Sommerserie: Als Germanist unter Palmen
Erkläre ich, wieso ich als literaturwissenschaftlicher Doktorand zum Arbeiten nach Indonesien reise, ernte ich zaghaften Widerspruch. «Ja aber …» heisst es, «etwas Zeit für einen Ausflug ans Meer werdet ihr schon haben.» Ohne Urlaubsabsicht nach Indonesien zu fahren, scheint in unserem Metier fast etwas obszön zu sein.
Die ersten Tage sind unvermeidbar exotisch. Der Ruf des Muezzins, Kopftücher, Nasi Goreng an Essensständen, Hühner und Truthähne in Innenhöfen, Geckos an den Wänden unseres Hauses, lächelnde Gesichter, von Motorrädern überquellende Strassenzüge, und natürlich das Klima, das mittags als Hitze, nachmittags als sturzflutartiger Regen den Gang der Dinge regelmässig zum Erliegen bringt. Genauso kenne ich Indonesien aus jenen Reiseberichten, die normalerweise meine Forschungsobjekte sind. Das Überraschendste an diesen ersten Eindrücken ist, dass sie wenig überraschend sind und sich alle Erwartungen an die Andersartigkeit des Landes bestätigen. Im Rahmen unserer Kollaboration mit Sozialanthropologinnen und Primatologinnen der Freien Universität Berlin bin ich im Januar 2015, quasi als Teil einer literaturwissenschaftlichen Berner-Delegation, nach Yogyakarta, Indonesien gereist. Während der kommenden vier Wochen werden wir hier zwecks Methodenaustausch einen Feld- und Selbstversuch unternehmen. Das bedeutet erstens: Eine kleine Ethnographie in Yogyakarta, und zweitens: die Freilandbeobachtung von nichtmenschlichen Primaten.
Wie rechtfertigt man den finanziellen und zeitlichen Aufwand nach aussen und vor sich selbst? Erkläre ich, wieso ich als literaturwissenschaftlicher Doktorand zum Arbeiten nach Indonesien reise, ernte ich zaghaften Widerspruch. «Ja aber …» heisst es, «etwas Zeit für einen Ausflug ans Meer werdet ihr schon haben.» Ohne Urlaubsabsicht nach Indonesien zu fahren, scheint in unserem Metier fast etwas obszön zu sein.
Staunen, Freude, Scham und Schuld
In Yogyakarta untersuche ich die Emotionsarbeit von informellen Guides und Touristen: Was tragen Staunen, Freude, Scham und Schuldgefühle, Verbrüderung und Misstrauen dazu bei, wie ein fremder als gemeinsamer Ort erlebt wird? Aber ich bin ja gar kein Sozialanthropologe. Feldforschung unter Normalbedingungen hiesse für mich, in ein Archiv zu steigen, Autorennachlässe zu durchwühlen. Doch meist reicht das Büro-Ensemble von Tisch, Stuhl, Computer und Bücherregal aus, vielleicht mal etwas Tageslicht in der Pause. Diese mir neue Feldarbeit dagegen soll erfahrungsintensiv und entsprechend etwas für Erfahrene sein. Eine Aura von Ernsthaftigkeit umgibt «das Feld», es ist die «rite de passage» für den Forschernachwuchs. «Die Affekte der Forscher», mit denen sich unser Projekt beschäftigt, sind hier also nicht nur Begleiterscheinung, sondern Programm: Die Freuden und Entbehrungen im Feld dürfen wir jetzt am eigenen Leib erfahren, um gerade dadurch besser zu verstehen, wie sie den Forschungsprozess beeinflussen.
«Es wandelt niemand ungestraft unter Palmen» seufzt der Germanist unweigerlich und fragt sich, wie er sich in einer textbefreiten Forschungssituation verhalten wird, und wie er dies in seine Forschung integrieren könnte. Von meiner akademischen «comfort zone» bin ich jedenfalls weit entfernt.
Schweiss, Zweifel und eine abstrakte Wut
Und dann stehe ich also, durchschwitzt, mit Kopfschmerzen, stets etwas übermüdet und schlecht vorbereitet, an einer lärmigen Strasse in Yogyakarta, Notizbuch und Bleistift griffbereit, unterwegs zur Touristenattraktion Wasserschloss. Ich unterhalte mich mit einem Rikscha-Fahrer und bemerke, was ich schon wusste: dass ich kein Ethnologe bin, sondern Germanist, dass ich mich selbst als Feldforscher nicht ganz ernst nehmen kann, dass es darum vielleicht keine so gute Idee war, hierher zu kommen, dass ich die für ethnographisches Arbeiten geforderte methodische Reflexion und den persönlichen Einsatz nicht mitbringe. Ist das der Extremfall interdisziplinären Methodentransfers: Schweiss, Zweifel und eine abstrakte Wut auf abstrakte Forschungspläne? Es scheint, «das Feld» und die Selbsterfahrung sind ganz nah.
