Auge in Auge mit antiken Göttinnen und Helden

1806 wurde mit den ersten originalgetreuen Gipsabgüssen von antiken Statuen die Antike nach Bern geholt. Für «uniaktuell» berichtet Elena Mango, Direktorin der Antikensammlung, von einem aufregenden Kapitel der Berner Kulturgeschichte. Die 210 Jahr-Jubiläumsfeier und Vernissage der Ausstellung der Antikensammlung findet am Freitag, 28. Oktober 2016 an der Hallerstrasse 12 statt.

Von Elena Mango 25. Oktober 2016

1806 hielt die Antike in Bern Einzug: Der Staat Bern bestellte 1806 in Paris eine Reihe originalgetreuer Gipsabgüsse von antiken Statuen für die Academia Bernensis (Standort des heutigen Kultur Casino) und richtete damit schon früh einen öffentlich zugänglichen Antikensaal ein. Dieser bedeutete eine grosse Bereicherung für die Stadt und wurde mit Stolz präsentiert. Sein Wert für die Akademische Zeichnung, die Bildung der jungen Leute und das Prestige der Stadt wurde als sehr wichtig erachtet. 1830 erhielt Bern auch eine ansehnliche Sammlung von antiken Vasen vom 4. Schweizer Regiment in neapolitanischen Diensten geschenkt – damit besass sie die erste öffentlich zugängliche Sammlung antiker Originale der Schweiz.

Eine Odyssee durch die Stadt

Die Abgüsse, die fast 60 Jahre in der Akademie ausgestellt blieben, wechselten bis heute – einer Odyssee gleich – mehrmals ihre Standorte innerhalb der Stadt. Diese Standortwechsel spiegeln die jeweilige Bedeutung und Funktion der Gipsfiguren für Bildung, Kunst und Gesellschaft im Wandel der Zeiten wider. Sie reichen von repräsentativen Standorten wie dem Bundesratshaus (1864–1879), dem heutigen Bundeshaus West, und dem Kunstmuseum (1879–1936), über die vorübergehende Einlagerung in Depoträumen bis zur Einbindung in Forschung Lehre im Rahmen der Universität (ab den 1970er Jahren). In den 40er Jahren des 20. Jahrhunderts erfuhren die Originale zunehmend Wertschätzung; damit einher ging die Abneigung gegenüber den Kopien. Die Abgüsse in Bern entgingen nur knapp dem Schicksal «in die Aare geworfen zu werden», da sie «nur den guten Geschmack unserer Künstler» verderben würden, wie Cuno Amiet damals bemerkte. Zu verdanken war die Rettung dem Gymnasium Kirchenfeld. Als dieses 30 Jahre später, 1974, eine Bauerweiterung plante, stand den Abgüssen ein weiterer Umzug bevor.

Antikensammlung Bern, Blick in die Abgusssammlung, verschiedene Kleinplastiken im Vordergrund, Büsten im Hintergrund.
Antikensammlung Bern, Blick in die Abgusssammlung, verschiedene Kleinplastiken im Vordergrund, Büsten im Hintergrund. Bild: zVg Antikensammlung Bern

Die Abgüsse werden aus ihrem Dornröschenschlaf geholt

Es war Hans Jucker, erster Lehrstuhlinhaber für Klassische Archäologie an der Universität Bern, der die Gipsabgüsse rettete und 1974 in einem Fachwerkhaus an der Burgtreppe 10 unterhalb der Nydeggkirche in der Mattenenge die Bernische Gipssammlung eröffnete. Inzwischen hatte sich die Klassische Archäologie allerorten in Europa und Amerika zu einer historisch orientierten Kulturwissenschaft weiterentwickelt. Die Abguss-Sammlungen waren an den Universitäten ein wichtiges Instrument in Forschung und Lehre geworden, die häufig durch originale Kleinkunst ergänzt wurden. So auch in Bern, wo die Gipssammlung durch den Aufbau einer Sammlung von antiken Originalen eine Erweiterung erfuhr. Die Grundsanierung der gesamten Häuserzeile in der Mattenenge führte 1993 zum Umzug der Sammlung an den heutigen Standort an der Hallerstrasse 12 im Universitätsquartier. Hier konnte am 21. Dezember 1994 Dietrich Willers, Nachfolger von Hans Jucker, den Standort feierlich unter dem neuen Namen Antikensammlung Bern der Universität eröffnen. Gleichzeitig mit der Neueröffnung erfolgte eine Neuordnung der Eigentumsverhältnisse: Auch die historischen Abgüsse gingen in den Besitz der Universität Bern über. Der industrielle Charakter der Räumlichkeiten im ehemaligen Papierlager der Druckerei Kümmerly + Frey bildet einen höchst spannenden Kontrast zu den klassischen Antiken, der die Besucherinnen und Besucher bis heute in seinen Bann zu ziehen vermag.

Antikensammlung Bern, Blick in die Abgusssammlung, im Vordergrund der Schlafende Hermaphrodit.
Antikensammlung Bern, Blick in die Abgusssammlung, im Vordergrund der Schlafende Hermaphrodit. Bild: zVg Antikensammlung Bern

Aphrodite, Kleopatra und Cäsar vereint

Hier stehen sie nun, die berühmtesten Skulpturen der griechischen und römischen Antike, die in Museen der ganzen Welt verteilt sind, an einem Ort vereint: die schaumgeborene Aphrodite, der mit den Schlangen ringende trojanische Priester Laokoon, die schöne Kleopatra, der mächtige Cäsar und viele mehr. Die kleine, aber feine Sammlung originaler antiker Kleinkunst besticht durch ihre Vielfalt und Qualität. Die Antikensammlung erfüllt heute den doppelten Auftrag von Studiensammlung und öffentlicher Sammlung. Auch sind die Abgüsse wieder eine wichtige Grundlage für Skizzen- und Zeichnungsübungen vieler Zeichenklassen – der Mief, der ihnen in künstlerischen Kreisen um die Jahrhundermitte noch anhaftete, hat sich verzogen.

