Von der Regeneration des Herzens
Zebrafische besitzen die erstaunliche Fähigkeit, nach einem Infarkt ihr Herz zu regenerieren. Wie eine jüngst publizierte Studie zeigt, spielt dabei das sogennante «Verjüngungsgen» der Telomerase eine wichtige Rolle. Mitautorin der Studie ist Prof. Dr. Nadia Mercader, die Anfang August ihre Stelle als Professorin für Anatomie, Entwicklungsbiologie und Regeneration an der Uni Bern angetreten hat. Sie erzählt, warum diese Erkenntnisse auch für den Menschen wichtig sind und auf welche Herausforderungen in Bern sie sich freut.
Sie sind Expertin auf dem Gebiet der Herzkreislauf-Forschung und haben an einer Studie mitgearbeitet, die diese Woche im renommierten Fachjournal «Cell Reports» veröffentlicht wurde. Worum ging es dabei?
Beim Menschen bleiben nach einem Herzinfarkt irreversible Narben am Herzmuskel bestehen. Im Gegensatz dazu regeneriert sich das Herz des Zebrafisches nach einer Herzläsion. In Zusammenarbeit mit der Gruppe von Ignacio Flores am Centro Nacional de Investigaciones Cardiovasculares CNIC in Madrid haben wir in den letzten Jahren erforscht, was die Herzmuskelzellen des Zebrafisches dazu bringt, sich nach einer Verwundung zu teilen und zu vermehren, um den geschädigten Herzmuskel wieder aufzubauen.
Was macht die kleinen Zierfische zu geeigneten Forschungsobjekten? Und inwiefern lassen sich Erkenntnisse aus diesen Experimenten auf den Menschen übertragen?
Der Zebrafisch eignet sich als Modell in der Biomedizin aus mehreren Gründen. Zum Beispiel entsprechen circa 70% der Gene des Zebrafischs den Genen des Menschen. So können vererbbare, menschliche Krankheiten am Zebrafisch studiert werden. Da sich der Zebrafisch zudem sehr schnell entwickelt, fängt zum Beispiel das Herz innerhalb von 24 Stunden nach der Befruchtung zu schlagen an. Dieser Prozess kann durch ein Mikroskop beobachtet und so gewissermassen der embryonalen Entwicklung «nachspioniert» werden. Bestimmte Zelltypen können auch mit fluoreszierenden Proteinen markiert werden, damit diese aufleuchten. Dies dient der Gewinnung von präzisen Informationen über Bewegungen oder Veränderungen dieser Zellen während der Entwicklung. Interessant ist der Zebrafisch aber eben auch, weil er fähig ist, mehrere seiner Organe zu regenerieren, darunter sein Herz. Dieses Grundwissen, wie natürliche Regenerationsprozesse geschehen, könnte zukünftige Anwendung finden in der regenerativen Medizin.
Bei der Regeneration des Herzens des Zebrafisches spielt das sogenannte «Verjüngungsgen» eine wichtige Rolle. Können Sie etwas mehr darüber erzählen?
Konkret haben wir die Rolle der Telomerase für die Herzregeneration untersucht. Die Telomerase ist ein Enzym, das für die Verlängerung der Chromosomenenden verantwortlich ist. Bei jeder Mitose – der einfachen Zellkernteilung, bei der aus einer Zelle zwei identische Tochterzellen entstehen – verkürzen sich die Enden der Chromosomen. Zu kurze Enden können dabei den Zelltod auslösen. Die Telomerase wirkt dieser Kürzung entgegen, indem sie hilft, die korrekte Länge der Chromosomenenden wieder herzustellen. Aus diesem Grund wird die Telomerase manchmal umgangssprachlich auch «Verjüngungsgen» genannt. Wir haben nun eben festgestellt, dass beim Zebrafisch als Reaktion auf eine Herzläsion die Telomerase in den Herzzellen aktiviert wird und Herzzellen ihre Chromosomenenden so sehr schnell verlängern. Zebrafische, die keine Telomerase haben, können ihr Herz nicht vollständig regenerieren, zum einen, weil die Zellen des Herzmuskels sich nicht genügend teilen, und zum anderen, weil sie eher an DNA-Schäden leiden. Dies ist ein Hinweis darauf, dass die Telomerase nicht nur wichtig ist, um die Chromosomenenden zu verlängern, sondern auch, um die Zellen vor DNA-Schäden zu schützen.
Was ist Ihre persönliche Motivation, genau auf dem Forschungsgebiet Herzkreislauf tätig zu sein? Und was versprechen Sie sich langfristig gesehen von Ihrer Forschung?
