Von Mikrobenjägern und Bazillen-Schlachten

Winzige Wesen mit gewaltiger Wirkung: Mit der Entdeckung der Bakterien um 1880 brach eine regelrechte Massenhysterie aus. Die Medien versorgten das verängstigte und gleichermassen faszinierte Publikum mit Bazillen-Sensationen. Die Politik instrumentalisierte die Bakteriologie für ihre Zwecke und Künstler schufen den Mikroben nachgebildete ornamentale Darstellungen.

Von Salomé Zimmermann 18. Dezember 2014

Derzeit beschäftigt Ebola die Öffentlichkeit, vor ein paar Jahren waren es die Schweinegrippe oder SARS, früher die Pest, die Pocken oder Cholera. «Diese Massenphänomene mit Massenparanoia verlaufen stets nach dem gleichen dramaturgischen Muster», stellte Martina King, promovierte Ärztin und Germanistin, fest. Sie hielt im Rahmen der Medizinhistorischen Runde einen Vortrag zum Thema «Von der Massenunterhaltung bis zur Avantgardekunst. Bakteriologie als ästhetisches Spektakel der Moderne (1880–1930)».

Sensation Mikrokosmos

Bis Mitte des 19. Jahrhunderts ging man von unterschiedlichsten äusseren Ursachen wie Sternenkonstellationen als Auslöser von Krankheiten und Epidemien aus. Erst 1876 entdeckte der deutsche Landarzt Robert Koch anhand von Mäuseversuchen mit Milzbrand die Ungeheuerlichkeit: Kleinstlebewesen verursachen unzählige bis dahin unerklärliche und unheilbare Krankheiten. In der Folge gelang es Koch, zuerst den Tuberkulose auslösenden Bazillus nachzuweisen, dann den Erreger der Cholera. Ein neuer Wissenschaftszweig, die Bakteriologie, war geboren. Sie wurde zur Leitwissenschaft des 19. Jahrhunderts und faszinierte über die Medizin hinaus die breite Öffentlichkeit – «gepriesen von Medien, welche die winzigen Lebewesen mit den monströsen Wirkungen als raffinierte Monster darstellten», so Martina King, die als Gastdozentin am Institut für Germanistik tätig ist. «Das Unsichtbare wurde via Mikroskope sichtbar, der Blick in den Mikroskosmos war eine Sensation». 

Helden des Wissenschaftsabenteuers

Die Ärzte versprachen, den winzig kleinen Feind vollständig zu vernichten. Entsprechend wurden die Wissenschaftler zu «Mikrobenjägern» hochstilisiert und gefielen sich häufig auch selber in ihrer Rolle als Helden gegen die «Killer-Bakterien» im Wissenschaftsabenteuer. Die Jagd nach den Bazillen äusserte sich laut Martina King als lustvolle Massenhysterie und bedeutete die Geburtsstunde des sogenannten «Epidemic Entertainment».

Bakterien-Lithographie
Eine zeitgenössische Bakterien-Lithographie – inklusive Tuberkulose und Cholera-Bazillus. © istock

Martina King führte in ihrer Präsentation drei Bereiche vor, die massgeblich von diesem Massenphänomen beeinflusst waren oder die Bakteriologie für ihre Zwecke instrumentalisierten. So war damals wie heute das Eigene und das Fremde ein umstrittenes Thema in der Politik. Kurz vor dem ersten Weltkrieg entstanden Bücher mit dem Titel «Vom sieghaften Zellenstaat», und die Ansicht kursierte, dass «alles Unreine im Blut unschädlich gemacht werden muss». «Zwischen dem Leib und dem Staatskörper wurden Analogien hergestellt», erklärte Martina King. Als Heilmittel wurde ein «reinigender Krieg» propagiert, ein Krieg gegen feindliche Nationen parallel zum Krieg gegen die Bakterien. «So wurden auch Zusammenhänge zwischen der Bakterienkunde und der nationalsozialistischen Politik geknüpft.» 

Verballhornte Bakterien

Ein zweiter Bereich, der sich mit den Bazillen auseinandersetzte, war die Komik. Die Angst vor dem Tod, beispielsweise durch ein Niesen in der Strassenbahn verursacht, war gross. Um sie zu entschärfen, wurden die Bakterien verharmlost und ihre Erforscher ins Lächerliche gezogen. Davon zeugen unzählige Comics und Liedtexte, welche die Bakterienkunde verballhornten. So hätten selbst Ärzte beim geselligen Zusammensein den «Bacillen-Sang» geschmettert.

Der dritte Bereich, den Martina King ausführte, betraf die Schönheit. Beim Blick durchs Mikroskop fielen die vielfältigen Formen der Kleinstlebeweben auf: Bakterien sind nicht nur gefährlich, sie sind auch schön. Künstler stellten in ihren Werken Bakterien denn auch zarten Wasserpflanzen gleich dar und betonten die Eleganz und Geschmeidigkeit der kleinen Lebewesen. «Die Ähnlichkeit zum Jugendstil ist unverkennbar», verdeutlichte Martina King. Die Ornamente des Jugendstils mit den geschwungenen Linien waren Symbole für das Leben, in dem alles mit allem zusammenhängt. Dazu passten die Bakterien, die als Urstoff und Ursprung des Lebens erkannt wurden. Gleichzeitig konnten sie den Tod bringen, und so schloss sich der Lebenskreis.

Dadaistische Sprachspiele

«Die Mikroben standen also gleichzeitig für das Böse, das Schöne und das Mystische», fasste Martina King zusammen. Bei so viel Faszination fehlte auch nicht der Zweifel. Autoren wie Karl Kraus hätten etwa die Frage nach der Echtheit von Bakterien aufgeworfen: Könnten sie nicht auch eine Lüge aus dem Labor sein? Die Skepsis wurde produktiv verarbeitet und künstlerisch transformiert. Allen voran von den Dadaisten, die das Prinzip der Ansteckung und Verbreitung in Wortwiederholungen und Sprachspiele aufnahmen. Martina Kings Fazit: «In den Bakterien kommt viel Gegensätzliches und Ambivalentes zusammen. Sie sind damit ein passendes Symbol für die Moderne.»

Oben