United We Stand? Amerika im Zeichen von Gemeinschaft

Wie wird in Amerika im Spannungsfeld zwischen Politik und Populärkultur Gemeinschaft erlebt und – sei es in Literatur, Fernsehen oder Film – dargestellt? Eine internationale Tagung an der Uni Bern verdeutlichte kurz vor den US-amerikanischen Präsidentschaftswahlen die Notwendigkeit, über Gemeinschaft nachzudenken.

Von Julia Straub 08. November 2016

Selten sind Politik und Populärkultur so eng miteinander verbunden gewesen wie im US-amerikanischen Präsidentschaftswahlkampf dieses Jahres, der in der Nacht auf Mittwoch enden wird. Beide Kandidaten ringen um Wählergruppen und nutzen hierbei unterschiedliche Medien und Kanäle – vom fast schon altherkömmlich anmutenden Fernsehduell, zu Talkshowauftritten und Social Media Kampagnen. 

Mehr als 30 Vortragende untersuchten Gemeinschaftskonzepte in der Theorie sowie anhand von konkreten Beispielen. Im Bild: Dr. Dustin Breitenwischer von der Albert-Ludwigs-Universität Freiburg. Bild: zvg
Mehr als 30 Vortragende untersuchten Gemeinschaftskonzepte in der Theorie sowie anhand von konkreten Beispielen. Im Bild: Dr. Dustin Breitenwischer von der Albert-Ludwigs-Universität Freiburg. Bild: zvg

E pluribus unum – der amerikanische Schmelztiegel

Die Wahlkampfteams um Hillary Clinton und Donald Trump umwerben das amerikanische Volk analog und digital, die Fans halten Schilder in die Kameras und basteln sogenannte Meme, die im Internet zirkulieren. Doch nicht nur sind die medialen Mittel der Politikinszenierungen zahlreich, auch die Wählerschaft, die in diesem Wahlkampf erreicht werden muss, scheint diverser und bunter als bislang. Sie umfasst eine Vielfalt an ethnischen, religiösen, kulturellen oder durch sexuelle Identitätsfragen definierte Gemeinschaften, oder «communities». Diese prägen das US-amerikanische Gesellschaftsbild jedoch seit jeher. «E pluribus unum», wörtlich übersetzt «aus vielem das eine», ist ein bedeutendes Motto der US-amerikanischen Gründerzeit. Was als Anspielung auf die Herausforderungen an eine junge Nation zu verstehen war, die sich gegen Ende des 18. Jahrhunderts aus einem kolonialen Kontext emanzipierte, lässt sich bis heute als roter Faden an unzähligen Beispiele aus der Literatur- und Kulturgeschichte nachverfolgen.

Die momentan sehr beliebten TV-Serien waren ein wichtiges Thema an dieser Tagung. Im Bild: Lisann Anders von der Universität Zürich. Bild: zvg
Die momentan sehr beliebten TV-Serien waren ein wichtiges Thema an dieser Tagung. Im Bild: Lisann Anders von der Universität Zürich. Bild: zvg

Gemeinschaft erlebt, gedacht, dargestellt und nutzbar gemacht

Um genau diese ging es im Rahmen der zweijährlich stattfindenden Tagung der «Swiss Association for North American Studies» (SANAS), die vergangenes Wochenende vom Institut für englische Sprachen und Literaturen organisiert wurde, gefördert von der Schweizerischen Akademie der Geistes- und Sozialwissenschaften (SAGW) sowie der Mittelbauvereinigung der Universität Bern (MVUB). Der Titel der Tagung, American Communities: Between the Popular and Political, brachte die Kernanliegen zum Tragen: wie wird in Nordamerika, im Spannungsfeld von Politik und Populärkultur, Gemeinschaft mit dazugehörigen Prozessen wie Ausschluss, Exil, Marginalisierung, Verteidigung und Widerstand, erlebt und, sei es in Literatur, Fernsehen oder Film, dargestellt? Wie wird «Gemeinschaft» kulturphilosophisch gedacht und nutzbar gemacht für ein besseres Verständnis gegenwärtiger politischer und gesellschaftlicher Entwicklungen? Die mehr als 30 Vortragenden aus der Schweiz, Deutschland, Grossbritannien, Frankreich, Polen, Kanada und den Vereinigten Staaten lieferten eine Vielzahl an Antworten auf solche und ähnliche Fragen. 

