«Eigenverantwortung und Hingabe sind essenziell»
Der diesjährige Johanna Dürmüller-Bol DKF Forschungspreis der Universität Bern geht an Dr. Markus Lüdi. Er ist als Oberarzt an der Uniklinik für Anästhesiologie am Inselspital und am Departement Klinische Forschung der Uni Bern tätig. Ausgezeichnet wird Markus Lüdi für sein Forschungsprojekt gegen Hirnkrebs. Im Interview mit «uniaktuell» erzählt er, was ihn motiviert und wie ein typischer Arbeitstag bei ihm aussieht.
«uniaktuell»: Können Sie kurz erklären, worum es bei Ihrer Forschung geht?
Markus Lüdi: Hirnödeme werden weltweit standardmässig mit einem bestimmten Wirkstoff – Dexamethasom – behandelt. Um bei Operationen ein Hirnödem zu vermeiden, wird Dexamethasom auch vorbeugend eingesetzt. Diese an sich harmlose Massnahme hat nun bei Patienten mit einer besonders bösartigen Form von Gehirntumor (sogenannten Glioblastomen) schlimme Folgen: Bei ihnen führt der Wirkstoff dazu, dass sich die Krebszellen vermehren und der Tumor noch aggressiver wird. Die dafür verantwortlichen Gene lassen sich zwar durch ein Antikrebsmittel hemmen – dieses hat aber schwere Nebenwirkungen und wird schlecht vertragen. Wir sind nun daran, eine gut verträgliche Dosis dieses Antikrebsmittels zu bestimmen, welche das durch Dexamethasom hervorgerufene Tumorwachstum unterdrückt – und damit das Leben der Patientinnen und Patienten zu verbessern und auch zu verlängern.
Was ist Ihre persönliche Motivation, auf genau diesem Forschungsgebiet tätig zu sein?
Das Gehirn unterscheidet uns Menschen von Tieren. Mit dem Gehirn werden wir uns selber, definieren unsere Werte und Wahrnehmung. Mit einem gesunden Gehirn können wir reflektieren, motivieren, inspirieren und einer Vision folgen. Im Gehirn entstehen unsere Emotionen und dank ihm können wir mit Menschen und unserer Umwelt sinnvoll in Kontakt treten. Als Anästhesisten kümmern wir uns bei jeder Narkose nebst Atmung und Kreislauf um die Unversehrtheit dieses wundervollen Organs. Bei Glioblastom-Patienten, d.h. Patientinnen und Patienten mit Hirnkrebs, ist dieser wichtigste menschliche Teil des Organismus erkrankt, was zum Tod führt. Mit jedem Tag, an dem wir solchen Betroffenen einen guten neurologischen Zustand bieten können, ermöglichen wir ihnen einen weiteren Tag Menschsein. Das motiviert mich enorm. Bei jeder Narkose und an jedem Tag im Labor.
Was bedeutet Ihnen der Johanna Dürmüller-Bol DKF Forschungspreis?
Der Johanna Dürmüller-Bol DKF Forschungspreis bestätigt mich in der Überzeugung, dass Anästhesisten künftig eine aktivere Rolle in der perioperativen Betreuung – das heisst vor, während und nach einer Operation – von Patientinnen und Patienten spielen müssen. Ganz besonders wird es in Zukunft gelten, individuelle genetische Profile und Risiken zu berücksichtigen. Dabei wird die Molekularbiologie eine entscheidende Rolle spiele. Das Komitee für den Johanna Dürmüller-Bol DKF Forschungspreis 2016 anerkennt dies – ich freue mich sehr über die Auszeichnung!
Sie sind am Departement für Klinische Forschung tätig und am Inselspital in der Uniklinik für Anästhesiologie und Schmerztherapie als Ressortleiter Forschung. Zudem sind sie praktizierender Anästhesist am Inselspital und unterrichten Medizin-Studierende. Wie sieht ein typischer Arbeitstag bei Ihnen aus?
Wir beginnen unseren klinischen Alltag morgens um 07:00 Uhr und leiten die ersten Narkosen ein. An solchen Tagen bleibt in der Regel wenig Zeit für anderes. Unser Chef Prof. Frank Stüber ist selbst ein begeisterter Kliniker und Forscher und unterstützt uns, unseren Forschungsprojekten nachzugehen. An Forschungstagen stehe ich zu Instruktionszwecken im Labor, kann mich der Literatur widmen, Artikel und Unterstützungsanträge schreiben und Projektpartner treffen. Keiner meiner Arbeitstage endet an der Stempeluhr, ich mag überregulierte Arbeitszeiten nicht. Wir schulden den uns anvertrauten Patientinnen und Patienten zu jeder Zeit einen klaren und frischen Kopf. Ich bin aber zutiefst überzeugt, dass Eigenverantwortung, Begeisterung, Hingabe und grösstmögliche Freiheit von essenzieller Bedeutung für Erfolg sind. Sowohl als Kliniker wie als Forscher.
