Die «feinen Unterschiede» im Gehirn von Frühgeborenen
Ines Mürner-Lavanchy erforscht, wie sich frühgeborene Kinder respektive ihr Gehirn im Schulalter entwickeln. Die Doktorandin am Institut für Psychologie findet es spannend, dass die Unterschiede im Vergleich zu Termingeborenen nicht offensichtlich sind. «uniaktuell» stellt wöchentlich junge Forschende der Uni Bern vor – bis zur «Nacht der Forschung» am 6. September.
Die Anzahl Frühgeburten ist in den vergangenen zehn bis zwanzig Jahren stark gestiegen, da immer mehr reproduktionssteigernde Massnahmen ergriffen werden. Dies führt öfters zu Mehrlingsgeburten – was wiederum das Risiko für Frühgeburten erhöht. Auch sichert die immer bessere medizinische Versorgung das Überleben, wenn ein Kind zu früh zur Welt kommt. Wie wirkt sich die Frühgeburt auf die kognitive Entwicklung und die Gehirnentwicklung dieser Kinder aus? Dieser Frage geht Ines Mürner-Lavanchy in ihrer Dissertation nach. Sie untersucht Hirnscans von Frühgeborenen, wenn sie im Alter von sieben bis zwölf Jahren sind, und verbindet dabei die Neuropsychologie mit den klinischen Neurowissenschaften. Die junge Forscherin hat an der Universität Bern Psychologie studiert und ist seit 2012 wissenschaftliche Mitarbeiterin an der Universitätsklinik für Kinderheilkunde des Inselspitals. Als Assistentin am Institut für Psychologie ist sie ausserdem in der Lehre tätig.
«uniaktuell»: In der Forschung steckt viel Herzblut und Leidenschaft. Was ist Ihre Leidenschaft?
Ines Mürner-Lavanchy: Was mich besonders interessiert, ist wie kognitive Prozesse, zum Beispiel das Gedächtnis und das Denken, im Gehirn repräsentiert werden. Zentral sind für mich ausserdem der Kontakt mit Menschen und das Entdecken von Unbekanntem. Oft erhalten wir widersprüchliche Forschungsergebnisse, in denen wir einen Sinn finden und die wir integrieren müssen. Auch das wissenschaftliche Schreiben empfinde ich als sehr spannenden Prozess, weil viel Kreativität gefordert ist, aber umso mehr auch Exaktheit.
Ines Mürner-Lavanchy möchte dazu beitragen, das Wissen über Hirnzusammenhänge zu vergrössern. (Bilder: Adrian Moser)
Wieso ist Ihre Forschung für die Gesellschaft relevant?
Da es mehr Frühgeburten gibt, ist das Wissen darüber, wie sich diese Kinder und insbesondere ihr Gehirn entwickeln, relevant – vor allem auch welche Faktoren eine gute Entwicklung beeinflussen. Dieses Wissen ist nützlich für die Eltern sowie für Personen, die mit frühgeborenen Kindern arbeiten. Es könnte auch dazu führen, dass Therapiemassnahmen verbessert werden.
Was wollen Sie persönlich mit Ihrer Forschung erreichen?
Ich möchte einen Beitrag dazu leisten, dass das Wissen über Kognition und Hirnzusammenhänge, also wie die Kognition im Hirn repräsentiert wird, wächst, insbesondere bei frühgeborenen Kindern. Es handelt sich dabei ja nicht um eine schwerwiegende Krankheit. Diese Kinder sind im Vergleich zu Termingeborenen oft gar nicht auffällig. Aber es gibt schon so kleine feine Unterschiede. Ich finde es sehr spannend, dass die Problematik nicht so offensichtlich auf der Hand, sondern mehr im Versteckten liegt.
Warum haben Sie sich für Ihr Forschungsgebiet entschieden?
Ich wusste über diesen Forschungsbereich anfangs nicht allzu viel, weil ich an der Uni wenig davon mitbekommen habe. Ich habe die Stelle am Inselspital von einer Freundin empfohlen bekommen, die sich weniger dafür interessiert hat. Beim Einlesen fand ich das Thema schnell sehr spannend. Es ist vor allem das Gehirn, das mich fasziniert, weil es noch so wenig erforscht ist. Es wurde schon einiges gemacht, aber man weiss immer noch relativ wenig darüber. Das ist manchmal etwas frustrierend. (lacht)
Sie haben eine lange Karriere vor sich – welches sind Ihre nächsten Schritte?
Mein Nahziel ist es, die Dissertation abzuschliessen. Nachher möchte ich noch stärker im angewandten also beispielsweise im neuropsychologischen oder klinischen Bereich Erfahrungen sammeln. Natürlich habe ich dort bereits Einblicke gewonnen, aber ich möchte diese vertiefen und mich weiterbilden. Das Fernziel – quasi mein Traumjob – wäre es, die Forschung und den angewandten Bereich miteinander zu verbinden, sodass ich in beiden Bereichen arbeiten kann.
Wer ist Ihr Vorbild?
Da muss ich kurz überlegen. (lacht) Ein wichtiges Vorbild ist meine Betreuerin Regula Everts, sowohl fachlich als auch menschlich gesehen. Generell bin ich auch fasziniert von Menschen, die eine gute Work-Life-Balance haben. Es dünkt mich in der heutzutage sehr leistungsorientierten Gesellschaft wichtig, dass man seinen Beruf voller Leidenschaft auslebt, aber trotzdem auch andere Bereiche hat, in denen man auftanken und neue Motivation fürs Arbeiten sammeln kann.