Sommerserie: Bei Fischen und Fischern
Zweimal täglich taucht Dario Josi mit seinem Team im Tanganyikasee und studiert das Sozialverhalten der Buntbarsche. Abends tischt Familie Mwewa Reis, Kartoffeln, Fisch, Kohlsalat und Poulet auf, und Luxus ist, wenn es noch ein warmes Bier gibt, bevor alle unters Moskitonetz schlüpfen.
Es ist wieder August, ich packe meinen Reiserucksack für meine zweite Afrika-Expedition. Ich reise für drei Monate in den Norden von Sambia. Die ehemalige britische Kolonie gilt politisch als eines der sichersten Reiseländer im südlichen Afrika. Am südlichen Ufer des Tanganyikasees, dem zweitgrössten See Afrikas und zweittiefsten See der Erde, werden wir unser Forschungsprojekt zur Evolution von kooperativem Brüten an den Buntbarschen fortsetzen. Anders als im letzten Jahr bin ich diesmal Expeditionsleiter eines vierköpfigen Teams und somit für die Organisation und das Gelingen verantwortlich. Dementsprechend angespannt gehe ich am Flughafen in Gedanken meine Checkliste durch: Habe ich an alles gedacht und eingepackt? Flugtickets für mich, mein Team, Kreditkarten, alle wichtigen Dokumente für die Behörden, Medikamente und Malariaprophylaxe für drei Monate, sämtliche Ersatzteile, Neoprenanzug inklusive Taucherbrille, Flossen und ein paar wenige, für mich aber wichtige Sachen, wie schwarze Schokolade, Bücher und Musik. Pünktlich hebt die Emirates-Maschine Richtung Dubai ab. Endlich kann ich zurücklehnen und mich vom Packstress der letzten Tage erholen.
Nach einem kurzen Aufenthalt fliegen wir weiter nach Lusaka, der Hauptstadt von Sambia. Hier beginnt das Abenteuer «Afrika-Expedition» erst richtig. Ein Überlandbus, in nicht sehr vertrauenswürdigem Zustand, mit zerbrochener Frontscheibe, engen fünfplätzigen Sitzreihen und stickiger Luft, fährt uns über holprige, mit Schlaglöchern versetzte Strassen nach Mpulungu, der Hafenstadt am Tanganyikasee. Vier kurze Stopps unterbrechen die anstrengende und unberechenbare zwanzigstündige Fahrzeit. Vor jeder Fahrt werden die Busse durch einen Priester mit lautstarken Bibelzitaten gesegnet. Während der Fahrt werde ich mit afrikanischer Musik beschallt und mit Filmen unterhalten.
In Mpulungu befindet sich das sambische Departement für Fischerei mit dem wir, das Institut für Verhaltensökologie der Universität Bern, eng zusammenarbeiten. Dort ist auch unser ganzes Expeditionsmaterial eingelagert: Kompressor, Tauchmaterial, Boot mit Motor, Feldlabor, Generator und Solarpanels, denn es gibt keinen Strom in der Lodge. Nach einigen Telefonaten und Wartezeiten – Geduld heisst in Afrika das Zauberwort – taucht der Schlüssel zu diesen Räumen endlich auf und nach weiteren langen Verhandlungen über die Kosten kann das ganze Material per Boot in 20 Minuten zu unserer Lodge gebracht werden. Vier Tage nach Abflug aus der Schweiz bin ich endlich am Ziel meiner Reise angekommen: im Fischerdorf Kasakalawe in der «Tanganyika Science Lodge».