Die folgenden Tage und Wochen sind geprägt von der Suche nach einem Tagesrhythmus. Aufstehen und hinaus, bevor die Hitze zu gross oder der Regen zu stark wird, mich selbst als Köder in die Menschenströme werfen, Gespräche suchen, schnellstmöglich Erlebtes niederschreiben. Dann zurück nach Hause, Notizen verschriftlichen, Kaffee trinken gegen die Müdigkeit, über dem produzierten Material brüten, Gespräche führen mit den mitgereisten Kolleginnen, den nächsten Tag planen, das Gefühl ignorieren, nicht vorwärtszukommen, sich freuen über scheinbar Nebensächliches wie das Essen.
Aber der Reiz des Neuen ist schon lange verflogen: Die immer selben Rundgänge, auf die mich Guides mitnehmen wollen, langweilen mich, die lokalen Sehenswürdigkeiten kenne ich, Gesprächsanfänge und die Fragen nach Herkunftsland und Reisegrund wiederholen sich, Batik-Shops, in die man allzu oft zwecks Souvenirkauf gelotst wird, habe ich für den Rest meines Lebens genug gesehen, und immer öfters kommt Unzufriedenheit darüber auf, den Leuten das Bild des neugierigen Touristen vorzuspielen, um in Interaktion treten zu können. Den Personen gegenüber, die ich mehrfach antreffe, entwickle ich eine Sympathie, die es erschwert, mich auf Forschungsfragen statt auf sie zu konzentrieren. Manchmal entlastet die Idee, Tourist zu sein, vom Produktivitätszwang meines Feldforschungsversuchs, und manchmal hilft der Forscherstolz über die Banalität des Touristendaseins hinweg. Meine Strategien, mit dieser Art von Anstrengung umzugehen, beispielsweise das Verschweigen von Stolz oder das Betonen eigener Verfehlungen, sind untrennbarer Teil meiner Beobachtungen, sie entscheiden nicht nur über den Verlauf meiner Begegnungen, sondern auch darüber, wie und woran ich mich erinnere, wovon ich wie berichte, welches Bild ich von den «Bereisten» zeichne.
Emotionen in Literatur und Selbstversuch
Aus seiner Reiseliteratur kennt der Germanist dieses Phänomen im Umgang mit einer unbekannten Umgebung. Aber jetzt hat er es als einen immer dominanter und strapaziöser werdenden Rollenkonflikt erlebt. Wie diese Erfahrung für die eigene Forschung produktiv gemacht werden kann, führt dabei wieder zurück zum Thema der Forscheremotionen, das der Germanist in Reiseberichten untersucht. Den Nutzen solch einer persönlichen Vertrautheit mit der Arbeitsweise einer anderen wissenschaftlichen Disziplin für die eigene Forschung fortlaufend in Frage zu stellen und dadurch gleichzeitig einzufordern –, darin liegt die schweisstreibende, strapaziöse und andauernde Arbeit am interdisziplinären Verständnis.
Informationen zum Projekt
Fermin Suter, 31, aus Aadorf (TG), Doktorand, Institut für Germanistik
Ort:
Yogyakarta, Java; Pangkalan Bun, Kalimantan
Projekt:
Die Affekte der Forscher» untersucht, wie Emotionen mit der «Feldarbeit» von Forschern und Reisenden zusammenhängen. Ihre bewertungs-, erkennntis- und erzählleitenden Wirkungen werden interdisziplinär in Literaturwissenschaft, Sozialanthropologie und Primatologie erforscht. Die Germanistinnen und Germanisten untersuchen dabei Texte aus Reiseliteratur / Ethnologie und Primatologie.
Finanzierung:
Volkswagenstiftung
Kontakt:
Fermin Suter, Institut für Germanistik, fermin.suter@germ.unibe.ch
Mehr Informationen:
Sommerserie: Forschen in der Welt
Sie durchstreifen den Himalaja, tauchen im Tanganyikasee oder wandeln unter indonesischen Palmen: In der «uniaktuell»-Sommerserie «Forschen in der Welt» berichten acht Forscherinnen und Forscher vom Alltag und ihren Erkenntnissen aus aller Welt. Die Berichte sind auch in der aktuellen Ausgabe des Forschungsmagazins «UniPress» nachzulesen.