Antikensammlung Bern, Blick in die Abgusssammlung, im Hintergrund die Athena Velletri und der Apoll von Belvedere.
Antikensammlung Bern, Blick in die Abgusssammlung, im Hintergrund die Athena Velletri und der Apoll von Belvedere. Bild: zVg Antikensammlung Bern

Sonderausstellung zum Jubiläum

Anlässlich des 210- Jahr-Jubiläums wird eine Sonderausstellung zur bewegten Geschichte und Entwicklung der Antikensammlung gezeigt. Zugleich freuen wir uns, zwei neue Gipsabgüsse präsentieren zu können: Die Statue eines Faustkämpfers, die aufgrund seines Fundortes den Rufnamen Boxer vom Quirinal erhalten hat, und die Figur eines etruskischen Kriegers, der damit einen bisher nicht vertretenen Kulturkreis des vorrömischen Italiens in der Abgusssammlung vertritt. Abgerundet wird das Jubiläumsjahr durch einen Führungszyklus zu den ältesten Abgüssen.

Zur Person

Elena Mango ist seit 2011 ordentliche Professorin für die Archäologie des Mittelmeerraumes am Institut für Archäologische Wissenschaften der Universität Bern, Mitdirektorin des Institutes und Direktorin der Antikensammlung der Universität Bern. Bevor sie nach Bern kam, war sie interimistische Leiterin des Archäologischen Institutes der Universität Zürich und langjährige Verantwortliche der dortigen Archäologischen Sammlung. Die Schwerpunkte ihrer Forschung liegen zum einen in der Feldforschung auf Sizilien (Himera, Iaitas) und Euböa (Eretria) mit Schwerpunkten in der Urbanistik griechischer Koloniegründungen, den Befestigungssystemen sowie der hellenistisch-römischen Architektur, zum anderen auf kulturellen Kontakte zwischen Griechen und Römern im Osten und im Westen, mit besonderem Augenmerk auf der Bedeutung und Funktion der Epheben in der antiken griechischen Gesellschaft und in der nachfolgenden römischen Zeit.

Kontakt:

Prof. Dr. Elena Mango
Universität Bern
Institut für Archäologische Wissenschaften, Archäologie des Mittelmeerraumes
Telefon direkt: +41 31 631 32 95
Telefon Institution: +41 31 631 89 92
Email: elena.mango@iaw.unibe.ch

Die Antikensammlung

Die Antikensammlung hat den doppelten Auftrag von Studiensammlung und öffentlicher Sammlung. Innerhalb des universitären Betriebes dient sie Lehr- und Forschungszwecken, als öffentliche Sammlung steht sie im Dialog mit der Gesellschaft und bildet ein wichtiges Scharnier zwischen Universität und Öffentlichkeit. Sie besteht aus einer Abguss- und einer Originalsammlung und ist das einzige Museum in Bern, das Antiken aus dem Mittelmeerraum öffentlich zugänglich ausstellt.

Die Antikensammlung umfasst bis heute 249 Gipsabgüsse nach antiken Statuen der griechische, römischen und – neuerdings – der etruskischen Kultur. Die Originalsammlung, eine kleine aber feine Sammlung, enthält ca. 1000 antike Objekte aus den antiken Kulturen des Mittelmeerraumes und beherbergt zusätzlich eine einzigartige Sammlung von über 600 antiken Gemmen (geschnittene Schmucksteine) aus der Stiftung Leo Merz.

 

Ausstellung zum Jubiläum

«DIE ANTIKE WIRD NACH BERN GEHOLT» – Geschichte der Antikensammlung und Präsentation neuer Gipsabgüsse

Die Ausstellung zeigt die bewegte Sammlungsgeschichte der Abgüsse nach antiken Originalen. Diese wechselten mehrmals die Standorte in ganz Bern. Von der anfänglichen Bewunderung und Vorbildfunktion für die humanistische Bildung und die zeitgenössischen Künstler, der späteren Geringschätzung der Kopien bis zur Wiederentdeckung des Nutzens und der Ästhetik werden Bedeutung und Funktion von Abgusssammlungen beleuchtet. Anlässlich des Jubiläums werden dem Publikum zwei neue Gipsabgüsse präsentiert, die in der Antikensammlung neue interessante Gebiete für Lehre, Forschung und die Öffentlichkeit eröffnen.

Vernissage der Ausstellung: 28. Oktober 2016, 18.15 Uhr

Es sprechen:
Prof. Dr. Achim Conzelmann (Vizerektor Entwicklung)
Prof. Dr. Stefan Rebenich (Vizedekan der philosophisch-historischen Fakultät)
Prof. Dr. Elena Mango (Direktorin der Antikensammlung der Universität Bern).

Antikensammlung der Universität Bern
Hallerstrasse 12
3012 Bern
Öffnungszeiten: Mittwoch, 18 – 20 Uhr oder auf Anfrage (antikensammlung@iaw.unibe.ch)
www.antikensammlung.unibe.ch

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