Klimadaten als Beweismaterial

Wie wird der Einfluss des Menschen aufs Klima nachgewiesen und welche ethischen und rechtlichen Folgen bringt dies mit sich? Hochkarätige Referentinnen und Referenten thematisieren diese Fragen am diesjährigen Hans Sigrist Symposium des Oeschger-Zentrums für Klimaforschung und der Hans-Sigrist-Stiftung am 2. Dezember an der Uni Bern.

Von Kaspar Meuli 23. November 2016

Der Fall eines peruanischen Bauern, der am 24. November vor dem Landgericht in Essen verhandelt wird, dürfte Justizgeschichte schreiben. Saul Luciano Lliuya verklagt den deutschen Stromriesen RWE wegen der CO2-Emissionen, die das Unternehmen durch seine Kohlekraftwerke verursacht. Über der Stadt Huaraz in den Anden schmilzt ein Gletscher, dessen Schmelzwasser unter anderem das Haus von Lliuya gefährdet, und daran sei RWE mitschuldig. Nun fordert der Bauer, dass der Konzern die Schutzmassnahmen bezahlt, die er gegen die Folgen des Klimawandels getroffen hat. Kostenpunkt: Umgerechnet 6'500 Franken.

Saúl Luciano Lliuya (Quelle: Germanwatch e.V.)
Saúl Luciano Lliuya (Quelle: Germanwatch e.V.)
Gletschersee Palcacocha in den peruanischen Anden (Quelle: Germanwatch e.V.)
Gletschersee Palcacocha in den peruanischen Anden (Quelle: Germanwatch e.V.)

Dass Saul Luciano Lliuya in Deutschland vor Gericht zieht und dass seine Klage überhaupt angenommen wurde, ist das Verdienst seiner Anwältin, Roda Verheyen. Bislang wurden solche Klagen stets abgewiesen, da es schwierig ist, einem Unternehmen eine konkrete Schuld nachzuweisen.

Roda Verheyen. Bild: zvg
Roda Verheyen. Bild: zvg

Roda Verheyen ist Juristin in Hamburg mit Spezialgebiet Umwelt- und Völkerrecht, sie hat das internationale Netzwerk für Klimarecht Climate Justice Programme mitbegründet, und sie zählt zum halben Dutzend prominenter Rednerinnen und Rednern am Hans Sigrist Symposium 2016, das am 2. Dezember an der UniS stattfindet. In ihrem Vortrag wird Roda Verheyen die brandaktuelle Fallstudie Lliuya vs. RWE vorstellen.

Der menschliche Einfluss aufs Klima ist klar

Die vom Oeschger-Zentrum für Klimaforschung organisierte Veranstaltung trägt den Titel «The Human Fingerprint on the Earth System» und schlägt einen breiten Bogen von der Grundlagenforschung bis zum konkreten Stellenwert dieser Resultate – nicht zuletzt für Klimaklagen. «Im letzten Bericht des Weltklimarats IPCC steht, der menschliche Einfluss aufs Klima sei klar. Wir wollen zeigen, welche wissenschaftlichen Grundlagen so eine unzweideutige Aussage überhaupt möglich machen», sagt Martin Grosjean, der Direktor des Oeschger-Zentrums, «und wir wollen diskutieren, welche ethischen, gesellschaftlichen und rechtlichen Folgen sich daraus ergeben.» 

Die Rolle des Menschen beim aktuellen Klimawandel betont die Forschung spätestens seit der Publikation einer Grafik 1999, welche die rapide Zunahme des Treibhausgases CO2 seit den 1950er Jahren aufzeigt. Wegen ihrer steil aufsteigenden Form wurde sie als Hockeyschläger-Diagramm berühmt. 
 

Das sogenannte Hockeyschläger-Diagramm
Das sogenannte Hockeyschläger-Diagramm Dieses Bild wurde von Robert A. Rohde vorbereitet mit Hilfe öffentlich zugänglicher Daten und ist in das Projekt Global Warming Art eingebaut / Quelle: https://commons.wikimedia.org/w/index.php?curid=1169988

Einer der Autoren der Studie, die der Grafik zu Grunde liegt, ist Raymond Bradley vom Climate System Research Center der University of Massachusetts. Er hält am Hans Sigrist Symposium das Eröffnungsreferat. Titel: «Climate Variations and Forcing since Early Medieval Time, and our Return to the Dark Ages». Bradley gehört zu den bekannten amerikanischen Klimaforschern, die in den vergangenen Jahren grossem politischem Druck ausgesetzt waren und gar mit dem Tod bedroht wurden.