Die Lodge
Die Lodge wird von der einheimischen Familie Mwewa geführt. Sie bekochen uns am offenen Feuer, waschen, helfen bei schwierigen Gesprächen und langwierigen Verhandlungen mit den Einheimischen; kurzum sie sorgen für unser tägliches Wohlergehen und tragen viel zum erfolgreichen Gelingen der Expedition bei. Die Logde selber ist sehr einfach. Sie besteht aus fünf Steinhütten mit Strohdach, die mit zwei, drei Matratzen und einem Moskitonetz ausgestattet sind. Zwei Unterstände dienen uns als Esszimmer und Aufenthaltsraum. Sie sind zum Schutz gegen Sonne und Regen ebenfalls mit Stroh überdacht, aber ringsum offen. Das Plätschern des Sees und Zirpen der Zikaden verwandelt sie in eine lauschige Pergola zum Geniessen und Beobachten von Natur und zahlreichen Tieren: Fischotter, Chamäleons, Skorpione, Spinnen, Schlangen, Hundertfüssler, Varane, Vögel, Treiberameisen, Schmetterlinge und Affen. Der See ist unsere einzige Frischwasserquelle. Gegen den Durst filtern wir das Seewasser zu Trinkwasser, obwohl der Geschmack anfangs etwas gewöhnungsbedürftig ist. Ein Feuer unter einem Metallfass sorgt nach einem kräftezehrenden Tauchtag für eine wohltuende, warme Dusche.
Der Forschungs-Alltag
Auf die erste Euphorie folgt bald ein monotoner, aber gut eingespielter Alltagsrhythmus. An sechs aufeinanderfolgenden Tagen tauchen wir jeweils zwei Mal zwei bis drei Stunden ab, um möglichst viele Daten zu erheben. Die Arbeitstage beginnen um sieben Uhr mit Maisbrei zum Frühstück, dann wird sämtliches Tauchmaterial ins Boot verladen und der Bootsführer bringt uns an den gewünschten Arbeitstauchplatz. Ich arbeite an acht verschiedenen Fisch-Populationen, von denen ich sieben regelmässig mit dem Boot anfahre. Zwei davon befinden sich direkt neben einem kleinen Hafen, der seit Jahren von einem Krokodil bewohnt wird. Ich habe es schon vom Boot aus beobachtet, unter Wasser bin ich ihm glücklicherweise noch nie begegnet. Nach dem Mittags-Sandwich und dem zweiten Tauchgang machen wir uns spätnachmittags auf den Rückweg. Zurück in der Lodge ist die Arbeit noch lange nicht beendet. Bevor es dunkel wird muss sämtliches Tauchmaterial zum Trocknen aufgehängt werden, alle Daten müssen digitalisiert sein (vorausgesetzt die Stromversorgung klappt), und Gewebeproben in Alkohol fixiert werden. Zuletzt brummt der Kompressor bis in die Nacht hinein, bis alle Tauchflaschen wieder aufgefüllt sind.
Dazwischen wird uns ein feines Nachtessen serviert. Zwar tagtäglich die gleiche Mischung aus Reis, Kartoffeln, Fisch, Kohlsalat und Poulet, aber Familie Mwewa kocht grossartig, und der Appetit übertönt die Eintönigkeit. Bei Kerzenschein und Stirnlampenlicht lese ich noch ein paar Zeilen oder gönne mir ein warmes Bier, was hier ein absoluter Luxusartikel ist. Hier endet mein Tag, denn kurz vor zehn Uhr liege ich meist todmüde unter dem Mosquitonetz in meiner Hütte.
Ausflug in Fischerdörfer
Der siebte Tag ist tauchfrei. Diesen Tag nutzen wir zur Erholung, aber auch zum Pflegen unserer Füsse und anderer Blessuren, die durch ständige Nässe leiden. Häufig dient uns dieser Tag auch dazu, neues Benzin aus der Stadt zu organisieren, was eine ziemliche Herausforderung ist, da die Tankstellen meist leer sind und es einen riesigen Schwarzmarkt mit gepanschtem Benzin gibt.