Warum haben Sie sich für die Uni Bern entschieden? Was schätzen Sie besonders in Bern?
Nach einer hervorragenden «Grundausbildung» am Kantonspital Graubünden in Chur wollte ich meine Facharztausbildung an einem noch grösseren Haus weiterführen. Ich bewarb mich 2010 am Inselspital und einer anderen Schweizer Uniklinik für die Zeit ab 2012. Die Vorstellungsrunde in Bern war sehr professionell – sofort war mir klar, dass ich mich an dieser Klinik menschlich, wissenschaftlich und anästhesiologisch werde entfalten können. Meine Wertvorstellungen schienen kongruent und ich traute meinem Bauchgefühl.
Welches sind Ihre nächsten Ziele?
Ich will ein guter Kliniker sein und bleiben, und ich will gute translationale Forschung betreiben. Das erfüllt mein Berufsleben und macht mich glücklich. Zudem möchte ich gerne an der Universität Bern habilitieren.
Und wo sehen Sie sich in zehn Jahren?
In zehn Jahren will ich wie heute ein verantwortungsvoller Mensch, guter Kliniker und anerkannter Forscher sein. Ich möchte dann die Führung einer grosser Klinik verantworten dürfen und eine kompetitive Forschungsgruppe leiten. Wo spezifisch das sein wird, ist für mich sekundär. Unser kleiner Planet ist wunderschön und es gibt auf jedem Kontinent Kliniken, welche entsprechende menschliche und institutionelle Faktoren bieten können.
Wo finden Sie Ausgleich zum Arbeitsalltag?
Ausgleich zum Arbeitsalltag hört sich für mich, wie «work-life-balance», problematisch an. Der Arbeitsalltag ist genauso Teil meines Lebens wie das Privatleben; ich sehe nicht wieso man das eine gegen das andere abgrenzt. Ich bin ein begeisterter Alpinist und verbringe sehr gerne Zeit im Gebirge und anderen wilden Umgebungen. Ich schätze das Privileg, reisen zu können und fremde Kulturen kennen zu lernen. Ganz besonders fasziniert mich Asien und asiatische Philosophie.
Das ausgezeichnete Forschungsprojekt
Glioblastome sind bösartige Hirntumore («Hirnkrebs»), die auch nach einem chirurgischen Eingriff und begleitender Radiochemotherapie immer wieder wachsen. Die Patientinnen und Patienten versterben daher durchschnittlich 15 bis 21 Monate nach der Diagnosestellung. Die aggressive Biologie von Glioblastomen beruht auf Stammzellen, welche die Tumore «nachwachsen» lassen und gegen eine Behandlung resistent machen. Die Stammzellen bilden zahlreiche abnormale Blutgefässe, was zu einem Hirnödem und damit zu neurologischen Schäden führt. Hirnödeme werden in der Onkologie und Anästhesiologie weltweit erfolgreich mit dem Wirkstoff Dexamethason bekämpft. Dieser wird auch vorbeugend bei Operationen eingesetzt, um ein Hirnödem zu verhindern. Diese vermeintlich harmlose Massnahme hat aber bei Hirnkrebspatientinnen und -patienten schwerwiegende Folgen, wie die Forschergruppe um Markus Lüdi nun herausgefunden hat: Dexamethason aktiviert Gene, welche den Tumor noch aggressiver machen und sogar direkt zur Bildung von neuen Blutgefässen beitragen – und somit die Prognose für Patientinnen und Patienten verschlechtern.
Weitere Untersuchungen von Lüdi zeigten, dass sich die dafür verantwortlichen Gene durch das Antikrebsmittel Camptothecin hemmen lassen. Camptothecin hat jedoch schwerwiegende Nebenwirkungen und wird schlecht vertragen. Auf der Basis von Daten und Analysen vermutet Lüdi nun, dass eine sehr niedrige, von Patientinnen und Patienten gut verträgliche Dosis Camptothecin die Dexamethason-geförderten Gene und damit die Bildung von neuen Blutgefässen im Tumor hemmen kann. In Experimenten soll eine optimale, gut verträgliche Dosis Camptothecin ermittelt werden, um die von Dexamethason hervorgerufenen unerwünschten Nebenwirkungen zu mindern und damit das Leben von Glioblastompatientinnen und -patienten zu verbessern und allenfalls zu verlängern. «Überlebensanalysen in unseren vorläufigen Daten sagen eine 22prozentige Verlängerung der mittleren Überlebenszeit voraus, wenn durch Dexamethsaon aktivierte Gene gezielt mit Camptothecin gehemmt würden», sagt Lüdi.