Erkennung und Zuordnung von Klimawandel

In welchem Umfang der Mensch für den Klimawandel verantwortlich ist, liess sich bis vor rund 15 Jahren nicht genau sagen, denn das Klima verändert sich auch natürlicher Treiber wegen. Dazu zählen unter anderem die Sonnenaktivität und Vulkanausbrüche. Eine der Pionierinnen beim zuordnen und gewichten der verschiedenen Klimafaktoren ist Gabriele Hegerl von der University of Edinburgh. Sie spricht in Bern über die Quantifizierung des menschlichen Einflusses auf das Klimasystem. Auch Erich Fischer von der ETH Zürich, ein weiterer Referent, forscht in diesem Bereich. «Drei Viertel der beobachteten globalen Erwärmung seit 1950», sagt er, «sind menschgemacht.» Fischer ist Mitautor einer Studie, die aufzeigt, dass schon heute drei Viertel aller Hitzeextreme und knapp ein Fünftel aller Niederschlagsextreme auf die globale Erwärmung zurückzuführen sind – und damit zu einem überwiegenden Teil auf den Menschen.

Juristisches Neuland Klimaklage

Die Berichte des Weltklimarats dienen nicht nur als wissenschaftliche Grundlage für die Klimapolitik, sie werden neuerdings auch zur Beweisführung bei Klimaklagen vor Gericht herbeigezogen. Zum Beispiel bei einem Verfahren vor dem Zivilgericht in Den Haag, bei dem der niederländische Staat 2015 verpflichtet wurde, den Ausstoss von Treibhausgasen stärker zu senken als politisch beschlossen. Angestrebt hatten die Klage die Stiftung Urgenda und rund 900 Einzelkläger. In Belgien und Norwegen gibt es ähnliche Pläne, und auch in der Schweiz soll vor Gericht ein stärkerer Klimaschutz erstritten werden. Klagen will eine Gruppe von Frauen im AHV-Alter, die argumentieren, sie seien besonders stark von den zu erwartenden Hitzewellen als Folge des Klimawandels betroffen. Mit der Klage beschreitet der Verein Klimaseniorinnen in der Schweiz juristisches Neuland. 
 

Hans Sigrist Symposium 2016

Das Symposium «The Human Fingerprint on the Earth System» wird von der Hans Sigrist Stiftung unterstützt, die sich der Wissenschaftsförderung verschrieben hat und seit 1994 jährlich einen mit 100'000 Franken dotierten Forschungspreis vergibt. Der Anlass am 2. Dezember in der UniS ist öffentlich und gratis, eine Anmeldung ist erwünscht.

Mehr Informationen zur Hans-Sigrist-Stiftung

Zur Anmeldung für das Symposium

DAS OESCHGER-ZENTRUM FÜR KLIMAFORSCHUNG (OCCR)

Das Oeschger-Zentrum ist das Kompetenzzentrum der Universität Bern für Klimaforschung. Es wurde im Sommer 2007 gegründet und trägt den Namen von Hans Oeschger (1927-1998), einem Pionier der modernen Klimaforschung, der in Bern tätig war. Das Oeschger-Zentrum bringt Forscherinnen und Forscher aus neun Instituten und vier Fakultäten zusammen und forscht disziplinär und interdisziplinär an vorderster Front. Erst die Zusammenarbeit von Natur-, Human-, Sozial-, Wirtschafts- und Rechtswissenschaften kann Wege aufzeigen, wie sich dem globalen Klimawandel auf unterschiedlichsten Ebenen begegnen lässt: regional verankert und global vernetzt.

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Zum Autor

Kaspar Meuli ist Journalist und PR-Berater. Er ist verantwortlich für die Kommunikation des Oeschger-Zentrums für Klimaforschung.

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