«Die Universität Bern hat mir viel gegeben»
Als Forschungsdirektor der NASA ist der Berner Thomas Zurbuchen einer der weltweit einflussreichsten Wissenschaftler. Am Freitag, 27. Januar, besuchte er die Universität Bern, wo er studiert und seinen Doktortitel in Physik erlangt hatte. In einem öffentlichen Vortrag erzählte er von seiner Arbeit.
«Es ist toll, auf ein Instrument zu treffen, über das wir viele Jahre gesprochen haben», sagt Thomas Zurbuchen, als er vor der Testanlage im MEFISTO-Labor an der Universität Bern steht. In der Messkammer wird zurzeit ein US-amerikanisches Instrument geeicht, an dessen Entwicklung der Physiker selbst beteiligt war. Es wird dereinst an Bord eines europäischen Satelliten, dem SolarOrbiter der ESA, die schweren, geladenen Teilchen im Sonnenwind untersuchen. Das Labor an der Universität Bern sei auf dem Gebiet dieser Kalibration das weltweit beste, erklärt Zurbuchen. Denn Fachleute sorgen für den ständigen, sorgfältigen Unterhalt der Infrastruktur. «Das sind Ingenieure, die wissen wie’s geht», meint der NASA-Wissenschaftschef anerkennend.
Zehn Jahre studierte und arbeitete Zurbuchen im Gebäude für Exakte Wissenschaften. Herzlich begrüsst er die ehemaligen Professoren und Kollegen im Pausenraum, der noch gleich aussieht wie damals. «Nur die Kaffeemaschine ist neu», bemerkt der prominente Gast, der über ein kürzlich durchgeführtes Ballon-Experiment der NASA in der Antarktis berichtet, aber auch verrät, wie er sich in Washington trotz der grossen Arbeitslast und der vielen Sitzungen fit hält: Mit regelmässigem Training im Kraftraum und Jogging. «Ich habe den Körper eines Bauern und muss mich bewegen», sagt der Forschungsmanager, der über ein Jahresbudget von fünf Milliarden Dollar verfügt und Forschungsgelder an 10'000 Wissenschaftler und Wissenschaftlerinnen verteilt.
Lob fürs Schweizer Schulsystem
Aufgewachsen in Heiligenschwendi im Berner Oberland war Zurbuchen der erste in seiner Familie, der ein Studium in Angriff nahm. Dass ein Kind aus einem Bergdorf mit Interesse an Wissenschaft in Physik doktorieren und eine so erfolgreiche Karriere machen konnte, schreibt der höchste NASA-Wissenschaftler dem guten Schulsystem zu. «Darauf sollte die Schweiz stolz sein», sagt er: «Und auch die Universität Bern hat mir viel gegeben.» Er lobt die lehrreichen Vorlesungen, schätzte aber zudem, dass er an Sommerschulen anderswohin geschickt wurde und bereits als Diplomand über ein Budget von 50'000 Franken für Messinstrumente verfügen konnte.
Zurbuchen war für alles bestens gerüstet, als er vor 20 Jahren in die USA reiste, um an der Universität Michigan eine Stelle als Postdoc anzutreten. Dort forschte und unterrichtete er auch als Professor, bis er vergangenen Oktober zur NASA nach Washington umzog als neuer Wissenschaftschef, und «erster Ausländer in diesem Job», wie er sagt. Man sei in der Physik in Bern sehr stolz, zu dieser ausserordentlichen Karriere beigetragen zu haben, betonte Professor Willy Benz, als er den Referenten dem äusserst zahlreich erschienenen Publikum vorstellte. Die Uni Bern sei «so etwas wie die erste Stufe bei der Rakete Zurbuchen» gewesen: «Sie lieferte den ersten Schub und ermöglichte dabei den Rest der Mission.»
Neben Sonnenforschung, Erd- und Planetenwissenschaften gehört die Astrophysik zu Zurbuchens Programm. 2018 will die NASA ein neues Weltraumteleskop mit einem Spiegeldurchmesser von 6,5 Meter ins Weltall befördern. Das James-Webb-Teleskop sei das grösste und wichtigste Teleskop, das die NASA je hatte, erklärt Zurbuchen. Das neue Instrument soll so gut sein, dass man damit eine Biene auf dem Mond sehen würde. «Aber – ehrlich gesagt – wissen wir noch nicht hundertprozentig, ob es wirklich funktioniert», gibt der NASA-Wissenschaftsdirektor zu. Eine unglaublich riskante Angelegenheit, aber ab und zu müsse man ein wenig nervös sein, sonst sei man nach 20 Jahren noch am selben Ort, ohne dass die Wissenschaft Fortschritte gemacht hätte.
