Die Menschen assen Gras: Der Vulkanausbruch und die Hungersnot
Vor 200 Jahren führte der Ausbruch des Vulkans Tambora zu einer Abkühlung des Klimas und zu einer Hungersnot in der Schweiz. Ein öffentliches Podiumsgespräch an der Universität Bern geht der Frage nach, wie gut wir heute für so eine Katastrophe gerüstet wären.
Die Explosion war gewaltig: Als am 10. April 1815 auf der indonesischen Insel Sumbawa der Vulkan Tambora ausbrach, wurden die obersten 1500 Meter des Berggipfels weggesprengt. Allein auf Sumbawa und den Nachbarinseln starben über 70’000 Menschen. Doch der Ausbruch hatte auch globale Folgen: Er schleuderte riesige Mengen Schwebeteilchen und Gase in die Atmosphäre, welche das Klima abkühlten. 1816 ging in West- und Mitteleuropa sowie im Nordosten der USA als «Jahr ohne Sommer» in die Geschichte ein. Die monatlichen Temperaturen lagen im Sommer zwischen 2,3 und 4,6 Grad unter dem langjährigen Mittel. In der Ostschweiz kam es als Folge der nasskalten Witterung zu einer Hungersnot, viele Menschen assen aus Verzweiflung Gras.
Die Klimaforschung kam dem Zusammenhang zwischen dem «Jahr ohne Sommer» und dem Vulkanausbruch in Indonesien indes erst hundert Jahre später auf die Spur. Auch heute noch liefert der Tambora Stoff für wissenschaftliche Debatten: Unter dem Titel «Vulkane, Klima und Gesellschaft» diskutieren vom 7. bis 10. April an der Universität Bern führende Expertinnen und Experten über Ursachen und Folgen des vermutlich grössten Vulkanausbruchs der letzten 7000 Jahre.
«Bei keinem anderen Vulkanausbruch dieser Grössenordnung sind die Auswirkungen so gut dokumentiert», sagt Stefan Brönnimann, Professor für Klimatologie an der Universität Bern und Organisator der Konferenz. «Die Wissenschaft setzt sich deshalb immer wieder neu mit dem Tambora auseinander. Er dient unter anderem als Fallstudie, an der sich Klimamodelle, neue Rekonstruktionsmethoden und Forschungshypothesen testen lassen.»
Neuer Blick auf die Armut
Wie die Berner Tambora-Konferenz zeigt, beschäftigen der Grossausbruch und seine Folgen nicht nur Klimaforschende: Am inhaltlich breit angelegten Anlass sprechen neben Spezialisten für Klimarekonstruktion und -modellierung auch Historikerinnen und Historiker, die sich mit der Reaktion von Gesellschaft und Politik auf diese Naturkatastrophe befassen – unter ihnen Daniel Krämer von der Universität Bern, der soeben eine Dissertation zu den Folgen des Tambora-Ausbruchs veröffentlicht hat («‹Menschen grasten nun mit dem Vieh.› Die letzte grosse Hungerkrise der Schweiz 1816/17»).
Krämer zeigt darin, dass die Hungerkrise verschiedene Regionen der Schweiz unterschiedlich stark traf. Ganz allgemein aber, so der Historiker, beeinflusste die Hungersnot die Wahrnehmung der Armut in der Schweiz: «Wurde die Armut bislang dem liederlichen Lebenswandel der Betroffenen zugeschrieben, glitten während der Krise immer mehr Personen unverschuldet in die Bedürftigkeit ab, weil sie trotz Arbeit weder sich selbst noch ihre Familien ernähren konnten.»
Öffentliche Podiumsdiskussion am 8. April
Im Rahmen der Konferenz findet am 8. April eine grosse öffentliche Podiumsdiskussion statt. Sie geht der Frage nach, wie die Welt im Allgemeinen und die Schweiz im Besonderen heute mit einer derartigen Krise umgehen würden. Unter der Leitung von Christine Hubacher (Radio SRF) diskutieren: Christian Pfister, ehemaliger Professor für Klima- und Umweltgeschichte, Jürg Fuhrer, Agrarökologe und Spezialist für Klimawandel und Landwirtschaft, Martha Bächler, als Talammann von Engelberg, bekannt geworden durch die Bewältigung der Hochwasser von 2005 sowie Stefan Brem, Chef Risikogrundlagen im Bundesamt für Bevölkerungsschutz, BABS.
Die Podiumsdiskussion findet von 19.30 bis 21.30 Uhr an der Universität Bern, UniS, Schanzeneckstrasse 1, statt. Der Eintritt ist frei. Als Einstieg in die Diskussion spricht Christian Pfister über das «Jahr ohne Sommer» von 1816 in der Schweiz als Folge des Tambora-Ausbruchs.