Die Bundesrätin und die private «Simonetta»

Am vergangenen Donnerstag, 24. November, war Bundesrätin und Vorsteherin des Eidgenössischen Justiz- und Polizeidepartements (EJPD) Simonetta Sommaruga zu Gast an der Uni Bern. Auf Einladung von Adrian Vatter lieferte sie im Rahmen der Vorlesung «Politisches System der Schweiz» vielfältige Einblicke in die Praxis und beantwortete Fragen aus dem Publikum. Für «uniaktuell» schildern zwei Studentinnen ihre persönlichen Eindrücke.

Es hat bereits Tradition, dass einmal im Jahr ein politisches Schwergewicht der Einladung des Instituts für Politikwissenschaft folgt und den Studierenden im Hochschulzentrum vonRoll Red und Antwort steht. Die Aussicht auf eine Diskussion mit Bundesrätin Simonetta Sommaruga lockte auch dieses Herbstsemester viele Neugierige an, so dass bei Beginn des kurzen Einführungsreferats der EJPD-Vorsteherin nicht alle einen Sitzplatz fanden.

Viele Studierende wollten beim Besuch von Bundesrätin Simonetta Sommaruga dabei sein. Alle Bilder: Universität Bern, Ivo Schmucki
Viele Studierende wollten beim Besuch von Bundesrätin Simonetta Sommaruga dabei sein. Alle Bilder: Universität Bern, Ivo Schmucki

Melanie Ivankovic: «Beeindruckt hat mich ihre souveräne und warme Ausstrahlung.»

«Mit Bundesrätin Simonetta Sommaruga besuchte uns nicht nur ein Mitglied der Schweizer Bundesregierung und der Sozialdemokratischen Partei, sondern auch ein Mensch, der eine Geschichte zu erzählen hat. Beeindruckt hat mich ihre Persönlichkeit und die souveräne und gleichzeitig warme Ausstrahlung. Immer wieder liess sie durchschimmern, wie unterschiedlich, aber auch wie stark verknüpft die verschiedenen Rollen ihres Lebens sind und diese je nach Situation und Rahmen auch in den Hintergrund treten müssen. Dies zeigte sich in ihren Erzählungen, wie sie samstags auf dem Berner ‹Märit› immer noch ein wenig ‹Bundesrätin› sei, aber privat selbst in ihrem Freundeskreis die öffentliche Meinung des Bundesrates vertrete und das Kollegialprinzip achte.»

Bundesrätin statt Konzertpianistin

«Auch legte sie uns mit ihrer persönlichen politischen Entwicklungsgeschichte nahe, dass es keine vorgezeichneten Lebenswege gibt und dass beispielsweise ein Studienabbruch nur ein kleiner Teil eines Lebens ist. So stammt die heutige Bundesrätin und ehemalige Nationalrätin, welche sich als sehr schüchternes und leises Mädchen beschrieb, aus einem nicht politischen Umfeld und wollte Konzertpianistin werden: ‹Gottseidank habe ich relativ schnell gemerkt, dass die Begabung nicht reicht›, erzählte sie lachend.

In ihrer Tätigkeit als Bundesrätin und Politikerin liegt ihr der Austausch mit anderen und das ‹Rauskommen aus dem Büro› sehr am Herzen. Immer wieder betonte sie, dass ein persönlicher Austausch, sei dies mit Bundesratskolleginnen und -kollegen, internationalen Staatsvertreterinnen und -vertretern, Parteimitgliedern oder der Bevölkerung, von enormer Bedeutung für sie sei. Ihre Besuche führen sie in verschiedenste Länder wie auch Gesellschaftsbereiche: In Flüchtlingsheime, Fabriken, Gefängnisse. Sie sagte dazu: ‹Ich muss raus, ich muss ins Gefängnis, ich reise viel, ich habe eine Familie, Freunde …› und widerspiegelte so auch ihre vielen Funktionen, Interessen und Rollen.

Mit ihrer natürlichen Art und Weise vermochte sie das Publikum zu begeistern, indem sie erfolgreich Theorie und Praxis verknüpfte und vermitteln konnte, wie das Leben einer Bundesrätin aussieht.»

Adrian Vatter und Simonetta Sommaruga im Gespräch.
Adrian Vatter und Simonetta Sommaruga im Gespräch.

Rahel Freiburghaus: «Es ist das feine Wechselspiel zwischen den Rollen, das sie ausmacht.»