Manchmal bleibt auch Zeit für einen Ausflug in die benachbarten Fischerdörfer. Dabei werden wir von unserem Bootsführer begleitet, denn in den zum Teil abgelegenen Fischerdörfern sind die Erwachsenen schnell verwundert, wenn plötzlich weisse Menschen durch ihr Dorf schlendern, während die Kinder laut schreiend zusammenlaufen, um uns auf Schritt und Tritt zu folgen und unsere weisse, unbekannte Haut berühren wollen. Da ihre Kenntnisse in Englisch etwa so gut sind wie die meinigen in ihren Stammessprachen Bemba oder Lungu, ist ein einheimischer Dolmetscher sehr hilfreich. Die Leute leben hier ausschliesslich vom Fischfang. Jede Nacht verbringen die Männer und Jungen in ihren Kanus mit Petroleumlampen auf dem See und fangen Kapenta (Süsswassersardinen), die dann am Morgen zum Trocknen ausgelegt werden. Gekocht wird mit Holzkohle, deren Produktion der Hauptgrund für die Rodung der Baumsavanne in Afrika ist.
Wir versuchen etwas zu verändern
Das Team von Professor Michael Taborsky forscht seit über 20 Jahren am Tanganyikasee. Die Unterstützung der lokalen Bevölkerung ist ein wichtiger Teil unserer Expedition. Hier gilt das Augenmerk vor allem der Bildung. Die Schulen in den Fischerdörfern sind oft in einem sehr schlechten Zustand, es gibt weder Tafeln noch Stühle. Viele Familien können sich das Schulgeld nicht leisten. In den letzten Jahren haben wir die Schulen in den Dörfern Kasakalawe und Chikonde unterstützt, indem wir Wandtafeln, Pulte, Fenster sowie Schreibmaterial und Hefte finanziert haben. Unser neues Projekt soll mit einem ausgetüftelten Kochsystem die Abholzung reduzieren und einen Beitrag zur Nachhaltigkeit leisten.
Was bleibt – weniger ist mehr
Die Faszination der Erforschung der Sozialsysteme der Buntbarsche, das Tauchen an Orten, die als die artenreichsten der Welt gelten, das Teilhaben und der Versuch, die Tradition und fremde Kultur zu verstehen, das Leben unter einfachsten Bedingungen, die Naturverbundenheit abseits der Zivilisation und das Erfahren persönlicher Grenzen; all das sind unvergessliche Momente, Begegnungen und Erlebnisse. Eine Erfahrung, die bleibt. Ich jedenfalls freue mich schon auf die nächste Expedition.
Informationen zum Projekt
Dario Josi, 24, aus Thun, Expeditionsleiter, Master-Student, Institut für Ökologie und Evolution, Abteilung Verhaltensökologie
Ort:
Sambia, Tanganyika Science Lodge, Kasakalawe, 5 Kilometer von Mpulungu entfernt
Projekt:
Wir arbeiten mit einem der wenigen kooperativ brütenden Buntbarsche (Neolamprologus pulcher) des Tanganyikasees und versuchen zu verstehen, wie solche Sozialsysteme entstanden sind. Neolamprologus pulcher lebt in Gruppen bestehend aus einem dominanten Brüterpaar und sogenannten Helfern, die an der Jungenaufzucht, der Territorienpflege und der Verteidigung beteiligt sind. Wir erforschen, wie ökologische Faktoren (Raubdruck, Habitatbeschaffenheit, Nahrungsangebot usw.) in verschiedenen Populationen die Verwandtschaft und Struktur dieser Gruppen beeinflussen.
Finanzierung:
Schweizerischer Nationalfonds (SNF)
Kontakt:
Dario Josi, Institut für Ökologie und Evolution, dario.josi@iee.unibe.ch
Mehr Informationen:
Institut für Ökologie und Evolution, Abteilung Verhaltensökologie
Sommerserie: Forschen in der Welt
Sie durchstreifen den Himalaja, tauchen im Tanganyikasee oder wandeln unter indonesischen Palmen: In der «uniaktuell»-Sommerserie «Forschen in der Welt» berichten acht Forscherinnen und Forscher vom Alltag und ihren Erkenntnissen aus aller Welt. Die Berichte sind auch in der aktuellen Ausgabe des Forschungsmagazins «UniPress» nachzulesen.