Von der Wetterprognose bis zur Relativitätstheorie
Das Leben auf der Erde schützen und verbessern, anderswo nach Leben suchen und unser Wissen erweitern: Dies sind die wissenschaftlichen Schlüsselthemen der amerikanischen Raumfahrtbehörde. Dafür fliegen zurzeit 88 NASA-Satelliten durchs All. Sie werden beispielsweise für die Wettervorhersage gebraucht, helfen bei der Bewältigung von Waldbränden, sollen Tornados und Hurrikane vorhersagen, finden aber auch ferne exotische oder erdähnliche Planeten und liefern eine Bestätigung von Einsteins Allgemeiner Relativitätstheorie. Auf dem Mars sammeln zurzeit zwei Rover Daten. Eine NASA-Sonde umläuft Jupiter, eine andere ist auf dem Weg zu Asteroiden und soll Material zurück zur Erde bringen.
«Eine meiner Aufgaben ist das Auswählen von Missionen», erklärt Zurbuchen. Als erstes entschied er sich für einen Satelliten, der Röntgenstrahlung exotischer Objekte im All untersuchen wird, eine zweite Mission soll zu einer Gruppe von Asteroiden in Jupiters Umlaufbahn, fliegen, eine dritte wird den metallenen Asteroiden namens Psyche erforschen. Angesprochen auf mögliche Veränderungen bei der NASA nach der Wahl von Donald Trump meinte Zurbuchen, dass wohl wie immer unter einer neuen Präsidentschaft gewisse Projekte gestrichen und neue gestartet würden. Er habe zwar bereits Vertreter der neuen Regierung getroffen, doch er wisse noch nicht, in welcher Richtung Veränderungen zu erwarten seien. Er glaube aber weiterhin an die internationale Zusammenarbeit: «Wissenschaft ist international und wird es bleiben.»
Podcast des Referats von Thomas Zurbuchen
Zur Person
Der 49-jährige Thomas Zurbuchen studierte an der Universität Bern Physik. Seinen Doktortitel in experimenteller Astrophysik erhielt er 1996. Bevor Zurbuchen im Oktober 2016 sein Amt als NASA-Wissenschaftsdirektor antrat, war er Professor für Weltraumforschung und Raumfahrttechnik an der University of Michigan in Ann Arbor. Dort gründete er auch das Center for Entrepreneurship. In seiner Forschung beschäftigte er sich mit solarer und heliosphärischer Physik, experimenteller Raumforschung, Innovation und Unternehmertum. Zurbuchen ist verheiratet und hat zwei Kinder im Alter von 13 und 14 Jahren.
Center for Space and Habitability (CSH)
Ferne Welten entdecken und untersuchen, Leben definieren und anderswo im Universum danach fahnden: Das sind die Ziele des Center for Space and Habitability (CSH) an der Universität Bern. Es fördert die Zusammenarbeit von Wissenschaftlern und Wissenschaftlerinnen verschiedener Disziplinen, um Weltraum und Bewohnbarkeit, im Fachjargon «Habitabilität», zu erforschen. Am CSH arbeiten Fachleute auf den Gebieten Astronomie und Astrophysik, Atmosphären- und Klimawissenschaft, Geologie und Geophysik, Biologie, Chemie sowie Literatur und Philosophie. Die Forschung umfasst einen weiten Bereich von Methoden, von der Aufstellung von Theorien über Computersimulationen bis zu Beobachtungen und der Entwicklung von Instrumenten für Teleskope am Boden und für Weltraummissionen. Der disziplinenübergreifende Dialog ermöglicht die Kommunikation und den Austausch über die Weltraumwissenschaften hinaus. Zudem bietet das CSH viele Aktivitäten und Anlässe für Schulen und Öffentlichkeit an, um Bewusstsein und Begeisterung für Weltraumforschung zu fördern.
Zur Autorin
Barbara Vonarburg ist Wissenschaftsjournalistin und arbeitet für den Nationalen Forschungsschwerpunkt PlanetS.
Thomas Zurbuchen am «The Spirit of Bern»
Thomas Zurbuchen hat am Montag, 30. Januar 2017, am «The Spirit of Bern» teilgenommen. In seinem Referat thematisierte Zurbuchen unter anderem, welchen Beitrag die Wissenschaft zum Unternehmertum leisten kann.
Ziel des «The Spirit of Bern» ist die Förderung des Dialogs zwischen Vertreterinnen und Vertretern der Wirtschaft, Wissenschaft und Politik. Dabei sollen lösungsorientiert und zukunftsgerichtet Themen zur Diskussion gestellt werden, die unsere Gesellschaft in den nächsten Jahren prägen werden. In der 2. Ausgabe standen zwei Themen im Fokus, einerseits das Unternehmertum und seine Bedeutung für das wirtschaftliche Erfolgsmodell der Schweiz, andererseits die Alzheimer Erkrankung und der Umgang mit einer alternden Gesellschaft.
Mit 650 Besucherinnen und Besucher war die Veranstaltung gut besucht. Teilgenommen haben auch 150 Studierende der Uni Bern.