Sommerserie: Von Berner Labors auf Äthiopiens Felder
Für die Kleinbauern Äthiopiens wird die Uni Bern zum Begriff: Hier züchtet der Agronom und Molekularbiologe Zerihun Tadele weniger anfällige Sorten der Tef-Hirse, dem Grundnahrungsmittel für Millionen von Menschen.
Wenn ich im zentralen Hochland Äthiopiens auf einem Tef-Feld stehe und in die Weite blicke, sehe ich bis an den Horizont ein Meer aus Halmen. Was aussieht wie ein einziges, riesiges Feld mit Tef-Hirse sind in Wirklichkeit die unzähligen Felder vieler Kleinbauern. Es ist schön anzusehen, wie die heranreifenden Rispen durch die Kraft des Windes langsam hin- und herwogen. Dies ist ein glücklicher Moment für die Bauern: Nun entwickeln sie Vertrauen, dass sie in rund einem Monat etwas ernten können. Dieser Moment ist nicht nur für die Bauern erfreulich, sondern auch für alle Entwicklungshelferinnen und Forschenden, mich mit eingeschlossen, da unser Bestreben Früchte trägt.
Obwohl Tef jährlich von mehr als sechs Millionen Kleinbauern angebaut wird und das Grundnahrungsmittel für rund 50 Millionen Menschen allein in Äthiopien ist, hat die globale Wissenschaftsgemeinde diese wichtige Kulturpflanze vernachlässigt. Tef gehört zu den sogenannten orphan crops, also zu den Stiefkindern der Forschung.
Das bedeutet, dass Tef bis jetzt nicht, wie andere Getreide, die Chance zur Verbesserung durch gezielte Züchtung erhalten hat. Mein Ziel ist, durch die Erforschung und Entwicklung der wichtigsten Kulturpflanzen der Entwicklungsländer zur globalen Ernährungssicherheit beizutragen. Der hohe Protein- und Eisengehalt sowie die Toleranz gegen Trockenheit und Krankheiten machen Tef zum Getreide der Wahl von Konsumentinnen und Bauern. Weil Tef glutenfrei ist, wird das Getreide im Westen ausserdem bei Allergikern und als Lifestyle-Produkt immer beliebter.
Zurzeit konzentrieren wir uns auf die Entwicklung von neuen Tef-Sorten mit kürzeren, stabileren Halmen, die ausserdem bei Trockenheit besser gedeihen, sind doch Umknicken und Vertrocknen die beiden Hauptgründe für die grossen Produktionsausfälle. In den meisten Jahren geht ein Grossteil der Ernte verloren, da die Halme bei Wind und Regen rasch knicken.
Sobald wir in Bern im Labor eine neue, optimierte Tef-Linie gezüchtet haben, senden wir sie sofort nach Äthiopien, wo sie im «Debre Zeit Agricultural Research Center», dem nationalen Tef-Forschungszentrum, mit lokal angepassten und ertragreichen Tef-Sorten gekreuzt wird. Darauf folgen mehrere Jahre mit Feldversuchen in den Hauptanbaugebieten des Landes, bis eine neue Sorte zur Aussaat durch die Bauern freigegeben wird. Die Tests in Äthiopien sind unverzichtbar, geht es im Projekt doch darum, verbesserte Sorten für äthiopische Landwirte zu entwickeln.
Regelmässig mache ich Reisen nach Äthiopien, um den Fortschritt der Tef-Projekte zu verfolgen. Mit meinen Forscherkollegen diskutiere ich, was wir erreicht haben, wo wir an Grenzen stossen und welche Projekte wir in Zukunft anpacken wollen. Ich besuche Bauern und lade sie auf unsere Versuchsfelder ein. Ihre Rückmeldungen zu unseren neu entwickelten Sorten sind wichtig. Und natürlich geniesse ich es, jeden Tag Injera zu essen, das traditionelle, beliebte Fladenbrot aus Tef.
In Niederwangen zuhause
Ich lebe mit meiner Familie in Niederwangen, einem kleinen Dorf bei Köniz. In Niederwangen begrüssen die Leute einander jedes Mal, wenn sie sich treffen. Ich bin glücklich, in diesem Dorf zu wohnen, wo wir gute Kontakte mit unseren Nachbarn und der Gemeinschaft pflegen.
Mein Alltag an der Universität Bern ist routiniert: Einen Report oder ein Paper verfassen, mit den Mitgliedern meiner Forschungsgruppe diskutieren, Studierende unterrichten und betreuen sowie Experimente beaufsichtigen. Ich habe hier ein wunderbares Forschungs- und Arbeitsumfeld, das Verhältnis zu den Kolleginnen und Kollegen ist sehr gut. In der Forschungsgruppe, die ich führe, haben wir Spezialisten für Züchtung, Gewebekultur, Molekularbiologie, Bioinformatik und Biomechanik. So lerne ich jedes Mal dazu, wenn ich mit diesen Expertinnen diskutiere.
