An der Schnittstelle von Computer und Text

Tara Andrews hat erst Informatik studiert, bevor ihr Interesse an den Geisteswissenschaften erwachte. Als Professorin für Digital Humanities kann sie beide Fachrichtungen vereinen und vermitteln, wie man Texte digital analysieren und Fragestellungen formalisieren kann.

Von Sandra Flückiger 13. Mai 2014

Mit Computern können wissenschaftliche Fragestellungen schneller und umfassender beantwortet werden als mit herkömmlichen Methoden. «Heute schaffen wir in 50 Stunden, was früher 50 Tage dauerte», sagt Tara Andrews. Die Amerikanerin ist Professorin für Digital Humanities an der Universität Bern und damit Vorreiterin eines neuen und zunehmend wichtigen Forschungsgebiets. Im vergangenen Herbst wurde in Bern ein akademisches Programm zu den digitalen Geisteswissenschaften eingerichtet – als erstes in der Deutschschweiz. Zusammen mit dem Kompetenznetzwerk «Digitale Information» der Philosophisch-historischen Fakultät und des Instituts für Wirtschafsinformatik der Uni Bern sollen Lehrveranstaltungen zu neuen Forschungsmethoden angeboten werden. Auch Kooperationen mit den Beteiligten verschiedener digitaler Berner Projekte sind vorgesehen.


Tara Andrews will als Professorin für Digital Humanitites das Verständnis zwischen den Geistes- und Naturwissenschaften verbessern. (Bilder: Sandra Flückiger)

Den Computer rechnen lassen

Die Ausrichtung ihrer Professur entwickle sich laufend – «work in progress», sagt Tara Andrews dazu. «Bisher habe ich vor allem Informationen gesammelt: Was passiert an der Fakultät überhaupt in diesem Bereich? Welche Projekte enthalten digitale Aspekte?», so Andrews. Bereits durchgeführt hat sie mehrere Seminare, darunter eine Einführung in Digital Humanities, bei der es insbesondere um theoretische Aspekte ging und die als Basis für die Studierenden diente. «Wir haben uns angeschaut, wie man Fragestellungen in den Geisteswissenschaften formalisiert und welche Fragestellungen aus den Naturwissenschaften übernommen werden können», erläutert die junge Assistenzprofessorin.

Tara Andrews hat ihren Bachelor am renommierten Massachusetts Institute of Technology (MIT) in den USA absolviert. «Erst wollte ich Mathematikerin werden. Ich fand es dann aber spannender, den Computer für mich rechnen zu lassen», erzählt sie. Nebst der Informatik interessierte sie sich auch für Geschichte – richtig auf den Geschmack kam sie aber erst durch die am MIT obligatorische Vertiefung in Geisteswissenschaften. Sie blieb der eingeschlagenen Richtung vorerst treu und arbeitete für eine Internet-Startup-Firma, «bis die ‹Dotcom›-Blase platzte». Dann entschloss sich die Amerikanerin, ihrer zweiten grossen Leidenschaft nachzugehen, und begann einen Master in byzantinischer und mittelalterlicher armenischer Geschichte im englischen Oxford.

Texte statistisch analysieren

In einem weiteren Seminar, das die Professorin an der Uni Bern durchgeführt hat, ging es um konkrete Methoden wie etwa digitalisierte Transkription, «topic modelling» und Stilometrie. «Themen-Modelle» sind das Resultat einer statistischen Auswertung von verschiedenen Texten und zeigen, welche übergeordneten Themen darin vorkommen. Die Stilometrie untersucht Texte ebenfalls mit Hilfe der Statistik. Sie ermöglicht etwa den Vergleich des Stils von Autoren oder Gattungen sowie die zeitliche Einordnung von Werken. «Diese Methoden sind alle sehr wichtig», sagt Andrews, «nicht zwingend, um Fragen zu beantworten, sondern um sie zu stellen.» Sie könnten auf neue Aspekte der Texte aufmerksam machen, die sonst nicht auffallen würden.


Das Wörterbuch, das Altarmenisch in modernes Armenisch übersetzt, hilft Tara Andrews, die alten Texte zu verstehen.

Tara Andrews begann erst im PhD, ihre beiden Disziplinen zusammenzubringen. Ihre Aufgabe bestand darin, eine digitale textkritische Edition eines armenischen Texts zu erstellen. «Mein betreuender Professor wollte eine digitale Edition, obwohl er nicht genau wusste, was das ist. Aber er meinte, ich würde das schon herausfinden», meint sie lachend. Was die Informatikerin dann auch tat. Auf eigene Faust. Dass es noch andere Forschende gibt, die an der Schnittstelle von Informatik und Geisteswissenschaften arbeiten, merkte sie erst, als sie sich für ein sogenanntes COST Action («European Cooperation in Science and Technology») bewarb, das Wissenschaftler ebendieser Bereiche zusammenbringt. «Die meisten dieser Teilnehmenden waren Geisteswissenschaftler, die sich das Programmieren selber beibrachten, und Informatiker, die auf Auftragsbasis arbeiteten. Als Informatikerin, die selbst forscht, war ich da eher eine Ausnahme», so Andrews.

Als Digital Humanities-Professorin mit einem Bachelor of Science und einem Master of Philosophy ist es ihr ein Anliegen, das Verständnis zwischen den beiden Disziplinen zu fördern. Sie höre von Naturwissenschaftlern oft den Vorwurf, die Geisteswissenschaften seien unwissenschaftlich, weil sie nicht experimentell arbeiten. So will es die Forscherin zwar nicht ausdrücken, aber: «Es würde nichts schaden, die ‹wissenschaftlichen› Methoden der anderen Seite zu kennen, gerade wenn es um Modellbildung oder Formalisierung geht. Dadurch eröffnen sich neue Möglichkeiten.»

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