Niklaus Meienberg – der unterschätzte Literat

Am angriffslustigen und scharfzüngigen Journalisten Meienberg schieden sich in der Schweiz die Geister, so dass sein Werk hinter der historischen Figur, die er geworden ist, zu verschwinden droht. Dem möchte eine Ausstellung in der Unitobler Abhilfe schaffen. Dazu fand ein Vortrag statt, der Meienberg als grossen Erzähler und virtuosen Sprachkünstler auswies.

Von Salomé Zimmermann 28. April 2014

Niklaus Meienberg ist bekannt durch seine Reportagen und Texte zur Zeitgeschichte, mit denen er in den 1970er und 80er Jahren viele Debatten in der Schweiz ausgelöst hat. Entsprechend umstritten war der wohl bekannteste Schweizer Journalist, der 20 Jahre nach seinem Freitod zur historischen Figur geworden ist. So sehr, dass hinter der berühmt-berüchtigten Person das Werk in den Hintergrund gerückt ist. Dem möchte die Ausstellung entgegenwirken, die derzeit in der Basisbibliothek Unitobler (BTO) zu sehen ist. Sie beleuchtet die Quellen und Themen von Meienbergs Schaffen und lädt zum Lesen seiner Texte ein.

Porträt von Niklaus Meienberg
Niklaus Meienberg war ein virtuoser Sprachkünstler, der um jedes Adjektiv rang. Copyright: Gertrud Vogler

Ringen um die Sprache

Meienberg gilt wegen seiner genauen  Beobachtungen und hartnäckigen Recherchen als wichtigster Vertreter der sozial-kritischen Dokumentationsliteratur in der Schweiz. Am bekanntesten sind Meienbergs grosse Reportagen «Die Erschiessung des Landesverräters S.» sowie seine Studie «Die Welt als Wille und Wahn» über General Ulrich Wille und dessen Familie. Daneben hat er vergeblich versucht, zwei Stücke auf die Theaterbühne zu bringen, wie Elio Pellin in seinem Vortrag im Rahmen von «Buch am Mittag» ausführte. Meienberg schrieb auch Lyrik, «als Lyriker jedoch wird er nicht in Erinnerung bleiben, als Erzähler hingegen ist er unterschätzt», so Elio Pellin, der Verantwortliche für Öffentlichkeits- und Kulturarbeit an der Universitätsbibliothek.

In der zeitlichen Distanz und ohne die politische Aufgeregtheit des Kalten Krieges könne sich jetzt zeigen, dass der Journalist, Historiker und Dichter ein virtuoser Sprachkünstler war. «Am meisten fürchtete er bei seinen Artikeln denn auch den Eingriff in die Sprache», sagte Pellin. So rang Meienberg um jedes Adjektiv und wollte die Gesellschaft ändern über eine Veränderung im Stil. Daraus leitete er seine Pflicht ab, «dem Volk auf den Schnabel und aufs Schnäbeli» zu schauen – Resultat davon war ein reizvoller Mix zwischen der mundartlichen Nieder- und der deutschen Hochsprache. Ständig suchte Meienberg nach alternativen Formen des Schreibens, nachdem er in einem Interview den Verdacht geäussert hatte, dass «es bei mir mit dem Journalismus vorbei ist». «Ich muss andere Formen finden, ich habe den Eindruck, dass ich innerhalb des Reportage-Journalismus alle Formen ausgeschöpft habe. Wenn ich nicht eine neue Form finde, interessiert mich der Inhalt nicht mehr.» 

Ausstellung an der Unitobler
Die Ausstellung der Unitobler beleuchtet die Quellen und Themen von Meienbergs Schaffen und lädt zum Lesen seiner Texte ein. Bild: Peter Klossner

Realität und Fiktion

Ein weiteres Thema, das Meienberg umtrieb, war das Verhältnis von Realität und Fiktion. Unterschiedliche Ansichten darüber führten 1983 zum sogenannten Realismusstreit unter anderem mit dem Autor und Verleger Otto F. Walter, mit dem Meienberg befreundet war. Meienberg kritisierte ein Werk Walters, der «der Wirklichkeit nicht zuerst aufs Maul geschaut und sie erst dann überhöht» hätte. Selbstverständlich, so Meienberg, gehe es aber beim dokumentarisch fundierten Schreiben nicht um einen simplen Abklatsch der Wirklichkeit. «Sogar die ‹härteste› Reportage, und die vielleicht ganz besonders, braucht Phantasie, Notieren und Montieren geht nicht ohne Einbildungskraft.» Meienberg hat laut Pellin in seinen Texten den Akzent auf den Prozess von Vorgängen gelegt, auf die Bewegung, darauf, wie etwas geworden ist – in Analogie dazu war der Autor selber gerne in Bewegung und als Motorradfahrer und Reiter unterwegs.

Der St. Galler mit dem wilden Wuschelkopf scheute sich nie, seine persönliche Sicht der Dinge einzubringen und mit Furor auf Missstände hinzuweisen. Mit dieser engagierten Haltung stand er im deutlichen Gegensatz zu seinen Journalisten-Kollegen, die sich selbst zurücknahmen und nüchtern und faktisch berichteten. «Meienberg war zudem der bissigste Satiriker der Deutschschweizer Literatur», fügte Elio Pellin hinzu. Dies wurde ihm zum Verhängnis, nachdem er einen satirischen Text zum Geburtstag von Fürst Franz Josef II. von Liechtenstein im «Tagesanzeiger» veröffentlicht hatte. Gegen den Willen der Redaktion belegte ihn der Verleger Otto Coninx daraufhin mit einem langjährigen Schreibverbot. Wer sich für den Originallaut dieser Satire und die weiteren angriffigen und sprachlich geschliffenen Texte von Meienberg interessiert, findet einen reichen Fundus in der Ausstellung der Unitobler.

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