«Die Zerstörung von Weltkulturerbe sollte uns alle angehen»
Museen, antike Stätten, archäologische Parks – die Zerstörungswut des «Islamischen Staats» in Syrien und im Irak macht Schlagzeilen. Welches Kalkül hinter diesen Zerstörungen steckt und wieso sie uns auch hier in Europa interessieren sollten, erklärt der Berner Archäologe Mirko Novak. Er ist Co-Organisator einer internationalen Konferenz zum Kulturgüterschutz an den Universitäten Bern und Genf.
«uniaktuell»: Herr Novak, der sog. Islamische Staat (IS) zerstört antike Kulturschätze im Irak und in Syrien – wieso sollte uns das hier in Europa interessieren?
Mirko Novak: Die Zerstörung von Weltkulturerbe sollte uns immer etwas angehen – egal wo auf der Welt sie stattfindet. Diese Kulturschätze «gehören» allen Menschen und werden deswegen auch von der UNESCO als unser aller Erbe aufgelistet. Dies gilt umso mehr, wenn dabei Monumente betroffen sind, die unsere eigenen kulturellen Wurzeln repräsentieren. Die modernen Staaten Syrien und Irak erstrecken sich auf dem Gebiet der antiken Kulturlandschaft Mesopotamien, dem «Land zwischen den Strömen» Euphrat und Tigris. Diese war Schauplatz einiger der bedeutendsten Etappen der globalen Menschheitsgeschichte, so bereits um 10’000 v. Chr. als der Mensch sesshaft wurde und während der «Neolithischen Revolution» Pflanzen und Tieren domestizierte. Hier sind vor 4000 Jahren auch die ersten Städte entstanden. In diesen kristallisierten sich komplexe soziale Hierarchien heraus, welche die Grundlage bildeten für technologische Innovationen wie Rad und Töpferscheibe und die um 3400 v. Chr. erfundene älteste Schrift der Menschheit, die Keilschrift. Die kulturellen Leistungen der Völker Mesopotamiens – Sumerer, Babylonier, Assyrer – wirken bis in unsere heutige Zivilisation fort.
Gibt es historische Beispiele für ähnliche Bilderstürme, für ähnlichen Raub und Vernichtung von Kulturschätzen?
Die Zerstörung von Bildern und Monumenten einer unliebsam gewordenen Kultur, Religion oder Nation hat leider eine lange Tradition, durchaus auch im christlichen Europa. Zu erwähnen wären die Zerstörungen heidnischer Tempel und Götterbilder nach der Christianisierung im 4. und 5. Jahrhundert, die Zeit der Ikonoklasten in Byzanz oder die Entfernung von Heiligenbildern und Malereien in Kirchen im Zuge der Reformation. In jüngster Vergangenheit ist auf die Bücherverbrennungen durch die Nazis in Deutschland zu verweisen. Kulturgüterraub und -zerstörung sind leider gängige Praxis in nahezu allen Kriegen und Bürgerkriegen der Geschichte.
Wie viele der irakischen und syrischen Kulturschätze wurden schon vom IS zerstört?
Die Zerstörungen lassen sich nur sehr vage qualifizieren und quantifizieren. Unabhängige Informationen liegen nur in geringer Zahl vor, da sich jeder Informant in den IS-besetzten Gebieten allergrösster Gefahren für sein Leben aussetzt. Wir sind daher im Wesentlichen auf die Propaganda-Videos und -Botschaften des IS selbst beziehungsweise auf schwer überprüfbare Aussagen der Antikenbehörden des Irak und Syriens oder von diversen NGOs angewiesen. Nachgewiesen sind etwa die Zerschlagung von assyrischen Bildwerken aus dem Tell Ajjaja in Syrien und in Ninive im Irak sowie die Sprengung des assyrischen Königspalastes in Nimrud, dem antiken Kalchu. Diese wurden mittels Videos vom IS selbst im Internet veröffentlicht. Weitere Zerstörungen werden für Hatra und Palmyra berichtet, lassen sich aber einstweilen nicht verifizieren. Zudem wurden verschiedene Museen geplündert, so diejenigen in Raqqa und Mossul.
Welche Motive stecken hinter den medial verbreiteten Bildern der Zerstörung? Ist der IS einfach eine Bande von kulturlosen Barbaren?
Auch wenn man geneigt wäre, dies angesichts der Bilder so zu sehen – und für manche der Kämpfer des IS wird diese Annahme möglicherweise auch zutreffen – so deuten die Professionalität der Zerstörungen selbst sowie deren propagandistische Umsetzung darauf hin, dass hier kaltes politisches Kalkül vorliegt. Die Strategen des IS wissen genau um die Wirkung ihrer sorgfältig inszenierten und gefilmten Taten und nutzen diese gezielt für ihre Zwecke: Zum einen will man die Ohnmacht der örtlichen Regierungen und des empörten Westens vorführen, zum anderen möchte man damit potentielle Unterstützer und Rekruten gewinnen. Bei letzteren handelt es sich um Leute, die entweder aus tatsächlicher Überzeugung einem salafistischen Islam folgen oder sich für jede Gruppe begeistern können, welche dem verhassten «Westen» mit seinem Wertesystem die Stirn bietet. Der Handel von geraubten oder bei illegalen Grabungen zutage geförderten Kunstwerken dient zudem der Finanzierung der Miliz.
Befasst man sich schon mit Strategien des Wiederaufbaus? Wenn ja: Wer befasst sich damit?
Bislang sind die internationalen Organisationen von der UNESCO bis zu den lokalen Antikenbehörden und den vielfältigen NGOs primär damit beschäftigt, das Ausmass der Zerstörungen zu dokumentieren und den illegalen Handel mit Kulturgütern einzudämmen. Das sind in der Tat auch die vorrangigen Aufgaben. Dennoch scheint es auch erforderlich, Strategien für den Wiederaufbau zerstörter Museen, die Restaurierung von in Mitleidenschaft gezogenen Artefakten und die Konservierung beschädigter Denkmäler in der Nachkriegszeit zu entwickeln. Was in der Zukunft benötigt wird, sind gut ausgebildete und fähige syrische und irakische Spezialisten, die sich diesen Ausgaben widmen können. Eine solche Ausbildung von Konservatoren und Restauratoren wiederum erfordert Zeit: Geeignete Personen müssen gefunden und rekrutiert, Stipendien eingeworben und Studienorte ausgewählt werden. Die Ausbildung selbst dauert mehrere Jahre. Um diese Probleme anzugehen, wird am kommenden Donnerstag, 25. Juni, an der Universität Bern eine Tagung stattfinden (siehe Kasten). Diese ist in eine internationale Konferenz eingebettet, zu der Wissenschaftler aus aller Welt und vor allem auch Vertreter der Antikenbehörden und Kulturministerien der betroffenen Länder anreisen werden.
Weitere Informationen
Internationale Konferenz
Wie weiter nach der Zerstörung von Kulturgütern in Syrien und Irak? Über mögliche Strategien des Wiederaufbaus diskutieren Forschende und Vertreter syrischer und irakischer Organisationen an einer vom Institut für Archäologische Wissenschaften der Universität Bernmit und dem Département des sciences de l’Antiquité der Universität Genf organisierten Tagung zum Kulturgüterschutz.
Am 25. Juni, von 11.30 bis 19.30 Uhr, in der UniS.