Wie echt ist «authentisch»?

In Zeiten der Globalisierung gilt das Label «authentisch» als Auszeichnung für wahrheitsgetreu wiedergegebene Kulturgüter. Doch hält dieses Konzept einer kritischen Prüfung stand? Ein soeben gestartetes Forschungsprojekt an der Universität Bern, das mit einer Konferenz eröffnet wurde, soll darüber Aufschluss geben.

Das Konzept der Authentizität erfreut sich in der Populärkultur und bei der Vermarktung von Kulturgütern ungebrochener oder gar wachsender Beliebtheit. Als Label suggeriert es, dass der Kontext, dem ein Kulturgut entstammt, wahrheitsgetreu wiedergegeben wird. «Je nach untersuchtem Kontext liegt der Fokus etwa auf angeblich exklusiven Merkmalen einer Kultur oder dem Ausdruck einer dem Künstler eigenen Kreativität», erklärt Thomas Claviez, Professor für Literaturtheorie am Institut für Englische Sprachen und Literaturen. Er leitet das im Februar gestartete und an der Philosophisch-historischen Fakultät der Universität Bern angesiedelte Sinergia-Projekt «Theory and Practice of Authenticity in Global Cultural Production», das vom Center for Cultural Studies (CCS) initiiert wurde. Dieses wird vom Schweizerischen Nationalfonds (SNF) über drei Jahre mit rund einer Million Franken finanziert.

Susanne Knaller
Authentizitätsexpertin Susanne Knaller betonte, wie unterschiedlich das Konzept der Authentizität kulturgeschichtlich angewendet wurde. Bilder: Christina Cavedon

Authentizität im historischen Kontext verstehen

Gefeiert wurde der Start des Forschungsprojekts mit einem Kick-off Event, bei dem unter anderem Authentizitätsexpertin Susanne Knaller, Professorin an der Karl-Franzens-Universität Graz, sprach. Sie zeigte in ihrem Vortrag auf, wie unterschiedlich die Anwendung des Authentizitätskonzepts kulturgeschichtlich war und immer noch ist. So entstand der heute in kulturellen Diskursen dominante Authentizitätsbegriff, der eng verknüpft ist mit Begriffen wie «Wahrhaftigkeit» oder «Originalität» und sich oft auf Ursprungsmythen bezieht, laut Knaller erst im 20. Jahrhundert.

Die Romanistin äusserte auch wiederholt Kritik an gängigen und unreflektierten Anwendungen des Begriffs «Authentizität» und erinnerte daran, dass es notwendig sei, die historische Perspektive zu berücksichtigen und dessen Gebrauch jeweils im Verhältnis zu öffentlichen Diskursen zu verstehen.

Zwei Personen in einer Diskussion
Gastredner Alessandro Ferrara (rechts) diskutiert mit Projektleiter Thomas Claviez die Prämissen des Begriffs der Authentizität.

Handeln Menschen als «authentisches» Selbst?

Alessandro Ferrara, Professor für Politische Philosophie an der Universität Tor Vergata in Rom, setzte sich als zweiter Gastredner mit der theoretischen Basis des Berner Forschungsprojekts auseinander. Aufgrund seiner Überzeugung, dass Authentizität ein zentraler Begriff für die Moderne sei, hinterfragte er die von Thomas Claviez vertretene Herangehensweise, Authentizität im Hinblick auf Begriffe wie «post-identitäre» oder gar «post-authentische» Gemeinschaft zu untersuchen.

Ferrara stellte dem ein auf Authentizität basiertes Gemeinschaftsmodell gegenüber. Zentral für dieses ist der Gedanke, dass Menschen dazu neigen, ihr Denken und Handeln auf eine Selbst- und Fremdwahrnehmung auszurichten, die den Eindruck eines über die Zeit hinweg authentischen, das heisst sich selbst treuen Individuums erzeugt. Dies wiederum, so Claviez, liesse jedoch keinen «Spielraum für Veränderungen und Kontingenzen».

Wer nimmt wann auf das Konzept «Authentizität» Bezug?

Die Präsentation der Subprojekte verdeutlichte gemäss Claviez, «wie fruchtbar eine interdisziplinäre Herangehensweise an eine Untersuchung von Authentizität sowohl hinsichtlich theoretischer Ausführungen wie auch deren praktischer Anwendung ist». So reichen die beteiligten Subprojekte von der Untersuchung aktueller Debatten darüber, inwiefern in einer globalisierten Welt das Verständnis von Gemeinschaft grundsätzlich überdacht werden muss, bis zu einer Studie zum gegenwärtigen Wiederaufleben von Volksmusik in Cornwall. Auch die Bedeutung des Authentizitätsbegriffs für das Branding neuentstehender Kunstwelten im Grossraum des Mittleren Osten wird erforscht.

Gruppenbild
Die Forschenden und Keynote Speaker gruppieren sich vor der live aus New York zugeschalteten Doktorandin Jasmin Chanine.

Am Projekt beteiligt sind das Department of English Languages and Literatures und das Institut für Musikwissenschaft der Universität Bern sowie verschiedene Institute der Universität Lausanne. Sie gehen unter anderem folgenden gemeinsamen Fragen nach: Unter welchen Umständen, durch wen und für wen wird auf das Konzept «Authentizität» Bezug genommen? Welches sind die Gründe für die anhaltende Bedeutungsmacht von Authentizität in der kulturellen Praxis? Wie kann eine Disziplinen-übergreifende Methodologie zur Untersuchung der gesellschaftlichen Funktion von Authentizität aussehen?

«Das Projekt dient einem tiefer greifenden Verständnis darüber, in welchem Mass zeitgenössische Diskurse, die um den Begriff Authentizität kreisen, prägend sind für eine Nation wie die Schweiz, welche eine beinahe mythische Ausstrahlungskraft für Einwanderer besitzt», so Projektleiter Claviez. Auch habe das Projekt zum Ziel, einen kritischen Diskurs zu Authentizität anzustossen – etwa durch auf ein breiteres Publikum ausgelegte Vorträge und Workshops.

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