Auf Quellensuche zwischen Explosionen
Theologin Mariam Kartashyan geht weit für ihre Forschung: Trotz der Syrien-Krise und Attentaten reiste die Armenierin in den Libanon, um noch unbekannte Quellen zu analysieren. «uniaktuell» stellt wöchentlich junge Forschende der Uni Bern vor – bis zur «Nacht der Forschung» am 6. September.
Im Westen ist der Konflikt relativ unbekannt, in Armenien bisher nicht aufgearbeitet worden: Die Spaltung zwischen den armenischen und den römischen Katholiken im 19. Jahrhundert und deren Auswirkungen auf die Beziehungen der katholischen Armenier zu den westeuropäischen Alt- respektive Christkatholiken. Gemeinsam bildeten sie die sogenannte anti-ultramontane Front gegen den päpstlichen Autoritätsanspruch. «Die Ereignisse, die ich beschreibe, erhellen einerseits das armenische Selbstbewusstsein gegenüber Rom und den westlichen Grossmächten und andererseits das armenische kirchliche Selbstverständnis im Verhältnis zu den westlichen Kirchen», sagt Mariam Karthashyan über das Thema ihrer Dissertation. Als gebürtige Armenierin liegt ihr nicht nur viel daran, diese Forschungslücke zu schliessen, sie verfügt auch über einen wichtigen Vorteil: Sie kenn die alt-, ost- und westarmenischen Sprachen in denen die meisten Quellen abgefasst sind. Die junge Forscherin ist seit 2011 am Departement für Christkatholische Theologie der Universität Bern tätig. Ihre Forschung wird im Rahmen eines «Doc.CH in den Geistes- und Sozialwissenschaften (GSW)» durch den SNF gefördert.
«uniaktuell»: In der Forschung steckt viel Herzblut und Leidenschaft. Was ist Ihre Leidenschaft?
Mariam Kartashyan: Ich bin sehr neugierig und finde es faszinierend, nach Quellen zu suchen, die noch unbekannt sind. So war ich Ende letzten Jahres im Libanon, um ein abgelegenes Kloster zu besuchen, das ein fast völlig unsortiertes Archiv mit etwa 65'000 Briefen besitzt. Es war nicht ganz einfach, zu diesem Archiv Zugang zu bekommen. Ich war dann drei Monate lang dort und fand nach und nach höchst spannende und wichtige Informationen für mein Forschungsprojekt. Ich kann kaum beschreiben, welche Freude ich erlebe, wenn meine Suche erfolgreich ist. Denn die Dokumente waren oft schwer verständlich oder fast unlesbar. Aufgrund der gefährlichen kirchenpolitischen und politischen Lage im 19. Jahrhundert waren in einigen Briefen sogar bestimmte Namen und Orte ersetzt worden durch andere Wörter, und ich war jedes Mal stolz, wenn ich einen solchen Code entziffern konnte. Ich sah während dieser Forschungsreise auch, wie weit ich für meine Forschung gehen kann. Wegen der Syrien-Krise gab es auch im Libanon regelmässig Bombenexplosionen und terroristische Attentate. Ich hatte oft Angst um mein Leben. Nach diesen Schwierigkeiten, die mich aber auch stärkten, sind meine Forschungsergebnisse besonders wertvoll für mich.
Jägerin verlorener Schätze: Um an alte Dokumente zu gelangen, reist Mariam Kartashyan sogar durch Krisengebiete. (Bilder: Adrian Moser)
Wieso ist Ihre Forschung für die Gesellschaft relevant?
Es ist ein noch nicht aufgearbeitetes Kapitel der armenischen Geschichte. Ich versuche, eine Neudarstellung der kirchenpolitischen Motive und politischen Hintergründe in Armenien, die auch für die allgemeine Geschichte Armeniens von Interesse ist, zu erstellen. Indem ich auch die transnationale Dimension dieses Konflikts aufarbeite, wird zudem ein Stück dieses stark von westlichen Mächten beeinflussten Teils der Geschichte sichtbar. Die explizit kirchlichen Aspekte und Konfliktfragen zu kennen und sie aufzuarbeiten, sind für die heutigen zwischenkirchlichen Beziehungen und für den ökumenischen Dialog wichtig.
Was wollen Sie persönlich mit Ihrer Forschung erreichen?
Als Erstes möchte ich durch neue Erkenntnisse und Erfahrungen als Wissenschaftlerin wachsen und dadurch bereit sein für neue Forschungsprojekte. Weiter möchte ich auch durch meine Kraft und Leidenschaft sowie durch das, was ich bisher erreicht habe und noch erreichen werde, andere junge Forscherinnen sowie internationale Wissenschaftler begeistern.
Warum haben Sie sich für Ihr Forschungsgebiet entschieden?
Die Geschichte und die Kirchengeschichte waren schon immer spannende Gebiete für mich. Mein Forschungsthema wurde allerdings von meiner Erstbetreuerin, Professorin Angela Berlis, vorgeschlagen. Ich erinnere mich, dass mich der internationale Charakter dieses Themas sofort angesprochen hat. Ich kann eine historische Episode meiner Nation mit der Geschichte und Kirchengeschichte so vieler Länder wie zum Beispiel Italien, Deutschland und der Schweiz, wo ich ja studierte, verknüpfen. Ausserdem ist Zusammenarbeit mit meinen beiden Betreuern, Angela Berlis und Hacik Rafi Gazer, Professor an der Uni Erlangen, sehr lehrreich und motivierend für mich.
Sie haben eine lange Karriere vor sich – welches sind Ihre nächsten Schritte?
Ich habe mich für die wissenschaftliche Laufbahn entschieden. In den nächsten Jahren werde ich intensiv weiterforschen. Nach Abschluss meiner Dissertation werde ich versuchen, eine Assistenzstelle an einer Universität zu finden, zu lehren und zu habilitieren.
Wer ist Ihr Vorbild?
Die Betreuerin meines Dissertationsprojekts, Angela Berlis, sowie die Betreuerin meiner Masterarbeit im Jahr 2011, Prof. em. Christine Lienemann, sind meine Vorbilder in jeder Hinsicht. Sie faszinieren mich als starke Frauen und als hervorragende Wissenschaftlerinnen, die nicht nur ihre eigene wissenschaftliche Laufbahn mit viel Herzblut verfolgt haben, sondern auch immer nach Wegen suchen, wie sie junge Studierende und Forschende unterstützen können, sich wissenschaftlich weiter zu entwickeln und ihre Ziele zu erreichen.