«Die digitale Transformation geschieht nicht automatisch»

Die Arbeitswelt befindet sich durch die Weiterentwicklung im digitalen Bereich in einem stetigen Wandel. Gewisse Prozesse werden in der Zukunft überholt sein, neue Berufsbilder entstehen. Die digitale Transformation wurde an der Tagung, die das Institut für Organisation und Personal (IOP) zu seinem 25-Jahre-Jubiläum Anfang Mai veranstaltete, thematisiert. «uniaktuell» hat mit Norbert Thom, Gründer und ehemaliger Direktor des IOP, gesprochen.

«uniaktuell»: Was bedeutet «digitale Transformation»?
Norbert Thom: Es geht um einen tiefgreifenden Wandel in der Arbeitswelt durch einen erheblich verstärkten Einsatz von Computern, Robotern und sehr leistungsfähigen elektronischen Netzwerken. Man spricht auch von der vierten industriellen Revolution: Maschinen kommunizieren mit Maschinen und Menschen, neue Mensch-Maschine-Systeme entstehen. Infolge dieses Technologieschubes, der mit grossen Investitionen verbunden ist, wird sich die Arbeitswelt verändern – nicht nur in Fabriken, sondern in allen Sektoren und betrieblichen Teilbereichen. Dieser Veränderungsprozess muss aktiv gestaltet werden. Hierbei liegt auch die Herausforderung für die Führung von Institutionen aller Art.

Darstellung der Veränderung durch Digitalisierung: Folie aus dem Referat der Gastreferentin Dr. Prisca Brosi, Technische Universität München, an der IOP Tagung.
Darstellung der Veränderung durch Digitalisierung: Folie aus dem Referat der Gastreferentin Dr. Prisca Brosi, Technische Universität München, an der IOP Tagung.

Können Sie diese Herausforderung genauer erläutern?
Das Management des Wandels – Change Management – ist gefordert. Dieses entspricht einer umfassenden Führungsaufgabe, zu welcher das Institut für Organisation und Personal (IOP) immer Lehrveranstaltungen angeboten hat. Es geht um strategischen, strukturellen und kulturellen Wandel. Bei den Strategien ist zu klären, welche veränderten Leistungen ein Unternehmen seinen Kunden anbieten will. Der strukturelle Wandel bezieht sich auf die Organisation. Wie ist etwa das Verhältnis von Aufgaben, Kompetenzen und Verantwortlichkeiten neu zu gestalten? Der kulturelle Wandel ist der Schwierigste: Die Wertsysteme bezüglich der Führung und Kooperation sind zu beeinflussen. Änderungsprozesse lösen bei nicht wenigen Mitarbeitenden Ängste und Widerstände aus. Deshalb muss die Veränderungsbereitschaft und -fähigkeit gezielt gefördert werden, etwa durch Schulung, Information oder Mitwirkungsmöglichkeiten. Die digitale Transformation geschieht nicht «automatisch». Neben den technischen Innovationen sind auch soziale Innovationen bei der Führung und in den Kooperationsformen erforderlich, damit der Mensch nicht zum schwächsten Glied in den neuen Mensch-Maschine-Systemen wird.

Die digitale Transformation bringt demzufolge grosse Umwälzungen?
Ja. Bisherige Arbeitsprozesse werden obsolet und müssen neu gestaltet werden. Dies kann im Extremfall zum Verschwinden ganzer Produktionsformen und der dazugehörigen Arbeitsplätze führen. Auf der positiven Seite entstehen laufend neue Berufsbilder wie zum Beispiel der Big-Data-Analyst oder die Netzwerktechnikerin. Viele neue Chancen ergeben sich für Fachkräfte aus der Informations- und Kommunikationstechnologie. Im besten Falle wird durch die fortschreitende Digitalisierung der Arbeitsalltag abwechslungsreicher. Die Arbeitnehmenden sind in ihrer Flexibilität gefordert – sie müssen sich ständig weiterbilden; die zunehmende Intensität der Arbeit kann sich zudem auf ihre Gesundheit – vor allem den psychischen Bereich – auswirken. Auch die Konsumenten sind von Veränderungen betroffen. So könnten Funkchips individuelle Kundenwünsche an Produktionsanlagen übermitteln, etwa für die Herstellung von Schuhen oder Autos. Die Telemedizin wird chronisch kranken Menschen besser helfen können, beispielsweise durch die Übermittlung von Pulsschlag und Blutdruck vom Patienten zum Arzt.

Können Sie uns weitere Beispiele für die Auswirkungen der digitalen Transformation auf Organisation, Führung, Arbeit und Menschen nennen?
Es wird erwartet, dass Organisationen zukünftig weniger hierarchisch funktionieren. Netzwerkartige Strukturen und Teamarbeit gewinnen an Bedeutung. Der direkte Kontakt zu einem internen oder externen Kooperationspartner wird durch neue Medien stärker gepflegt. In der Führung können organisatorische und planerische Führungsaufgaben sehr wirkungsvoll elektronisch abgewickelt werden. Die Vermittlung von Werten, Motivations- und Kritikgespräche sowie das Lösen von Konflikten sollte jedoch weiterhin der unmittelbaren zwischenmenschlichen Kommunikation vorbehalten bleiben. Menschen können an ihrem Arbeitsplatz durch die elektronischen Systeme auf viel umfassendere Informationen zurückgreifen. Daher ist es möglich, das Aufgabenspektrum zu erweitern und zu bereichern, was zu neuen Entscheidungs- und Handlungsspielräumen führt. Zur Ausschöpfung der neuen Chancen müssen den Arbeitnehmenden grössere Kompetenzen zugeteilt werden. Auch die Rolle der Vorgesetzten ändert sich: Wichtig wird das Beraten und Coachen der Mitarbeitenden sowie ihre Förderung.

Zur Person

Prof. em. Dr. Norbert Thom war 1991 der Gründer des IOP und bis 2012 sein Direktor. Seit 10 Jahren ist er Präsident des Fördervereins IOP und weiterhin als Emeritus am IOP aktiv. Zusammen mit seinen Nachfolgern, Frauke von Bieberstein und Andreas Hack, hat er eine Festschrift zum 25-Jahre-Jubiläum des IOP herausgegeben («Menschen in Organisationen. Ein Vierteljahrhundert Managementforschung und –lehre am IOP»).

Kontakt:

Prof. em. Dr. Norbert Thom
norbert.thom@iop.unibe.ch

Institut für Organisation und Personal (IOP)

Das Institut für Organisation und Personal (IOP) ist ein wissenschaftlich unabhängiges Institut der Universität Bern, das sowohl national als auch international ausgerichtet ist. Schwerpunkte bilden die Fachgebiete Organisation und Personal als wichtige Komponenten der Unternehmensführung. Das IOP fördert das europäische und globale Denken. Es wurde 1991 von Prof. Dr. Norbert Thom gegründet. Geleitet wird das Institut durch Prof. Dr. Frauke Freifrau Marschall von Bieberstein (Abteilung Organisation) und Prof. Dr. Andreas Hack (Abteilung Personal). Zum 25-Jahre-Jubiläum veranstaltete das IOP Anfang Mai die Tagung «Menschen in Organisationen – Ein Vierteljahrhundert Managementforschung und –lehre am IOP» mit Ehemaligen und Partnern aus Wirtschaft, Politik und Verwaltung.

Universität Bern
Institut für Organisation und Personal
Engehaldenstrasse 4
3012 Bern
www.iop.unibe.ch

Zur Autorin

Lisa Fankhauser ist innerhalb des Bereichs Corporate Communication für die interne Kommunikation zuständig.

Oben