Mich interessiert seit langer Zeit die grundsätzliche Frage, wie ein Organismus entsteht, und welche Mechanismen zum Einsatz kommen, wenn im erwachsenen Stadium ein Körperteil nach einer Verwundung nachwachsen muss. Wie wissen die Zellen, was neu zu bilden ist? Wird das embryonale Wachstum nachgeahmt, das heisst erinnern sich die Zellen daran, wie sie einmal entstanden sind, oder werden andere Mechanismen in Gang gesetzt? Zunächst beschäftigte ich mich mit Gliedmassen und der Frage, welche Gene dafür verantwortlich sind, dass aus undifferenzierten Zellen in der korrekten Reihenfolge Oberarm/Schenkel, Unterarm/Unterschenkel und Hand/Fuss entstehen. Danach entschied ich mich, dieselben grundsätzlichen Fragen am Herzen zu studieren. Und da ich Entwicklung und Regenerationsstudien verbinden wollte, entschied ich mich für das Modell des Zebrafisches. Eines meiner Ziele ist es, zum Verständnis beizutragen, welche Mechanismen dazu führen, dass sich nach einer Verwundung das Herz eines Zebrafischs regeneriert, statt mit einer irreversiblen Narbe versehen zu bleiben, so wie es bei Menschen nach einem Herzinfarkt geschieht.
Anfang August haben Sie an der Universität Bern Ihre Stelle als ausserordentliche Professorin für Anatomie, Entwicklungsbiologie und Regeneration und Co-Direktorin des Instituts für Anatomie und angetreten. Warum haben Sie sich für die Universität Bern entschieden?
Die Universität Bern war mir schon von meiner Zeit als Studentin bekannt. Die jetzige Stelle ermöglicht es mir, Forschung und Lehre zu verbinden, was ich sehr schätze. Dank der Professur bin ich in der Lage, auch langfristige Experimente zu planen, was bei meinen bisherigen, befristeten Stellen nicht möglich war. Auch fühle ich mich als Halbschweizerin sehr mit der Schweiz verbunden. Und bei meinem ersten Besuch in Bern hat mich der Blick auf die Alpen von der Grossen Schanze aus einfach verzaubert.
Was sind die grössten Herausforderungen an der neuen Stelle?
Das Labor neu zu etablieren, ist eine Herausforderung. Durch ein Abkommen zwischen dem Institut für Anatomie der Universität Bern und dem CNIC in Madrid kann ich als Gastprofessorin aber auch einen Teil der Arbeitsgruppe für eine bestimmte Zeitspanne weiterhin betreuen. Eine zweite grosse Herausforderung ist auf jeden Fall die Lehre. Während meiner Laufbahn habe ich zwar Erfahrung gesammelt mit Unterricht, vor allem in Master in Science-Lehrgängen, Doktorandenkursen und Vorlesungen, aber in einem Hörsaal mit 200 Studenten war ich noch nie. Ich freue mich, an der Universität Bern Embryologie unterrichten zu dürfen, das ist bei weitem mein Lieblingsfach. Und ich hoffe, den Studenten meinen eigenen Enthusiasmus weitervermitteln zu können.
Wo finden Sie Ausgleich zum Arbeitsalltag?
Ausgleich finde ich bei meiner Familie. Meine zwei Söhne sorgen dafür, dass ich ab und zu von der Arbeit abschalte. Für andere Hobbys bleibt allerdings im Moment nicht viel Zeit. Das hat man davon, wenn die eigene Arbeit auch das Hobby ist.
Zur Person
Prof. Dr. Nadia Mercader
1974 in Zürich geboren und später in Madrid (ES) aufgewachsen
1993-1998 Studium der Biologie an der ETH Zürich
2003 Dissertation über die molekulare Grundlage der Extremitäten-Entwicklung bei Wirbeltieren am Spanischen Nationalen Forschungsinstitut für Biotechnologie (CNB-CSIC) in Madrid
2003 Forschungsaufenthalt am Max Planck Institut für Zellbiologie und Genetik in Dresden (D)
2004-2006 Postdoc-Stelle am Europäischen Laboratorium für Molekularbiologie (EMBL) in Heidelberg (D)
2007-2015 Gruppenleiterin am Centro Nacional de Investigaciones Cardiovasculares (CNIC) in Madrid (ES)
2013 ERC Starting Grant mit fünfjähriger Laufzeit
seit August 2015 ausserordentliche Professorin für Anatomie, Entwicklungsbiologie und Regeneration an der Universität Bern und Co-Direktorin des Instituts für Anatomie
Kontakt:
Prof. Dr. Nadia Mercader, Institut für Anatomie, nadia.mercader@ana.unibe.ch
Weiterführende Links:
Studie in «Cell Reports»
Institut für Anatomie der Universität Bern
Centro Nacional de Investigaciones Cardiovasculares CNIC
Zur Autorin
Brigit Bucher arbeitet als Stv. Leiterin Corporate Communication an der Universität Bern und ist Redaktorin bei «uniaktuell».