Wem gehört das Herz der Toten?

In der Transplantationsmedizin steht heute die Selbstbestimmung der Patienten im Mittelpunkt – das war bis vor wenigen Jahrzehnten noch nicht so, wie Medizinethikerin Claudia Wiesemann an der Medizinhistorischen Runde erläuterte.

Von Martin Zimmermann 30. April 2014

Ein junger Förster stirbt im Spital an einer Hirnblutung. Kurze Zeit später erfahren die Angehörigen aus der Presse, dass die Leber des Mannes ohne sein Wissen einem krebskranken Studenten eingepflanzt wurde – ein aus heutiger Sicht skandalöser Fall, der sich 1969 aber tatsächlich so zugetragen hat. Damals erfolgte an der Universitätsklinik in Bonn die erste erfolgreiche Lebertransplantation in Deutschland.

Mit diesem Beispiel verdeutlicht die deutsche Medizinethikerin und Historikerin Claudia Wiesemann in ihrem Vortrag für die Berner Medizinhistorische Runde, wie stark sich ethische Vorstellungen in der Medizin gewandelt haben. Heute sei eine solche Situation undenkbar, sagt sie. «An erster Stelle steht das Selbstbestimmungsrecht des Patienten, auch in der Transplantationsmedizin.» Ohne die explizite Zustimmung der Spender gehe nichts, auch wenn dieser Ansatz in manchen Ländern angesichts des Organ-Mangels erneut umstritten sei.

Herztransplantation
Organe als austauschbare Motoren: Aufnahme einer Herztransplantation im Jahre 1968. Bild: Pavol Podolay

Der Tod beginnt im Hirn

Wieseman erforscht an der Uni Göttingen die Geschichte der Medizinethik. Die heutigen Debatten um Selbstbestimmung bei Organtransplantationen oder um die Sterbehilfe gehen auf die Nachkriegszeit und ihre Technikgläubigkeit zurück, wie sie sagt: «Die moderne Medizin zerlegte das Leben in vitale Unterfunktionen wie die Atmung, die sich nun mit der Hilfe der Technik einzeln kontrollieren lassen.» Diese Technik definierte auch den Tod neu: «Zum Kriterium des Ablebens wurde der Hirntod, der sich nicht mehr mit den menschlichen Sinnen sondern nur noch mittels Maschinen feststellen lässt.»

Organtransplantationen avancierten zum Symbol für dieses Zeitalter der «instrumentellen Vernunft» und Transplantations-Chirurgen zu dessen Medienstars. Christiaan Barnard, jener südafrikanische Chirurg, der 1967 zum ersten Mal eine erfolgreiche Herztransplantation durchgeführt hatte, sticht hier laut Wiesemann besonders hervor: «Er verkörperte den erfolgsorientierten, massenkompatiblen Rebellen, der sich nicht um Traditionen oder die alten Eliten scherte.»

Porträt von Christiaan Barnard
Mediengewandter Starchirurg: Christiaan Barnard bei einem TV-Auftritt 1968. Bild: Wikimedia Commons

Krise des Individualismus

Angehörige der neuen Eliten wie Barnard erhielten die Verfügungsgewalt über die Organe der Verstorbenen. Bei Transplantationen informierten sie Patienten oder Angehörige oft nicht – Organe wie das Herz galten schliesslich nur noch als «austauschbare Motoren» und nicht mehr als Träger der Seele oder der Liebe, so Claudia Wiesemann. «Diese Haltung führte aber zu einer Krise des Individualismus der Patienten, weil diese letztlich nicht mehr selbst über ihren Körper bestimmen durften.»

Bis zum Skandal um die Lebertransplantation am Uniklinikum Bonn blieb dies auch so. Den nachfolgenden Prozess gegen den Chirurgen verloren die Angehörigen des unfreiwilligen Spenders zwar. Dennoch förderte er laut Wiesemann ein Umdenken: «Der Patient als ganzheitliches Individuum gewann wieder an Gewicht, wobei die Individualität nun nicht mehr nur körperlich, sondern geistig, also als Recht auf Selbstbestimmung, verstanden wurde.»

Mit der Stärkung der Patientenrechte verschob sich auch die Rolle der Medizin hin zum Partner bei der Erfüllung der Bedürfnisse des Patienten – selbst wenn dies der Wunsch nach einem frei gewählten Tod sein sollte. «Heute stellt sich die Frage, wie weit die Selbstbestimmung des Patienten gehen darf», sagt Claudia Wiesemann. Gerade bei Organtransplantationen, wo die Leben der Empfänger auf dem Spiel stehen, diskutierten manche Länder bereits wieder eine Einschränkung: Statt die Organentnahme ausdrücklich zu erlauben, soll der Patient sie nur noch ausdrücklich verbieten.

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