kleinstaat als Vorleistung für seine Produkte in hohem Masse aus dem Ausland beziehe. Für ihn ist unbestritten: ein attraktiver Standort Schweiz braucht Offenheit und Flexibilität. «Denn unsere Wertschöpfung pro Kopf und damit unseren Wohlstand könnten wir niemals erzielen, wenn wir diese internationale Verflechtung nicht hätten. Der Markt der Schweiz ist dafür viel zu klein».

Diskussion
Schweiz, quo vadis? Es diskutierten: Beat Hotz-Hart (links), André Holenstein und Peer Teuwsen. Bilder: Dr. Sarah Beyeler, FUG

... oder Eigenbrötler?

Die Globalisierung bringt der Schweiz indes nicht nur Wohlstand, sondern schürt auch Ängste in der Bevölkerung – dies hat die Annahme der Masseneinwanderungs-Initiative eindrücklich belegt. «Das Spannungsfeld zwischen Integrität und Abgrenzung prägt den Kleinstaat seit seiner Gründung», erklärte Professor André Holenstein vom Historischen Institut der Uni Bern.

Die Eidgenossenschaft ist durch ihre besondere geografische Lage, durch Geschichte, Sprachen und Verkehrswege eng mit ihrem europäischen Umland verflochten. So importierte sie nicht nur Rohstoffe aus dem Ausland, sondern begann nach dem Ersten Weltkrieg auch ihren Finanzmarkt zu globalisieren. Bereits Ende des 19. Jahrhunderts wanderte eine grössere Zahl von Ausländern ein, zuerst aus Europa, seit 1970 dann vermehrt auch aus aussereuropäischen Staaten.

Sonderfall Schweiz

Trotz ihrer politischen, wirtschaftlichen und kulturellen Verflechtung war die Schweiz stets von einem Sonderfalldenken geprägt, das sich im 19. und 20. Jahrhundert noch verstärkte. «Die Differenz zum Umfeld akzentuierte sich nochmals unter dem Eindruck von Kolonialismus, Imperialismus und Totalitarismus», umschrieb Holenstein die Haltung der Schweiz, die schliesslich zur Überzeugung geführt habe, vom Schicksal auserwählt und deshalb von beiden Weltkriegen des 20. Jahrhundert verschont geblieben zu sein. «Die Vorstellung, als Sonderfall nur auf sich selbst gestellt zu sein und niemanden vertrauen zu können, förderte die pessimistische Grundeinstellung gegenüber Europa und der Welt.»

Publikum
Das Thema Sonderfall Schweiz lockte das Publikum ans FUG.

Dies ging mit der verschobenen Wahrnehmung einher, das Ausland habe zur Sonderstellung der Schweiz keinen Beitrag geleistet – ungeachtet dessen, dass beispielweise im Zweiten Weltkrieg die Alliierten auch die Schweiz vor Nazideutschland geschützt haben. Viel mehr wurden im Laufe der Geschichte die Einflüsse von aussen immer wieder als Gefahr wahrgenommen. Holenstein sprach auch vom David-Goliath-Syndrom: Die Besetzung der Rolle des bösen, fremden Goliath habe sich von den Habsburgern, über das napoleonische Frankreich bis hin zur Sowjetunion immer weitergezogen. «Der Goliath von heute ist die EU und dadurch wird auch der Ruf nach Abgrenzung immer lauter.»

Aggressionen und Bewunderung

Doch auch Europa blickt nicht nur wohlwollend auf den kleinen Nachbarn: «Die Schweiz weckt zwar einerseits Bewunderung, andererseits aber auch Neid und Aggressionen», sagte der deutsch-schweizerische Journalist Peer Teuwsen zur Aussensicht auf die Eidgenossen. Die Beziehung zwischen der Schweiz und ihren europäischen Nachbarn sei nicht nur von Skepsis, sondern auch von einem grossen Unwissen geprägt. Eine gegenseitige Annäherung war, ist und bleibt somit eine grosse Herausforderung.

Weiterführende Informationen

Forumsgespräch: Global Player oder Eigenbrötler?

Wohin wird der (gem)einsame Weg der Eidgenossenschaft und der Europäischen Union führen? Welche Optionen zwischen dem bilateralen Weg und einem Alleingang bieten sich der Schweiz? Am 25. September greift das Forum für Universität und Gesellschaft diese Frage auf und diskutiert das Thema «Die Schweiz in Europa: zwischen Offenheit und Abgrenzung».

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