Auch Fragen kultureller Aneignung und Identitätsstiftung wurden behandelt und lebhaft diskutiert. Bild: zvg
Auch Fragen kultureller Aneignung und Identitätsstiftung wurden behandelt und lebhaft diskutiert. Bild: zvg

Von «Gated Communities» zu Homeland

Das Genre des Western als Spiegel sich wandelnder Gemeinschaftskonzepte war hierbei genauso ein Thema wie die zunehmende Bedeutung von «gated communities» als Abschottungsform der Generation «55+», die Gentrifizierung von Stadtteilen New Yorks oder ökologisch eingefärbter Regionalismus in Kalifornien. Populäre Fernsehserien wie Homeland zeigen auf, wie publikumswirksam die Angst vor einer Bedrohung der Gemeinschaft (in diesem Fall durch Terrorismus) zu einem Narrativ ausgebaut werden kann. Mehrere Vorträge befassten sich mit Kanada, und z.B. der Frage wie digitale Medien es indigenen Bevölkerungsgruppen erlauben, ihre eigenen Erzählweisen und Geschichten besser zur Geltung zu bringen. Ein zusammen mit der Schweizerischen Philosophischen Gesellschaft (SPG) durchgeführtes Panel, bestehend aus Dr. Christian Budnick und Dr. Jörg Löschke, beide von der Universität Bern, lieferte zudem wichtige Impulse zu ethischen Gesichtspunkten, die Gemeinschaft mitbestimmen, wie zum Beispiel der Begriff des «Vertrauens». Den grösseren Rahmen der Tagung eröffneten die beiden Plenumsvorträge von Miranda Joseph, Professorin für Gender & Women’s Studies an der University of Arizona, und Frank Kelleter, Einstein Professor für amerikanische Kulturgeschichte und Lehrstuhlinhaber für Kulturwissenschaft am John F. Kennedy Institut der Freien Universität Berlin. Miranda Joseph, die sich in ihrer viel beachteten, aber auch vielsagend betitelten Studie Against the Romance of Community (2002) kritisch gegenüber konventionellen Vorstellungen von Gemeinschaft zeigte, referierte zu alternativen Gemeinschaftskonzepten. Frank Kelleter thematisierte in seinem Vortrag die Rückkopplung zwischen seriellen Produktionsformen, die die Populärkultur seit dem 19. Jahrhundert prägen, und einem vom Kapitalismus propagierten Konsumverhalten. Aus den Begegnungen zwischen Nachwuchswissenschaftlern/-innen und etablierten Experten/-innen ihres Gebiets ergaben sich, nicht zuletzt in gespannter Erwartung des Wahlausgangs am 8. November, zahlreiche Diskussionspunkte.

Zur Autorin

Julia Straub ist Oberassistentin im Bereich Literatures in English/North American Literature and Culture am Institut für englische Sprachen und Literaturen an der Uni Bern. Sie hat an den Universitäten Konstanz und York studiert, und an den Universitäten Göttingen und Oxford geforscht. 2013 hat sie sich an der Uni Bern mit einer Arbeit zum kulturellen Gedächtnis im frühen Amerika habilitiert. Das von ihr herausgegebene Handbook of Transatlantic North American Studies erschien 2016 bei DeGruyter.

 

 

Kontakt:

PD Dr. Julia Straub
Universität Bern
Institut für Englische Sprachen und Literaturen
Telefon direkt: +41 31 631 83 61
Telefon Institution: +41 31 631 82 45
Email: julia.straub@ens.unibe.ch

Das Institut für Englische Sprachen und Literaturen

Das Institut für englische Sprachen und Literaturen widmet sich, in Forschung und Lehre, den Bereichen Moderne und Historische Sprachwissenschaft, Mediävistik, Moderne Englische Literatur- und Kulturwissenschaft, Nordamerikanistik, Postkoloniale Literatur-und Kulturwissenschaft, Literaturtheorie und Sprache und Kommunikation. 

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