Welche Medien braucht die direkte Demokratie?

Zum Auftakt der Veranstaltungsreihe «Medien im Umbruch. Direkte Demokratie in Gefahr?» des Forum für Universität und Gesellschaft sprach alt Bundesrat Moritz Leuenberger über Schweizer Wutbürger, Social Media und die Revitalisierung der Demokratie.

Von Ivo Schmucki 24. Oktober 2016

Welche Leistung müssen die Medien in der Schweiz erbringen, damit das Volk sich über das politische Geschehen informieren und so den Fortbestand der direkten Demokratie sichern kann? In dieser kurzen Frage liesse sich die Einführung vom Projektleiter der Veranstaltungsreihe und Berner alt Ständerat Hans Lauri zusammenfassen. Der ehemalige UVEK-Vorsteher Moritz Leuenberger zeigte in seinem anschliessenden Referat aber auf, dass die kurze Frage durchaus vielschichtig und daher auch eine Antwort nicht leicht zu finden ist. Obwohl mit dem Titel seines Referats «Medien machen Meinungen machen Staat» ja eigentlich schon alles gesagt sei, liess er es sich nicht nehmen, in einem vollen Saal die aktuelle Situation der Schweizer Medienlandschaft aus seiner Sicht zu schildern.

Alt Bundesrat Moritz Leuenberger. Alle Bilder: Forum für Universität und Gesellschaft, Claudia Baumberger
Alt Bundesrat Moritz Leuenberger. Alle Bilder: Forum für Universität und Gesellschaft, Claudia Baumberger

Wutbürger verdrängen Stimmbürger

«Mit dem Internet und Social Media potenziert sich die gegenseitige Durchdringung der politischen Kulturen» – so umschreibt Moritz Leuenberger eine Entwicklung, die dem Schweizer Politjournalismus in den letzten Jahren einen neuen Ton verliehen habe. Weil die Globalisierung auch vor der vierten Gewalt nicht Halt mache, haben sich laut Moritz Leuenberger in der Berichterstattung Begriffe eingeschlichen, die von repräsentativen Demokratien inspiriert und für das politische System der Schweiz eigentlich ungewöhnlich seien. «So werden beispielsweise alle Mitglieder unseres Bundesrates heute als Minister bezeichnet, obwohl sie in Wirklichkeit Teil eines Kollegiums sind und nicht durch den Premierminister entlassen werden können.»

Auch die Zivilgesellschaft ist gemäss Leuenberger ein Begriff, der nicht unserer politischen Kultur entsprungen sei. Hier verändere sich mit der Verwendung eines neuen Begriffs aber auch das Verständnis der Leserinnen und Leser über den politischen Prozess. Wo vorher noch Stimmbürgerinnen und Stimmbürger das politische Geschehen gelenkt hätten, gäbe es nun einen Graben zwischen der Zivilgesellschaft und der herrschenden Classe Politique. «Die Wutbürger verdrängen auch bei uns zunehmend die Stimmbürger», wie es Moritz Leuenberger formuliert. Die Volksinitiativen verkommen nach seinen Aussagen zu plebiszitären Spielzeugen, deren Folgen die Stimmbürgerinnen und Stimmbürger nicht mehr bereit zu tragen seien.

Vor und nach dem Referat unterhielt sich Moritz Leuenberger angeregt mit dem Publikum.
Vor und nach dem Referat unterhielt sich Moritz Leuenberger angeregt mit dem Publikum.

Wettbewerbsdruck und Medienwandel

In einem weiteren Schritt geht Leuenberger auf die jüngsten medialen Veränderungen in der Schweiz ein. Die Medien seien seit geraumer Zeit einem wachsenden Wettbewerbsdruck ausgesetzt und versuchten diesem mit Diversifikation zu begegnen. Die Schweizer Medienhäuser beschränken laut Leuenberger ihr Geschäft nicht mehr ausschliesslich auf den Journalismus: «Tamedia hat Ricardo und Homegate, die NZZ handelt mit Tragtaschen.» Mit zunehmenden Wettbewerb schwinde auch die Vielfalt. Viele ehemals eigenständige Blätter gingen ein oder würden übernommen – die zwei angesprochenen Medienhäuser und Ringier «kontrollieren mehr als 80 Prozent des Marktes in der Deutschschweiz.»

