Spitzenforschung an der Universität Bern
Das Collegium generale stellt im Herbstsemester eine Auswahl hervorragender Forschung der Universität Bern vor. Den Anfang machten am Mittwoch, 1. Oktober die beiden Nationalen Forschungsschwerpunkte (NFS) TransCure und MUST.
NFS TransCure: Forschung an Transport-Proteinen
Zehn Prozent der menschlichen Genome sind mit Transportaufgaben beschäftigt. Dabei transportieren Membranproteine Stoffe zwischen verschiedenen Zellen. Prof. Dr. Jean-Louis Reymond, seit 2010 Vizedirektor des Nationalen Forschungsschwerpunkts TransCure, ist auf der Suche nach Molekülen, die Transporter an- und abschalten.
Die Wissenschaft weiss bereits viel über die Prozesse im Zellinneren. Anders sieht es bei den dünnen, vergleichsweise kleinen Membranen, aus. «Die Forschung hat lange Zeit vollkommen unterschätzt, wie wichtig der Transport von Wirkstoffen durch Zellmembrane ist», sagt Reymond. «Diese Prozesse sind aber von absolut zentraler Bedeutung.» So haben genetische Studien gezeigt, dass gewisse Krankheiten, wie zum Beispiel Krebs, Diabetes oder auch neurologische Krankheiten mit defekten Transportern zusammenhängen. «Mit dem NFS TransCure wollen wir die ersten sein, die verstehen, welcher Transporter welche Rolle bei welcher Krankheit spielt», so Reymond.
Prof. Dr. Jean-Louis-Reymond will verstehen, welche Transport-Proteine für welche Krankheiten verantwortlich sind. (Fotos: Christoph Leuenberger)
Metastasen bei Prostatakrebs blockieren
Derzeit wird unter anderem geforscht, ob die Metastasenbildung bei Prostatakrebs blockiert werden kann. Krebszellen vermehren sich schnell. Dazu brauchen sie viel Nahrung, unter anderem Aminosäuren. Bei Patienten, die übermässig viel Aminosäure-Transporter bilden, breitet sich der Krebs aus. Reymond hofft, einen Stoff zu finden, der den Transport von Aminosäuren unterdrückt. Dadurch könnte das Wachstum der Krebszellen verlangsamt werden.
Für Reymond ist klar: «Wir können nur relevante Forschung erzielen, wenn wir interdisziplinär arbeiten.» Die Teilnehmer des NFS TransCure kommen deshalb aus verschiedenen Fachgebieten (Medizin, Biochemie und Chemie). Interdisziplinäre Forschung ist gemäss Reymond eine Herausforderung: «Der Dialog wird aber immer besser.»
NFS MUST: schnelle Prozesse in der Natur messen
Was heisst unmessbar schnell? 140 Mitarbeitende, verteilt auf 19 Gruppen an praktisch allen Schweizer Universitäten, suchen im Rahmen des NFS MUST Antworten auf diese Frage (Molecular Ultrafast Science and Technology). Prof. Dr. Thomas Feurer ist Co-Direktor dieses Nationalen Forschungsschwerpunkts. Die Hauptaufgabe von MUST ist es, schnelle Prozesse in der Natur zu messen.
Lange galt die Geschwindigkeit gewisser chemischer Reaktionen als unmessbar. Wer die Geschwindigkeit einer chemischen Reaktion messen will, muss in der Lage sein, Reaktionen auszulösen und zeitlich zu beobachten. Hat man früher beispielsweise chemische Substanzen zusammengeschüttelt, um die Reaktionen zu messen, werden die Grenzen der messbaren Zeiteinheiten inzwischen durch Laseroptik ausgelotet.
Prof. Dr. Thomas Feurer beschäftigt sich mit ultraschnellen Prozessen der Natur.
0,000000000000000001 Sekunden
Die Forschung hat es mittlerweile schon so weit gebracht, dass man Prozesse im Zeitrahmen von 10 hoch -14 Sekunden messen kann. Gemäss Feurer ist nun die letzte Herausforderung, die Elektronen in einem Molekül sowie ihre Bewegungen zu messen und damit Zugang zum letzten Freiheitsgrad in solchen Systemen zu erhalten. Der NFS MUST hat bereits erste Resultate geliefert: Neu sind Prozesse von einer Dauer von 10 hoch –16 bis 10 hoch -17 Sekunden messbar. «Man hat es hier mit einer extremen Zeitskala von sogenannten Attosekunden zu tun», so Feurer. Eine Attosekunde entspricht 0,000000000000000001 Sekunden.
Als nächstes soll eine Methode entwickelt werden, um diese Prozesse beobachtbar zu machen. Die Aufgabe lautet, Filme von Molekülen zu machen, die sich bewegen. Die Filme sollen in Echtzeit sein mit atomarer oder mikroskopischer, räumlicher Auflösung. Mit Laserblitzen oder kurzen Lichtblitzen lässt sich das realisieren. Auch wenn deren Produktion unglaublich aufwändig ist. Derzeit wird daran gearbeitet, Röntgenstrahlen mit kurzen Lichtblitzen zu verknüpfen, um solche Aufnahmen zu ermöglichen. «Wenn das gelingt, entsteht eine Traummaschine», schwärmt Feurer. Eine solche Traummaschine wird zurzeit tatsächlich gebaut: am Paul Scherrer Institut PSI im aargauischen Villigen. Der Röntgenlaser SwissFEL soll gemäss PSI 2016 in Betrieb gehen.
Die schnellste Strukturveränderung findet im Auge statt
Ultraschnelle Prozesse gibt es überall in der Natur, zum Beispiel in der Fotosynthese. Und es gibt sie auch beim Menschen. So stehen schnelle Prozesse am Anfang des Sehprozesses. Wenn ein Protein im Auge ein Foton absorbiert, ändert ein kleines Molekül in diesem Protein seine Struktur. Eine solche Strukturveränderung bezeichnet man als Isomerisation. Die Strukturveränderung, die sich im Auge abspielt, ist die schnellste je beobachtete Isomerisation. Sie dauert etwa 200 Femtosekunden (also 0,0000000000002 Sekunden).