Zur Person
Markus Lüdi wurde 1981 im Engadin geboren. Er studierte in Zürich und Oxford Medizin und schloss im Jahre 2007 sein Studium ab. 2008 erhielt er für seine grundlagenwissenschaftliche Arbeit «EGL-9 dependent, HIF independent gene regulation in C. elegans» den Doktortitel in Humanmedizin der Universität Zürich. Seine Facharztausbildung in Anästhesiologie erlangte Markus Lüdi am Kantonsspital Graubünden in Chur und am Berner Inselspital, unterbrochen 2009 von einem halben Jahr als Gastarzt in Boston und New York und 2010 von einem Jahr als vollzeitlicher Notarzt auf den Gebirgsbasen der Schweizerischen Rettungsflugwacht Rega. In dieser Zeit absolvierte er einen berufsbegleitenden MBA an der Universität St. Gallen. Nach Abschluss der Facharztausbildung verbrachte er ab 2014 ein zweijähriges Postdoc Fellowship in Molekularbiologie am MD Anderson Cancer Center in Houston TX. Seit Juli 2016 arbeitet er wieder an der Universitätsklink für Anästhesiologie am Berner Inselspital. Nebst seiner klinischen Tätigkeit leitet Markus Lüdi das Ressort Forschung der Universitätsklink für Anästhesiologie. Seine Forschung im anästhesiologischen Labor am Departement Klinische Forschung fokussiert auf genetische Faktoren in der perioperativen Medizin, zum Beispiel auf den Einfluss spezifischer anästhesiologischer Pharmaka auf genetische Varianten von Tumoren.
Kontakt:
Dr. med. Lüdi Markus
Universität Bern
Departement Klinische Forschung
Murtenstrasse 35
3008 Bern
markus.luedi@dkf.unibe.ch
Telefon +41 31 632 08 26
Das Departement Klinische Forschung DKF
Das Departement Klinische Forschung DKF der Universität Bern hat – als Institut der Medizinischen Fakultät – den Auftrag, Forschenden des Inselspitals (Universitätsspital Bern, www.insel.ch) eine optimale Infrastruktur zur Verfügung zu stellen. Ziel ist es, Brücken zu schlagen zwischen laborbasierter und patientenorientierter klinischer Forschung.
Der Tag der klinischen Forschung
Das DKF veranstaltet seit 1996 einen «Tag der Klinischen Forschung». Der diesjährige Anlass fand am 2. November statt und bietet den Forschenden jeweils die Möglichkeit, eigene Arbeiten in Form eines Posters auszustellen und Einblick in andere Projekte zu gewinnen. Der Anlass ist öffentlich und soll einem breiten Publikum Einblick in die Forschungstätigkeiten im klinischen Bereich der Universität Bern geben. Gleichzeitig stellt der «Tag der Klinischen Forschung» auch eine gute Gelegenheit für Begegnungen und Austausch dar.
Am «Tag der Klinischen Forschung» werden neben dem Johanna Dürmüller-Bol DKF Forschungspreis 2016 weitere Preise verliehen.
Die Fondation Johanna Dürmüller-Bol stiftet den DKF Forschungspreis
Der DKF Forschungspreis wird seit 2010 von der Fondation Johanna Dürmüller-Bol gestiftet und ist mit CHF 30'000 dotiert. Ausgezeichnet werden Nachwuchswissenschaftlerinnen und -wissenschaftler in der klinischen Forschung an der Medizinischen Fakultät der Universität Bern für herausragende Projekte.
Die Fondation Johanna Dürmüller-Bol fördert gemeinnützige und staatliche Organisationen, Institutionen und Projekte in den Bereichen Kultur und Musik, Medizin und Pflege sowie Wissenschaft und Forschung mit Bezug zum Kanton Bern. Neben dem Forschungspreis profitieren von der im Jahr 2000 gegründete Stiftung zahlreiche Forschende und Bereiche der Universität Bern.
Zur Autorin
Brigit Bucher arbeitet als Stv. Leiterin Corporate Communication an der Universität Bern und ist Redaktorin bei «uniaktuell».