Dies habe auch qualitative Folgen für den Journalismus: «Durch die schwindenden Ressourcen nehmen die Möglichkeiten der Medien ab, kritisch und umfassend über das politische Geschehen zu berichten.» Es wird laut Leuenberger vermehrt auf leicht verdauliche Soft News gesetzt, die häufig angeklickt würden und somit auch mehr Werbeeinnahmen generierten. Die Vermittlung von Hintergründen, die für die Demokratie so zentral wären, werde vernachlässigt.

Auch das Konsumverhalten ändert sich

Die Nutzung von Gratiszeitungen und Onlinemedien nimmt ständig zu. «News-Apps sind unter jungen Schweizerinnen und Schweizern mit 52 Prozent Nutzung gleichauf mit Fernsehen und Radio», veranschaulicht dies Moritz Leuenberger. Es würden vermehrt Videos angeschaut statt Texte gelesen, politische Information werde auf neuen Wegen gefunden. Wie Leuenberger weiter ausführt, ändert sich durch das neue Nutzungsverhalten aber auch die Erwartungshaltung. Das Internet fördere die Gratismentalität: «Weil im Internet alles gratis ist, wird der Eindruck vermittelt, dass auch Nachrichten gratis verfügbar sein müssen. Paywalls haben keinerlei Chancen.»

Zweckoptimismus oder Kulturpessimismus?

Moritz Leuenberger hält fest, dass die durch Medien vermittelten politischen Informationen essenziell für eine Demokratie sind: «Ohne den Beitrag der Medien geht der demokratische Diskurs und damit auch die Selbstverantwortung der Staatsbürgerinnen und Staatsbürger verloren.» Bei der Entscheidung, welche Informationen den Staatsbürgerinnen und -bürgern zur politischen Meinungsbildung angeboten werden, dürften ökonomische Werte nicht im Vordergrund stehen. Doch er betont auch, dass die Klage über den Wandel der Medien nicht erst seit dem Internetzeitalter besteht und die aktuellen Veränderungen auch positive Folgen haben können: «Seit seinen Anfängen wird dem Internet zugetraut, dass es zu mehr Partizipation und zu einer Revitalisierung der Demokratie führt.»

In der Fragerunde im Anschluss an das Referat des alt Bundesrats wurden seine Ausführungen unterschiedlich eingeordnet. Es gab Stimmen, die «frappiert über den Pessimismus» waren, andere sehen die Entwicklungen «dramatischer». Dies deutet darauf hin, dass auch in den kommenden Veranstaltungen zum Thema «Medien im Umbruch. Direkte Demokratie in Gefahr?» für Diskussionsstoff gesorgt sein könnte.

Moritz Leuenberger und Projektleiter Hans Lauri.
Moritz Leuenberger und Projektleiter Hans Lauri.

Das Forum für Universität und Gesellschaft

Das Forum für Universität und Gesellschaft ist ein Netzwerk von Vertreterinnen und Vertretern aus Wissenschaft und Praxis. Seine Mitglieder aus verschiedenen Fachbereichen der Universität sowie aus Politik, Wirtschaft und Kultur spiegeln die Brückenfunktion zwischen Universität und Gesellschaft. Das Forum verknüpft Kompetenzen, indem es das aktuelle Wissen in Veranstaltungen zusammenträgt, klärt und bewertet. In bereichsübergreifenden Diskussionen und Publikationen werden die Themen kommentiert und vertieft mit dem Ziel, Expertenwissen für die Öffentlichkeit fruchtbar zu machen.

Zum Autor

Ivo Schmucki ist Hochschulpraktikant Corporate Communication an der Universität Bern.

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