«Nach meinen persönlichen Eindrücken zum Besuch von Bundesrätin Simonetta Sommaruga gefragt, kommen mir als erstes ihre Ausführungen zu verschiedenen Rollenbildern in den Sinn. Das einführende Kurzreferat diente ihr zunächst dazu, ihre eigene und die Rolle der Zuhörerschaft zu definieren. Sie selbst spreche als Vertreterin der Landesregierung und sei dem Kollegialitätsprinzip verpflichtet. In diesem Zusammenhang sei es eine zentrale Anforderung, die Entscheide des Regierungskollegiums nach aussen geeint zu vertreten, selbst wenn diese dem persönlichen Standpunkt entgegen stünden. Umgekehrt wollte Bundesrätin Sommaruga das Publikum keinesfalls in die Rolle passiv Zuhörendender reduziert wissen; vielmehr wünschte sie sich ein Gespräch und erinnerte uns an unsere Aufgabe, das politische System der Schweiz ‹zu verstehen und zu vermitteln›.»

Simonetta Sommaruga beim Einführungsreferat.
Simonetta Sommaruga beim Einführungsreferat.

Einsicht, es nicht allen recht machen zu können

«Im von Adrian Vatter moderierten Gespräch betonte Sommaruga, dass es wichtig sei, die eigene Rolle professionell zu akzeptieren. Dazu gehöre die Einsicht, als Bundesrätin einerseits in den Handlungsmöglichkeiten institutionell beschränkt zu sein und andererseits unterschiedlichste Zielgruppen immer wieder enttäuschen zu müssen. Ersteres erfahre sie beispielsweise, wenn das Parlament bei ihr persönlich am Herzen liegenden Vorlagen – jüngst beim Kindesschutz – nicht mitziehe. Letzteres könne sich auf ihre eigene Partei beziehen, wenn die Entscheide des Bundesrates dem SP-Parteibuch widersprechen würden oder auch auf ihre Familie, wenn ‹Simonetta› ihre persönliche Haltung zu einer Abstimmungsvorlage zugunsten der gewahrten Kollegialität selbst im engsten Kreis nicht verraten wolle.»

Es werden Fragen aus dem Publikum diskutiert.
Es werden Fragen aus dem Publikum diskutiert.

Das feine Wechselspiel

«Schliesslich ermutigte ihr Besuch auch dazu, die eigene Rolle im passenden Moment abzulegen. Dies zeigte sich in den zahlreichen Momenten, in denen ich glaubte, den Menschen Simonetta Sommaruga hinter ihrer offiziellen Rolle hervorscheinen zu sehen. Ihr persönliches Eingeständnis, gerne Macht zu haben, wirkte genauso glaubhaft wie ihr flammender Schlussappell, dass wir Studierende uns in der bevorstehenden Kampagne für die erleichterte Einbürgerung der dritten Generation einsetzen mögen. Es ist das feine Wechselspiel zwischen ihrer offiziellen Rolle und dem Feingefühl, ebendiese Rolle im passenden Moment kurzzeitig abzulegen, die mir Frau Bundesrätin Sommaruga als sowohl faszinierende als auch authentische Person erscheinen liess.»

Zu den Autorinnen

Melanie Ivankovic (*1993) ist Masterstudentin der Politikwissenschaften und der Nachhaltigen Entwicklung im zweiten Semester an der Universität Bern. Kontakt: melanie.ivankovic@students.unibe.ch

Rahel Freiburghaus (*1994) studiert im zweiten Master-Semester Schweizer und Vergleichende Politik und arbeitet als Hilfsassistentin von Prof. Dr. Adrian Vatter am Lehrstuhl für Schweizer Politik an der Universität Bern. Kontakt: rahel.freiburghaus@ipw.unibe.ch

Die Vorlesung «Politisches System der Schweiz I»

Im Mittelpunkt der jeweils im Herbstsemester stattfindenden Vorlesung stehen die politischen Akteure und Institutionen auf Bundes- und Kantonsebene, die politischen Entscheidungsprozesse auf den verschiedenen Staatsebenen sowie die vertiefte Betrachtung ausgewählter Politikfelder. Einmal pro Vorlesungszyklus lädt Dozent Prof. Dr. Adrian Vatter vom Institut für Politikwissenschaft eine Vertreterin oder ein Vertreter des politischen Systems für ein Referat mit Diskussion ein.

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