Und Gott würfelt doch...

An den Einstein Lectures 2016 begeistert der österreichische Mathematiker Martin Hairer mit einem spannenden Einblick in die Welt der Wahrscheinlichkeit und der zufälligen Prozesse.

Von Christiane Tretter 30. November 2016

Der österreichische und in Genf aufgewachsene Mathematiker Martin Hairer wurde 2014 für seine Arbeiten über stochastische Differentialgleichungen mit der Fields Medaille – oft auch als Nobelpreis für Mathematik bezeichnet – ausgezeichnet und forscht als Regius Professor of Mathematics an der University of Warwick in Grossbritannien. Bei der ersten der drei Einstein Lectures am Dienstagabend in Bern zeigte sich ein Talent, das Martin Hairer sowohl als Wissenschaftler wie als Sprecher auszeichnet: ganze Klassen von komplexen Prozessen durch einfachere Modelle zu erfassen. Ob Gauss-Verteilung, Fourier-Reihen und ihre Bedeutung für die Kompression von Musik in MP3-Format oder aktuelle mathematische Forschung zum Ising Modell in der statistischen Physik, auf das Wesentlichste reduziert und grafisch perfekt dargestellt, brachte er sie dem bunt gemischten Publikum nahe.

Die Einstein Lectures zogen am Dienstagabend ein grosses und gemischtes Publikum an. ©Universität Bern, Annette Boutellier
Die Einstein Lectures zogen am Dienstagabend ein grosses und gemischtes Publikum an. © Universität Bern, Foto: Annette Boutellier

Kohlenstaub, Pollen und Atome

Die Einstein Lectures 2016 begannen in der mehr als voll besetzten Aula der Universität Bern mit einem spannenden Panorama über den Begriff der Wahrscheinlichkeit und zufälliger Prozesse. Martin Hairer spannte den Bogen zunächst von den Beobachtungen der unregelmässigen, zufälligen Bewegung von Kohlenstaub in Alkohol des Mediziners Jan Ingenhousz im Jahr 1784 und von Pollen in Wasser des Botanikers Robert Brown im Jahr 1827 bis zur mathematisch rigorosen Beschreibung dieser sogenannten «Brownschen Bewegung» durch Norbert Wiener im Jahr 1923. Die theoretische Erklärung der Brownschen Bewegung durch Albert Einstein 1905 in Bern – und unabhängig davon durch Marian von Smoluchowski 1906 in Wien – sowie der experimentelle Nachweis durch Jean-Baptiste Perrin 1907 waren die wesentlichen Schritte zur Bestätigung der Atomhypothese, die die Existenz von Atomen und Molekülen postulierte: Diese Kleinstteilchen, die sich unablässig bewegen, sind es, die den Kohlenstaub im Alkohol umherwirbeln.

Die Berner Mathematik-Professorin Christiane Tretter führt den Einstein Lecturer Martin Hairer ein. ©Universität Bern, Annette Boutellier
Die Berner Mathematik-Professorin Christiane Tretter führt den Einstein Lecturer Martin Hairer ein. © Universität Bern, Foto: Annette Boutellier
Martin Hairer reduziert komplexe Prozesse auf einfache mathematische Modelle. ©Universität Bern, Annette Boutellier
Martin Hairer reduziert komplexe Prozesse auf einfache mathematische Modelle. © Universität Bern, Foto: Annette Boutellier

Einstein und der Zufall

Das Verhältnis Einsteins zur wahrscheinlichkeitstheoretischen Interpretation der Quantenmechanik ist legendär, wenngleich sein bekanntes Zitat von 1926 meist nicht ganz korrekt als «Gott würfelt nicht» wiedergegeben wird und, aus dem Zusammenhang gerissen, als Skepsis dem Zufall gegenüber missverstanden werden könnte. Dass dies keineswegs der Fall war, zeigt Einsteins Arbeit über die Zufallsbewegungen in der Thermodynamik aus seinem annus mirabilis 1905 in Bern, wie Hairer ausführte.

Der Fall Sally Clark und Noise Cancelling Headphones

En passant streute Martin Hairer interessante Details ein. So etwa über die ungerechtfertigte Verurteilung von Sally Clark in England 1999 für zwei Kindsmorde auf Grund einer falschen Anwendung statistischer Methoden, nachdem sie zwei Babies durch plötzlichen Kindstod verloren hatte. Weiter erwähnte er Norbert Wieners PhD-Studenten Amar Bose, dessen Doktorarbeit zu einer der Grundlagen der von ihm gegründeten Firma gleichen Namens mit ihren weltbekannten Noise Cancelling Headphones wurde – denn Rauschen ist ein statistischer Zufallsprozess. Ob Martin Hairers Soundbearbeitungsprogramm «Amadeus», das er schon als Schüler entwickelte und mit dem er einen Schweizer Jugend Forscht Preis holte, ein ähnlicher Erfolg bevorsteht? Immerhin wird es bereits jetzt als «Swiss Army Knife of Sound Editing» bezeichnet.

Beim Münzenwerfen spielt der Zufall die Hauptrolle. ©Universität Bern, Annette Boutellier
Beim Münzenwerfen spielt der Zufall die Hauptrolle. © Universität Bern, Foto: Annette Boutellier

Der Vortrag am Mittwoch, 30. November um 17.15 Uhr widmet sich dem Thema «Random Loops», das bereits am Dienstag mehrmals anklang. Im allgemeinen Vortrag am Donnerstag, 1. Dezember um 19.30 Uhr wird Martin Hairer unter dem Titel «Taming  Infinities» zeigen, wie widerspenstige unendliche Terme in Gleichungen gezähmt werden können – wir können uns auf weitere spannende Abende in der Aula der Universität Bern freuen!

In der anschliessenden Fragerunde und Diskussion kamen auch Schüler zu Wort. © Universität Bern, Foto: Annette Boutellier

Zur Person

Martin Hairer ist Regius Professor an der University of Warwick, UK, und Fellow of the Royal Society. Für seine Arbeiten über sogenannte «Regularitätsstrukturen» für stochastische Differentialgleichungen wurde er 2014 mit der Fields-Medaille ausgezeichnet, die zusammen mit dem Abelpreis auch als «Nobelpreis der Mathematik» bezeichnet wird. Aufgewachsen ist der 41-Jährige Mathematiker als Österreicher in Genf. Bereits als Schüler entwickelte Hairer Software zur Audio-Bearbeitung («The Swiss Army Knife of Sound Editing»), was ihm 1995 den Schweizer Jugend-Forschungspreis einbrachte.

Zur Webseite von Martin Hairer

EINSTEIN LECTURES 2016

Im Andenken an das Werk von Albert Einstein widmen sich die jährlich stattfindenden Einstein Lectures der Universität Bern und der Albert-Einstein-Gesellschaft abwechselnd Themen aus der Physik und Astronomie, der Mathematik und der Philosophie. Für die aktuelle Vorlesungsreihe wurde der österreichische Mathematiker Martin Hairer eingeladen.

Weitere Vorträge:

«Random Loops»

Mittwoch, 30. November 2016, 17.15 Uhr

«Taming  Infinities»

Donnerstag, 1. November 2016, 19.30 Uhr

Hauptgebäude der Universität Bern, Aula, Hochschulstrasse 4, Bern. Die Vorträge sind öffentlich und kostenlos. Vortragssprache ist Englisch.

Weiterführende Links:

Einstein Lectures

Albert-Einstein-Gesellschaft

Mathematisches Institut

Zur Autorin

Christiane Tretter ist Direktorin des Mathematischen Instituts der Universität Bern und Mitorganisatorin der Einstein Lectures.

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