Sie stärkt schwache Herzen
Henriette Most arbeitet mit dem Skalpell, aber auch mit der Pipette. Die 36-jährige Oberärztin erforscht, wie geschwächte Herzmuskelzellen wieder munter gemacht werden können. Dafür erhielt sie 2012 den Forschungspreis des Departements Klinische Forschung (DKF) der Uni Bern. «uniaktuell» stellt wöchentlich junge Forschende der Uni Bern vor – bis zur «Nacht der Forschung» am 6. September.
Sie operiert im Team des renommierten Herzchirurgen Thierry Carrel an der Universitätsklinik für Herz- und Gefässchirurgie am Inselspital, setzt Bypässe nach Herzinfarkten, ersetzt Herzklappen und assistiert bei Transplantationen oder der Implantation einer kreislaufunterstützenden Pumpe. Daneben führt sie eine Forschungsgruppe, die sie selber aufgebaut hat. Ihre Forschung kann sie wegen ihrer Arbeitslast meist nur in den Randstunden betreiben, auch abends oder in der Freizeit. Ihr Forschungsinteresse gilt der schweren Herzmuskelschwäche: Davon sind in der Schweiz ca. 200‘000 Menschen betroffen, sie ist die am raschesten wachsende Herz-Kreislauf-Erkrankung.
«uniaktuell»: In der Forschung steckt viel Leidenschaft und Herzblut – in Ihrem Fall sogar wortwörtlich. Was ist Ihre Leidenschaft?
Henriette Most: Herzinsuffizienz ist ein alltägliches, weit verbreitetes Problem, bei dem wir aber nach wie vor wenig ausrichten können – im Gegensatz zur Herzinfarkt-Therapie, die grosse Fortschritte gemacht hat. Einmal abgestorbene Herzzellen hingegen bleiben tot, das können wir nicht umkehren. Wir können aber ein geschwächtes Herz stärken, und hier gibt es in der Forschung noch viel zu tun. Es ist faszinierend, den Dingen, mit denen man sich im Klinikalltag beschäftigt, auf den Grund zu gehen, sich selber Gedanken darüber zu machen – zum Beispiel dazu, was genau in Herzmuskelzellen nicht funktioniert, und daraus Ideen zu entwickeln. Dabei weiss man nicht, ob es stimmt, was man annimmt, und jedes Ergebnis wirft wieder neue Fragen auf. Eine Operation hingegen wird abgeschlossen und der Patient kann durch die Behandlung sofort profitieren. Die Forschung aber ist eigentlich nie abgeschlossen.
Henriette Most will mit ihrer Forschung geschwächte Herzen stärken. (Bilder: Adrian Moser)
Wieso ist Ihre Forschung für die Gesellschaft relevant?
Man darf es nicht überschätzen – es ist nicht so, dass unsere Forschung sofort Zehntausende von Menschenleben rettet, aber wir kommen Therapiemöglichkeiten schrittweise näher. Unsere Gruppe ist nicht nur grundlagenorientiert, sondern stark klinisch ausgerichtet, und wir erarbeiten innovative Therapiekonzepte. Die Herzmuskelschwäche ist in unserer Gesellschaft sehr präsent, nicht nur bei alten Menschen. Noch immer sterben 50 Prozent der Betroffenen ohne Behandlung nach einem Jahr. Medikamente können diesen Prozess oft zwar verlangsamen, aber nicht aufhalten. Und schliesslich kann die Forschung manchmal auch helfen, Geld zu sparen, indem durch sorgfältige Evaluation im präklinischen Bereich, zum Teil an isolierten Zellen, bestimmte Ansätze entweder bestätigt oder eben verworfen werden und eine klinische Erprobung gespart wird.
Was wollen Sie persönlich mit Ihrer Forschung erreichen?
Erfolg würde für mich bedeuten, dass wir unsere Fragestellungen auf einem wissenschaftlich guten Niveau beantworten und diese Ergebnisse publizieren. Damit würde der Output unserer Forschungsgruppe möglicherweise eine Verbesserung bei den Therapieoptionen bewirken und herzkranken Menschen helfen. Natürlich möchte man auch mit seiner Forschung als eigenständige Wissenschaftlerin von den bereits etablierten Arbeitsgruppen auf diesem Gebiet wahrgenommen werden und so die Sichtbarkeit der Klinik erhöhen.
Warum haben Sie sich für Ihr Forschungsgebiet entschieden?
Das hat sich mehr oder weniger so ergeben – ich hatte die Grundlagen dazu bereits in meiner Dissertation gelegt, danach konnte ich in Bern im Labor mitarbeiten, das mit dem Schwerpunkt Herzmuskelschwäche neu aufgebaut wurde, und ein Projekt übernehmen. Und je intensiver ich mich mit dem Thema beschäftigte, desto interessanter wurde es. Natürlich halte ich mein Gebiet für wichtig und auch interessant. Was wir herausfinden, ist erfolgsversprechend. Aber das denkt wohl jeder von seiner Forschung (lacht). Für den Standort Bern habe ich mich entschieden, weil die Klinik international herausragend ist, hier eine freundliche Atmosphäre herrscht mit einem respektvollen Umgang gegenüber Patienten und Kollegen, es ein hervorragendes Ausbildungssystem und eine Unterstützung für die Forschenden gibt. Ohne diese wären meine Forschungsarbeit gar nicht möglich: Zum Beispiel erhalte ich Unterstützung bei der Finanzierung eines Mitarbeiters, der die Laborarbeit übernimmt, wenn ich zu einer Operation muss. Dass mir dies zur Verfügung gestellt wird, ist gar nicht selbstverständlich und ich bin dafür sehr dankbar.
Sie haben eine lange Karriere vor sich – welches sind Ihre nächsten Schritte?
Als nächstes werden wir neuartige Therapeutika an erkrankten menschlichen Herzmuskelzellen testen. Hoffentlich haben wir dieses Jahr erste Ergebnisse und können diese nächstes Jahr publizieren oder sogar ein Patent anmelden. Für ein weiteres Projekt stellen wir diesen Herbst einen Antrag beim Schweizerischen Nationalfonds – da arbeiten wir gerade mit Hochdruck an ersten hinweisenden Daten.
Wer ist Ihr Vorbild?
Da gibt es viele, für jeden Bereich jemanden – chirurgisch ist es Thierry Carrel, weil er selbst die schwierigsten Eingriffe so sicher, schnell und unaufgeregt durchführt. In der Forschung sind es mehrere Grössen, die mich inspirieren. Ich bin auch von einigen meiner Kolleginnen und Kollegen beeindruckt, wie sie Dinge handhaben und beurteilen. Oder zum Beispiel von einer Oberärztin der Viszeralchirurgie , die sowohl klinisch sehr aktiv ist, gerade ihren PhD abgeschlossen hat, weiterhin forscht und noch zwei Kinder hat.