Um gezielt neue Sorten zu züchten, verwenden wir eine Vielzahl von Techniken und Geräten – zum Beispiel ein Verfahren namens TILLING (Targeting Induced Local Lesions in Genomes). Dabei wird das Saatgut mit einer Substanz behandelt, die zufällige Veränderungen im Erbgut bewirkt, welche anschliessend im Labor untersucht werden. Der natürliche langfristige Prozess der Mutation wird also künstlich beschleunigt, es werden jedoch keine fremden Gene eingeführt. Pflanzen mit den vielversprechendsten Genveränderungen – etwa für kürzere, robustere Halme – werden in Bern im Gewächshaus unter kontrollierten Umweltbedingungen angebaut und getestet. Dazu verwenden wir auch biomechanische Ansätze. Die Stärke der Halme respektive die Widerstandsfähigkeit gegen Wind und andere Kräfte, welche die Pflanzen zu Boden drücken, werden mit einem Roboter gemessen.
Beziehungsnetz Europa-Afrika
Ich habe viel Erfahrung in der Ausbildung von Nachwuchsforschenden und Studierenden. In den letzten Jahren haben wir ausserdem äthiopische Techniker und Nachwuchswissenschaftler geschult, die in der Tef-Forschung und -Entwicklung tätig sind. Ich arbeite eng mit öffentlichen und privaten Hochschul-, Forschungs- und Entwicklungseinrichtungen sowie mit Landwirten in Europa und Afrika zusammen – insbesondere mit solchen aus der Schweiz und Äthiopien. So habe ich durch Trainingsprogramme und Schulungen in Äthiopien enge Beziehungen mit Pflanzenforschenden im ganzen Land aufgebaut, die auf Getreide, Hülsenfrüchte, Gartenbau oder Ölsaaten spezialisiert sowie in Züchtung, den Agrarwissenschaften, der Pathologie oder der Entomologie tätig sind.
Unsere Arbeit kommt gut voran: So haben wir in unserem Labor am Institut für Pflanzenwissenschaften der Universität Bern mehrere halmfeste und trockenheitstolerante Tef-Linien entwickelt. Nach der Kreuzung dieser Kandidatenlinien mit lokal angepassten Tef-Linien in Äthiopien und der mehrjährigen Zucht haben wir vielversprechende Sorten entwickelt, die von Forschenden wie auch von Bauern sehr geschätzt werden. Die neuen trockenheitstoleranten Tef-Linien haben nach drei Wochen ohne Feuchtigkeit eine aussergewöhnliche Leistung gezeigt im Vergleich mit den Kontroll-Linien, die stark beschädigt wurden.
Wir werden die ersten Halbzwerg- und halmfesten Sorten nächstes Jahr zur Produktion freigeben. Ich bin zuversichtlich, dass die neuen Sorten die Produktivität erhöhen werden. Sie werden ausserdem die Mechanisierung des Tef-Anbaus ermöglichen – vor allem bei der Ernte.
Die Bauern erreichen
Meine Gruppe ergriff ausserdem die Initiative, das Genom der Tef-Pflanze erstmals zu sequenzieren und zu veröffentlichen. Ich freue mich, dass diese Informationen nun in verschiedene Forschungsprogramme einfliessen können. Dank den neu gezüchteten Sorten und der Entschlüsselung des Genoms wurde die Universität Bern auf verschiedenen Foren und Tagungen in Äthiopien und andernorts zitiert oder erwähnt. Zwar bin ich in Äthiopien schon gefragt worden, in welchem Land sich die Universität Bern befindet, doch auch dank der zahlreichen Medienbeiträge wird sie unter Forschenden sowie in der äthiopischen Öffentlichkeit immer mehr zu einem Begriff.
Ich bin zuversichtlich, dass einige unserer Sorten zur Erhöhung der Produktivität von Tef beitragen und damit den Lebensunterhalt der Kleinbauern in Äthiopien sichern werden. Für die Verbreitung der Technologie braucht es allerdings noch mehr Engagement aus verschiedenen Sektoren der Gesellschaft. In diesem Fall kann die Universität Bern nicht nur bei der Entwicklung der entsprechenden Technologien eine wichtige Rolle spielen, sondern durch die Stärkung ihrer Outreach-Programme auch dafür sorgen, dass die vielversprechenden neuen Sorten die Kleinbauern in Afrika auch tatsächlich erreichen.
Informationen zum Projekt
Zerihun Tadele, 51, aus Adaba, Bale, Äthiopien. Forschungsgruppenleiter, Institut für Pflanzenwissenschaften, Plant Genetics & Development – Crop Breeding & Genomics
Ort:
Bern sowie in Äthiopien Addis Abeba und Debre Zeit
Projekt:
Das «Tef Improvement Project» nutzt mehrere herkömmliche und neuartige Techniken, um den Ertrag des noch zu wenig erforschten Getreides Tef zu verbessern, das am Horn von Afrika ein Grundnahrungsmittel ist. Die verbesserten Tef-Sorten sollen demnächst die Bauern in Äthiopien erreichen.
Finanzierung:
Syngenta Stiftung für Nachhaltige Landwirtschaft, SystemsX, Universität Bern
Kontakt:
Dr. Zerihun Tadele, Institut für Pflanzenwissenschaften, zerihun.tadele@ips.unibe.ch
Mehr Informationen:
Sommerserie: Forschen in der Welt
Sie durchstreifen den Himalaja, tauchen im Tanganyikasee oder wandeln unter indonesischen Palmen: In der «uniaktuell»-Sommerserie «Forschen in der Welt» berichten acht Forscherinnen und Forscher vom Alltag und ihren Erkenntnissen aus aller Welt. Die Berichte sind auch in der aktuellen Ausgabe des Forschungsmagazins «UniPress» nachzulesen.