Jesus Christ – Superstar?

Ob Bachs Johannespassion oder Lloyd Webbers Musical Jesus Christ Superstar: Verschiedenste musikalische Werke greifen theologische Fragen auf. Ein Vortrag geht den Deutungen von Jesus in der Musik nach.

Wer ist dieser Jesus? Die Neutestamentler Prof. Dr. Rainer Hirsch-Luipold und Ass. Christine Oefele gingen dieser Frage nach im Rahmen der Vortragsreihe «Theologie am Freitag». Dabei wagten sie einen theologischen Blick auf die Musikgeschichte.

Musikalische Bibelauslegung

«War Jesus ein ‘Superstar’ oder ‘just a man’?»,  fragte Prof. Dr. Rainer Hirsch-Luipold zu Beginn seines Referats provozierend. Anhand verschiedener Hörbeispiele zeigte er, wie man biblische Texte mit Musik auslegen kann. «Mit Musik können Aussagen gemacht, Akzente gesetzt und Fragen gestellt werden ¬– und das ganz ohne Worte»,  sagte Hirsch-Luipold. «Mit Musik kann man Theologie betreiben.»

Maria Magdalena und Jesus Christus
Maria Magdalena und Jesus Christus in der Musicalverfilmung Jesus Christ Superstar. Bild: lossofsoul.com

Als Beispiel diente zunächst das Musical «Jesus Christ Superstar», in dem neue musikalische Sprachformen klassische Themen der Theologie kritisch beleuchten. Die Jesus übergestülpte Superstarrolle wird dabei in Frage gestellt – ganz dem Zeitgeist entsprechend. Die Uraufführung fand 1971 statt. Die Protagonisten ringen damit, wie die Jesus umgebende Aura göttlicher Macht mit Menschlichkeit, Körperlichkeit und zuletzt Sterblichkeit zusammengedacht werden kann – eine  Grundspannung christlicher Theologie. Als Beispiel sei das Lied «I don’t know how to love him» der Maria Magdalena erwähnt. Darin besingt sie Jesus als gewöhnlichen Mann («he’s just a man»), dessen Ausstrahlung sie sich doch nicht zu entziehen weiss.

Mensch oder Gott: die Johannespassion von Bach

Anhand eines monumentalen Musikwerks, der Johannespassion von Johann Sebastian Bach, konnten die Referenten zeigen, wie der Komponist seinen eigenen theologischen Deutungen Ausdruck verlieh. Zu Beginn des Werkes arbeitet Bach in Moll und mit Dissonanzen, obwohl der Chor von Jesus Christus als dem «Herrn, unserem Herrscher» singt, und man hier eigentlich Pauken und Trompeten erwarten könnte. In keinem anderen Evangelium wird Jesus so nahe an Gott gerückt, wie im Johannesevangelium. Und doch: der Gedanke der Fleischwerdung weist bereits auf den Tod hin. Bach versucht mit seiner Tonsprache dieses Paradoxon auszudrücken.

Die Auferstehung Christi
Bartolomé Esteban Murillo: Die Auferstehung Christi. Bild: zeno.org

Sehr eindrucksvoll wird die Spannung Mensch/Gott in der Arie zur Kreuzigung Jesu gezeichnet. Die Arie wird eingerahmt von den eindringlichen Worten «Es ist vollbracht» (Joh 19,30). Anfangs- und Schlussteil zeigen durch Langsamkeit, Mollklänge und sparsame Instrumentierung den Tod Jesu am Kreuz als Ende. Im Gegensatz dazu deutet der Mittelteil («der Held aus Juda siegt mit Macht») den Tod als Moment der Erhöhung und Vollendung. So verwebt Bach mit seiner Musik beide Komponenten ineinander. «Bach hat alles getan, um die Verschiedenheit der Teile zu zementieren», meinte Oefele. Bereits im Mittelteil seines Werks sei das Ende durchstrahlt vom Licht der Vollendung.

Jesus’ Tod im Banne von Auschwitz

Jahrhunderte später, in den 1960er Jahren, schuf der polnische Komponist Krzysztof Penderecki seine Lukaspassion. Geprägt von den Auschwitzprozessen zeichnete er eine ganz andere Passion. Das Ende der Kreuzigungsszene beginnt chaotisch: laut, dissonant, unstrukturiert.  Plötzlich ertönt der Hilferuf Jesu, «Vater!», gefolgt von einer bedrückenden Stille. Anstelle der letzten Worte aus dem Lukasevangelium lässt Penderecki die Szene des Todes Jesu mit den letzten Worten Jesu aus dem Johannesevangelium enden («Es ist vollbracht»), gesungen von einem Knabenchor. Im Gegensatz zu Bachs Werk tritt hier die Tragik des Todes Jesu in den Vordergrund. Vollbracht wurde kein Sieg, sondern ein Todesurteil an Unschuldigen. Jesus teilt dieses Schicksal. Dennoch: Die zarten Stimmen verklingen mit den Worten «Es ist vollbracht» in den Himmel. Die kommende Auferstehung lässt einen Hoffnungsschimmer erahnen.

Wer Jesus ist, bleibt ein Rätsel

Den beiden Referierenden gelang es, mit ihren Ausführungen und Hörbeispielen, das Publikum in ihren Bann zu ziehen. Die am Anfang aufgeworfene Frage nach dem Wesen des Mannes aus Galiläa, der Lichtgestalt, dem Superstar, dem menschgewordenem Gott fand freilich keine abschliessende Antwort. Dieses Grundthema der christlichen Theologie bleibt, um es mit den treffenden Worten Prof. Dr. Rainer Hirsch-Luipolds zu sagen, ein «produktives Rätsel».

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